Pony Hü: Kulturschock in Marokko
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Sarah Bischof über ihren Versuch, in Marokko heimisch zu werden

Ins Land von 1001 Nacht verguckt – wie naiv und blind ich war

Nein, es war kein Surflehrer. Doch da war er plötzlich, dieser hübsche, mit seinen langen Haaren und den Tattoos etwas rebellisch wirkende Mann. Dabei hatte ich nicht geschnallt, was es heisst, als nicht muslimische Frau in einem islamischen Land zu leben. Der erste Beitrag von Sarah Bischof alias Pony Hü über ihr neues Leben in Marokko.

Der Klassiker: Eine junge Frau bucht Surfferien in Marokko – anstatt dabei nur beim Kauf eines Berber-Teppichs einen Haufen Geld liegenzulassen, verschenkt sie im Land von 1001 Nacht ihr Herz. Vergeben an den marokkanischen, so unglaublich gut aussehenden Surflehrer. Der ihr nicht nur den süssen marokkanischen Minztee in einem Schwung einzuschenken weiss, sondern auch die Sterne vom atemberaubenden Himmel pflückt. In der Mehrheit der Fälle endet diese Geschichte mit einem gebrochenen Herzen, da sich ein marokkanischer «Surferhengst» nur ungern zähmen lässt.

So zog es auch mich an die marokkanische Küste, um mir den Traum vom Surfen zu erfüllen. Null Interesse hingegen hatte ich an einem Typen. Der Klassiker: Genau dann schlägt das Universum zu. Ich schreibe bewusst nicht vom Schicksal, denn ich glaube an die Kraft des Universums. Nichts ist Zufall.

«Ich wollte in den Moment katapultiert werden, nicht mit meinem Kopf bereits am nächsten Ort sein.»

Da war er plötzlich, dieser hübsche, mit seinen langen Haaren und den Tattoos etwas rebellisch wirkende Mann, der aber einer Frau kaum in die Augen zu schauen traute. Definitiv nicht ein typischer Marokkaner – und nicht Surflehrer, für mich ein wichtiges Detail! Als selbstständige Schweizer Frau betonte ich natürlich immer, dass ich mich zuerst in das Land mit seiner glühenden Erde, den so glänzenden Sternen und den satten Farben verguckt hätte – und dann erst in den Mann. So war es aber auch.

In Marokko hatte ich das gefunden, wonach ich mich sehnte. Weg von meinem Stadtleben in Zürich mit zu vielen Möglichkeiten, zu viel Oberflächlichkeit und zu wenig Tiefe. Ich wollte in den Moment katapultiert werden, nicht mit meinem Kopf bereits am nächsten Ort sein. Dafür war Marokko perfekt. In Tamraght, einem kleineren Dorf neben Agadir, gibt es neben dem Surfen sprichwörtlich nichts zu tun, ausser: Tee trinken und abwarten.

Eine verrückte Geschichte

Heute, etwas mehr als zwei Jahre später, muss ich darüber schmunzeln, wie naiv und blind ich war. Wobei nein, ich sollte nicht immer so hart zu mir sein. Es war einfach genau das, was ich damals brauchte. Ich habe eine Traumwelt kreiert, nicht geschnallt, was es heisst, als nicht muslimische Frau in einem islamischen Land zu leben und sich als Macherin im Naturell an einem Ort aufzuhalten, wo es nichts zu tun gibt.

«Ich vermisse es, den Menschen auf der Strasse in die Augen blicken zu können.»

Was ich nie gedacht hätte: Ich vermisse ganz alltägliche Dinge wie ein gemütliches Kaffee, wo ich mich als Frau wohlfühle, eine Schale und eine leckeren Kuchen bestellen und eine Zeitung in meiner Sprache lesen kann. Oder einfach mein Rad zu nehmen und durch die Stadt zu fahren, an jeder Strassenecke jemanden zu grüssen. Ins Theater oder an einen Workshop zu gehen. Ich vermisse es, den Menschen auf der Strasse in die Augen blicken zu können, ohne dass sie denken, ich wolle ihnen «eine Tür öffnen». Oder mit meinen Glitzerleggings rumzurennen, ohne dass mich jeder Typ auf der Strasse mit «Bonjour, how are you? Hellooo?» anquatscht.

Wie im falschen Film

Den Mann liebe ich noch immer. Das andere hat sich aber nahezu um 180 Grad gedreht: Ich surfe nicht mehr. Zu wild ist dieser Atlantik für eine zarte Pflanze wie mich. Den Sternenhimmel liebe ich nach wie vor, aber wäre nicht der Mann, würde ich niemals freiwillig gut die Hälfte meiner Zeit an diesem Ort verbringen. Zu viele Nerven hat mich Marokko schon gekostet.

Für Ferien ist Marokko perfekt, für mehr aus meiner persönlichen Perspektive sehr anstrengend. Es passieren Dinge, die ich mit meinem Gerechtigkeitssinn und Menschenverstand nicht nachvollziehen kann. Manchmal glaube ich, in einem falschen Film zu sein. Ich bin mir bewusst, dass das nicht nur in Marokko so ist, sondern auch in vielen anderen Ländern. Mir ist es einfach in Marokko passiert.

Aus der Schweizer Traumblase aufgewacht

Nein, ich will nicht jammern. Denn ich bin über diese Erfahrung unglaublich dankbar. Ich bin aufgewacht aus meiner Schweizer Traumblase, wo einfach alles vergleichsweise «wie am Schnürchen» läuft. Mir wurde bewusst, wie privilegiert wir in der Schweiz sind. Klar, teilweise überstrukturiert, was nervig sein kann. Wenigstens kriegst du aber auf alles eine korrekte Antwort, denn das meiste ist in irgendeinem allgemeingültigen Gesetz festgehalten. So albern es klingt, diesen Bürokratiestaat vermisse ich, wenn ich in Marokko zum zwanzigsten Mal von jemandem angelogen werde, weil er so tut, als ob er die Antwort kenne, dabei keinen blassen Schimmer hat. Unwissenheit zu zeigen, scheint in Marokko (und nicht nur in Marokko, das ist mir klar…) eine Schwäche zu sein.

Doch wahrscheinlich brauche ich gerade diesen Mix zwischen Schweizer Bürokratiestaat und verrücktem Leben in Marokko. Meine Challenge des Herzens. Seien Sie gespannt auf Geschichten aus meinem crazy Leben zwischen Marokko und der Schweiz.

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Sarah Bischof hat sich ursprünglich durch ihren Videoblog «Pony Hü» einen Namen gemacht – aufgefallen ist die freischaffende Journalistin und Moderatorin aber nicht zuletzt auch durch ihre blauen Haare (Lesen Sie dazu «Ich nehm mal kurz den Globus mit» ). Inzwischen hat es die Luzernerin nach Marokko verschlagen, wo Sie ihren Traum von...
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