Michael Kaufmann über den Neubau beim Südpol

Der Erneuerer der Musikhochschule tritt ab

Weg vom «Elfenbeinturm Musikhochschule»: Michael Kaufmann, Direktor der Musikhochschule, geht in Pension. (Bild: jwy)

Die Luzerner Musikhochschule zügelt bald in die Luzerner «Pampa». Direktor Michael Kaufmann sagt, wieso der Standort beim Südpol für ihn ein Glücksfall ist. Er hat den Neubau in die Wege geleitet – und muss nun kurz vor Eröffnung das Feld räumen.

Mit einem bunt-gemusterten Hemd und karierter Mütze kommt er angeradelt und wirkt nicht wie ein Mann kurz vor der Pensionierung. Michael Kaufmann, Direktor der Hochschule Luzern – Musik, übergibt Ende August an seinen Nachfolger Valentin Gloor.

Kaufmann parkiert sein Velo vor dem Südpol. Direkt neben dem Luzerner Kulturhaus findet der Feinschliff an einem grossen, nüchternen, steinern Kasten statt.

Hier wird bald der Campus für die Musikhochschule Luzern eröffnet, ein Gebäude für Klassik, Jazz und Volksmusik. Und das ist der Grund, wieso das Departement nach Kaufmanns Abgang nicht mehr dasselbe sein wird.

Neue Generation bringt neue Dynamik

Der Zusammenzug der heute vier Standorte ist das grösste Projekt seiner achtjährigen Amtszeit. Weiterführen wird die Vision nun sein Nachfolger.

Wie fest schmerzt es, dass er das neue Haus nicht mehr selber eröffnen kann? «Der symbolische Akt schmerzt nicht», sagt er. Viel eher wurmt ihn, dass er jetzt – fünf vor zwölf – die Verantwortung vom einen auf den anderen Tag abgeben muss. Wenn der Campus zum Fliegen kommt, wird er Zaungast sein. «Aber ich habe keine Angst, wir haben eine super Crew», sagt er.

Mit Kaufmann tritt eine Generation ab. Susanne Abbuehl hat im Frühling die Leitung des Instituts für Jazz und Volksmusik übernommen und Julian Dillier leitet ab September das Institut für Musikpädagogik. Drei von fünf Stellen in der Leitung sind damit ab September neu besetzt. «Das wird eine neue Dynamik auslösen», freut sich Kaufmann.

Ein Leben ohne Scheuklappen

ETH-Agronom, Journalist, Vizedirektor des Bundesamtes für Energie: Kaufmanns Biografie liest sich wie eine ständige Weiterbildung – ein Leben ohne Scheuklappen. Nebenher hat er immer Klavier gespielt, komponiert, Chöre geleitet.

Er überlegt. «Ich habe einfach immer gemacht, auf was ich per Zufall gekommen bin.» Er lacht selber über diese Verkürzung und ergänzt: «Ich konnte in meinem Leben ein paar grosse Dossiers wälzen und habe dadurch viel gelernt.»

«Der urbane Gedanken macht nicht an der heilen Welt der Altstadt Halt.»

Als Konstanten in seinem Werdegang sieht er die Innovation und das neue Denken. Als Raumplaner war es die Frage nach Urbanität und Zersiedelung, bei der Energie das postfossile Solarzeitalter. «Es ist das gleiche Denken: Wie können wir gesellschaftlich und sozial vorankommen, ohne dass wir unsere Ressourcen verschwenden?»

Neubau beim Südpol
Neben dem Südpol entsteht für fast 80 Millionen Franken der neue Standort der Hochschule Luzern – Musik. Ab Herbst 2020 sind dort alle Institute sowie Bibliothek, Forschung, Unterrichts- und Veranstaltungsräume unter einem Dach vereint. Auf rund 8’000 Quadratmetern werden 500 Studierende unterrichtet. Unter anderem verfügt der Neubau über einen Kammermusiksaal, einen Jazzclub sowie eine multifunktionale Blackbox. Der Bezug ist für den Sommer 2020 geplant. Am neuen Standort entsteht zusammen mit dem Kulturhaus Südpol, der Musikschule, dem Luzerner Theater und dem ebenfalls im Bau stehenden Probehaus des Sinfonieorchesters ein grosser Musik-Campus.

Dazu passe auch die Musik: «Sie ist einer der gesellschaftlichen Treiber, das war schon zu Beethovens Zeiten so.» Musik stelle die Gesellschaft oft in Frage, initiiere Entwicklungen über das Zusammenleben, sei Symbol für eine neue Zeit.

Deshalb war es für den Berner vor acht Jahren ein Glücksfall, dass er in Luzern erstmals in einem rein musikalischen Umfeld tätig sein konnte. Und zugleich fiel sein Anfang 2011 zusammen mit dem Standortentscheid für den Südpol.

Pampa als Glücksfall

Was sagt er als Raumplaner zur Zentralisierung der Hochschul-Departemente in der Luzerner Agglo? Mit Emmen, Horw, Rotkreuz und nun Kriens siedeln sich die grossen Campusse ausserhalb des Stadtzentrums an.

«Ich stehe total hinter dem Südpol, es ist der richtige Ort, auch wenn viele davor warnten und befürchteten, wir würden in die Pampa ziehen.» In dieser Industriebrache werde in den nächsten 20 Jahren ein neues Stadtquartier entstehen, das Departement Musik werde dabei einer der Kristallisationspunkte sein. «Wir wollen ausstrahlen und Teil davon sein, was hier passiert», so Kaufmann.

Das Stadtzentrum sei geprägt von Kapital und Tourismus, die Chancen für die Musikhochschule sieht er durchaus an den Rändern. «Der urbane Gedanke macht nicht an der heilen Welt der Altstadt Halt», sagt er.

Die Musikhochschule im Bau – rechts der Südpol. (Bild: zvg)

Er sieht seine Visionen bildlich

Wenn das Gebäude 2020 eröffnet, sei man nicht am Ziel, sondern stehe erst am Anfang. Kaufmann sieht in den nächsten Jahren einen «totalen Umbruch» in der Musikausbildung. «Da denke ich manchmal radikaler als meine Leute», sagt er.

Für die Musikhochschule starte deshalb eine wirklich neue Epoche, die über rein das Bauliche hinausgehe. Mit dem neuen Gebäude soll ein neuer Geist einziehen. Der gemeinsame Ort entspreche dem Selbstverständnis einer Hochschule des 21. Jahrhunderts.

Und das Gemeinsame bleibe auch im digitalen Zeitalter wichtig. «Die Kommunikation, die physischen Treffen, das Erleben und die kurzen Wege sind unterschätzte Treiber. Gerade in der Musik ist das ganz zentral.»

Magnet, Treiber, Spirale: Kaufmann beschreibt seine Visionen bildlich.

Keine Zeit für Nostalgie

Kaufmann will bei aller Liebe zum «Klassischen» weg vom «Elfenbeinturm Musikhochschule», dem Konservatorium des 19. Jahrhundert. Darum trauert er den bisherigen musikalischen Bildungsstätten in Luzern – den noblen Villen an der Obergrundstrasse, dem Konservatorium im schönen Dreilindenpark oder der Jazzkantine im Löwengraben – nicht nach.

«Das Konservatorium ist ein Ort mit einer musikalischen Geschichte, die berühmtesten Musiker gingen dort ein und aus. Aber es waren alles Männer, die Musikpatriarchen des vergangenen Jahrhunderts», so Kaufmann. Bei allem Charme bilde das Institut für Klassik und Kirchenmusik auf Dreilinden einen Stil ab, der nicht mehr einer modernen Hochschule entspreche. Darum dürfe man nicht in Nostalgie verfallen.

«Das wird explodieren hier»: Michael Kaufmann vor dem Neubau der Musikhochschule. (Bild: jwy)

Gut investierte 80 Millionen

Auch vielen Jazzern behagt die jetzige Heimat oberhalb der Jazzkantine im Löwengraben ganz gut. «Jazzmusikerinnen und -musiker sind manchmal auch Nostalgiker, die gerne in ihren alten Teppichen üben», sagt Kaufmann und lacht. Er ist aber überzeugt, dass der neue Ort und die bessere Infrastruktur das Schaffen positiv beeinflussen werden.

Luzern biete heute eine Top-Ausbildung in Klassik wie auch Jazz – aber nun brauche es auf dieser Grundlage den Kick vom Neuen, damit sich die Hochschule neu erfinde und attraktiv bleibe.

Die 80 Millionen Franken für den Neubau seien jedenfalls gut investiertes Geld, ist Kaufmann sicher. «Das ist eine Investition für die nächsten 60 bis 100 Jahre, so gesehen ist der Bau eigentlich günstig.» Zu Luzern als Schweizer Musikhauptstadt gehöre nun mal eine zukunftsorientierte Musikhochschule. «Es wäre ein Riesenfehler, wenn man nicht investieren würde.»

Das Herzstück des neuen Gebäudes

Die nüchterne Fassade im Industrie-Groove widerspiegelt den Werkstatt-Charakter. Auch das Innere des Neubaus ist bescheiden ausgebaut und kommt ohne teure Materialien aus – «funktional, aber akustisch top», betont Kaufmann.

Zentral für die Wahrnehmung werden drei öffentliche Konzertsäle sein:

  • Der «Salquin-Saal», ein «High-End-Kammermusiksaal», der vor allem für klassische Musik zur Verfügung steht.
  • Der multifunktionale «Kosmos» für Konzerte, Proben oder andere Veranstaltungen.
  • Schliesslich der Jazz-Club «Knox», der nach Niklaus Troxler, dem Gründer des Jazzfestivals Willisau, benannt wird.

Die moderne Bibliothek werde Herzstück des Neubaus bilden und soll einer « Drehscheibe des Lernens» werden. Darin: ein Medien- und Begegnungszentrum mit Arbeitsplätzen, Lounges und ein Hörraum.

Die Studierenden werden die digital verkabelten Räume rund um die Uhr nutzen können. «Es gibt solche, die werden erst um 22 Uhr abends beginnen, das muss möglich sein», sagt er und kommt ins Schwärmen: «Das wird explodieren hier, da bin ich ganz sicher.»

Wendeltreppe als Zapfenzieher: Die künftige Bibliothek der Hochschule Musik. (Bild: zvg)

Im Markt behaupten

Kaufmann stellt die Themen in einen grösseren gesellschaftlichen Kontext. Sei es die Musikausbildung oder die Herausforderungen an den Musikjournalismus im digitalen Zeitalter. Darum üben Musikstudentinnen heute nicht mehr nur im stillen Kämmerlein, sondern lernen sich im Markt zu behaupten und in der Szene zu vernetzen.

«Der Jazz ist leider eine schwer zu knackende Männerbastion.»

Dafür gibt's neue Angebote wie «Getting into Business», die noch wichtiger werden. Kaufmann schwebt eine Art virtueller Agentur vor, um, um künftige Musiker direkt in den Markt zu bringen. «Da braucht es neue Ideen, wir stehen noch ganz am Anfang.»

Musiker und der Markt – immer wieder hört man den Vorwurf, es würden an der Hochschule zu viele Musiker ausgebildet. Kaufmann widerspricht heftig: «Es sind nicht zu viele, das ist so ein blödes Klischee.» Befragungen des Bundesamts für Statistik würden zeigen, dass die Musikhochschule gut dasteht. «Musiker finden besser einen Job als Philosophen und Historikerinnen.»

Zuerst eine Auszeit in Paris

Kaufmann hat nicht nur das Musik-Departement geleitet, sondern hat auch die Fachkommission Diversity der Hochschule Luzern verantwortet: Wo steht das Departement Musik in Sachen Gleichstellung heute?

Bei den Dozierenden sei der Mix gut, in der Klassik studieren viele Frauen. «Der Jazz hingegen ist leider nach wie vor eine schwer zu knackende Männerbastion.» Mit Susanne Abbuehl leitet jetzt eine Frau das Institut für Jazz und Volksmusik und auch das Institut für Klassik und Kirchenmusik ist mit Alexandra Jud in Frauenhand.

«Ich bin ein freier Mensch.»

Für Michael Kaufmann ist es eine Selbstverständlichkeit, dass etwas passieren muss. Leider gebe es hartnäckige gesellschaftliche Klischees. «Diese Geschlechterkonditionierung zu überwinden, ist eine grosse Aufgabe.» Da wären wir wieder bei der Musik als gesellschaftlichen Treiber angelangt.

Wohin zieht es ihn nun acht Jahren in Luzern? «Ich bin ein freier Mensch.» Zuerst macht er einen Break und geht ab November für acht Monate nach Paris und wird an seinen eigenen Projekten arbeiten.

Im Herbst 2020 wird er wieder nach Bern zügeln. «Aber ich werde Luzern verbunden bleiben», sagt er. Hier bleibt er etwa im Stiftungsrat der Festival Strings – und er ist im Luzerner Seeclub ein begeisterter Ruderer geworden. «Das ist auf dem Vierwaldstättersee entschieden attraktiver als in Bern.»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon