Freilichtspektakel für und in Morgarten

Und wenn diese Schlacht gar nie stattgefunden hat?

Die Narren, die sich nicht sicher sind, ob man Schlachten eigentlich feiern soll. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Runde zwei des Brimboriums um Morgarten. Nach den Feierlichkeiten vom Juli feiert am Freitag ein Freilichtspektakel Uraufführung. Und wo könnte «Morgarten – der Streit geht weiter» besser gespielt werden als auf dem Schlachtgelände selber? 90 Laien nahmen diese in Beschlag.

Mitten im Talkessel sitzt das Publikum, umgeben von steil ansteigender Wiese. Linker Hand prangt das Morgarten-Denkmal weiss eingehüllt in Christo-Manier, dieses steht zudem in mehrfacher, verkleinerter Kopie auf dem Gelände.

90 Laienschauspieler auf 20’000 Quadratmetern Bühne

Hier, an diesem sonderbaren Ort, findet ein Freilichtspektakel statt. Es soll an 700 Jahre erinnern, die seit der Schlacht von Morgarten vergangen sind, an den heroischen Sieg der Schwyzer, die die Habsburger das Fürchten gelehrt haben, mit Heugabeln und viel Gebrüll. Oder? So war es doch? Das Theaterstück, das von Paul Steinmann geschrieben und von der Luzerner Regisseurin Annette Windlin inszeniert wurde, bringt jedenfalls auch den stolzesten Schwyzer ins Zweifeln.  

«Erfolg auf der Bühne muss man sich immer wieder aufs Neue erkämpfen, erspielen.»

Annette Windlin, Regisseurin von «Morgarten – der Streit geht weiter»

Es ist ein aussergewöhnliches Grossprojekt, das sich Windlin hier auferlegt hat. 90 Laienschauspieler zwischen 13 und 70 Jahren, 20’000 Quadratmeter Bühne, 890 Sitzplätze, viele Meter Kabel, die unter der Erde verlegt wurden, viele Monate Probezeit. Und nun ist der Moment da. Am Freitag ist Uraufführung. Sie ist ausverkauft. Windlins Arbeit ist fast getan, nun könne sie die Spielleute noch Coachen und dafür sorgen, dass vor den Aufführungen das Richtige gesagt werde. «Ich werde nun versuchen, die Schauspieler zu motivieren und auch dafür zu sorgen, dass sie nicht plötzlich überheblich werden. Denn Erfolg auf der Bühne muss man sich immer wieder aufs Neue erkämpfen, erspielen. Das passiert nicht automatisch.»

Der Geschichtsunterricht wird im Schauspiel integriert.

Der Geschichtsunterricht wird im Schauspiel integriert.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Mutmassungen sind angebracht

Nun gilt es also, sich 17 Mal den Erfolg zu erspielen. Eine Herausforderung für die Schauspieler, die aus sieben Kantonen anreisen. Eine Herausfoderung auch für die Regisseurin. Denn der Erfahrungsschatz der Laien sei sehr unterschiedlich gewesen. «Einige hatten bereits grosse Erfahrung im Theaterspielen, andere hatten hingegen gar keine und erhielten zuerst eine schauspielerische Grundausbildung.»

Und dennoch. Ein reines Laienteam sei die einzige Möglichkeit gewesen, so Windlin. «Es ist gar nicht erst zur Debatte gestanden, Profis zu engagieren. Das wäre finanziell nicht möglich gewesen.» Viele der Mitwirkenden kommen aus der unmittelbaren Umgebung. Aus Morgarten, Ägeri und Sattel. Einige von ihnen haben bereits bei den Feierlichkeiten im Juni mitgeholfen.

«Die Frage ist nur, ob man Schlachten überhaupt feiern soll.»

Der Hofnarr in «Morgarten – der Streit geht weiter»

Das Stück, das der Aargauer Paul Steinmann geschrieben hat, ist eine Auseinandersetzung mit der Wahrheit über Morgarten, mit den Lügen, die darüber gesponnen worden sind. Und Steinmann wagt sich in die Untiefen der Mutmassungen hinein, einfach, weil Theater so etwas darf – und soll. Das Spektakel beginnt mit Musik, einem verstärkten Jodelchor, weit oben am Hang, dank der Mikrophone gut hörbar. Und die Musik zieht sich durchs Stück hindurch. Mittels einer stimmigen Band, die, im Kubus sitzend, gar Teil der Bühne ist. Mittels zweier verfeindeter Frauenchöre. Und mittels der Blockflöte eines Fakirs.

Der relativierende Narr

Alles beginnt in der heutigen Zeit, genauer gesagt mit den Vorbereitungen auf die 700-Jahr-Feier. Auf der leicht schrägen Bühne sitzt das Organisationskomitee, sinniert darüber, wie man einer Feier am besten gerecht wird. Dies, während an einem anderen Platz auf der Bühne ein etwas mitgenommener Hofnarr sitzt. Dessen Auftrag scheint es, zu relativieren. «Die Frage ist nur, ob man Schlachten überhaupt feiern soll», so der Narr. Der Input wird natürlich überhört, es soll gefeiert werden, aber sicher. Und dafür muss ein neues Lied her. Ein solches wird also von einem Zuger Chor geschaffen. Nur, der Schwyzer Frauenchor antwortet mit einer eigenen Version darauf. Der rote Teppich für den Knatsch wäre damit also ausgerollt. Dies jedenfalls die vordergründige Handlung.

«Die Leute hatten im Voraus tatsächlich Angst, dass wir alles zerzupfen und den Mythos Morgarten kaputt machen.»

Annette Windlin, Regisseurin von «Morgarten – der Streit geht weiter»

Auf der Suche nach der Wahrheit über die Schlacht tauchen immer mehr historische Szenen auf. Was modern begonnen hat wird immer uriger und archaischer, wilder, bunter und schneller. Und bleibt dennoch stets nah am Volk. So nah, dass man sich zwischendurch wünscht, das Stück würde sich noch etwas mehr aus dem Fenster wagen, sich auf den 20’000 Quadratmeter noch mehr austoben.

Was mit harmlosen Gesang begonnen hat, endet in der Schlacht.

Was mit harmlosen Gesang begonnen hat, endet in der Schlacht.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Nicht allen gefällt’s modern

Doch den Wunsch nach Ausgefallenem teilen offenbar nicht alle. Nach der Generalprobe hört man Stimmen sagen: «Dafür, dass es modern war, war es aber gut.» Windlin bestätigt: «Die Leute hatten im Voraus tatsächlich Angst, dass wir alles zerzupfen und den Mythos Morgarten kaputt machen. Doch darum geht es nicht. Auch geht’s nicht darum, ob diese Schlacht je stattfand oder nicht. Das ist schlussendlich gar nicht relevant. Wir haben diese Fragestellung einfach aufgenommen und damit gespielt», erklärt Windlin.

Es ist keine einfache Aufgabe, ein Theater zu inszenieren, das der Masse gefallen soll. Denn genau das sollte das Freilichtspektakel. «Das Stück richtet sich an alle ab zehn Jahren. An Leute, die häufig im Theater sind, aber auch an die, die sich für Morgarten interessieren», erklärt die Regisseurin.

Ausverkaufte Premiere

17 Mal wird nun also noch gespielt. Bei jeden Wetterkonditionen? «Naja, wenn’s richtig regnet, müssen wir verschieben. Sie haben ja gesehen, unsere Leute rennen die ganze Zeit den Hügel rauf und runter. Das wird heikel, wenn’s zu nass ist. Aber wir werden versuchen, so oft wie möglich zu spielen.»

Und abgesehen vom Wetter? Was kann noch schiefgehen? «Es kann immer besser oder schlechter laufen, das Stück kann mehr oder weniger Spannung haben. Ich denke, an der Premiere wird sicher der eine oder andere beeindruckt sein von den 890 Zuschauern. Wir sind nämlich ausverkauft.»

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