Pony Hü: Kulturschock in Marokko
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Nie fühlt man sich so sauber, zart und weich

Besuch im Hamam: Unter Frauen zum Wow-Effekt

Die Frauenseite des Hamams, Bild: Sarah Bischof.

Wie es sich als Schlange anfühlen muss, wenn man sich häutet, erlebt Sarah Bischof in Marokko regelmässig. Dann, wenn sie in den Hamam geht. Adios mit der alten Haut! Sie erklärt, worum es bei dieser marokkanischen Tradition geht. 

Hamam – das klingt so luxuriös und exklusiv. Etwas, was man sich nur zu einem speziellen Anlass leisten kann. Ganz anders in Marokko. Hier gehört dieses Baderitual zum Wochenprogramm. Es ist nicht nur Körperpflege, sondern auch ein Stück Kultur. Dafür packen die Frauen der Nachbarschaft ihr Plastiksortiment bestehend aus Schemel, Eimer und Schöpfschale sowie ganz wichtig: dem Rubbel-Handschuh und Beautyprodukte wie Savon noir (schwarze Naturseife mit Olivenöl) und Rhassoul (Lava-Erde, Ton). Für das wohlige Gefühl nach dem Dampfbad sorgt zudem frische Kleidung: Etwa ein knallbuntes «Plüschgwändli», das unter dem Jellaba, dem bodenlangen Kapuzenmantel getragen wird.

Viele Familien besitzen einen eigenen Hamam zu Hause, der pro Woche einmal in Betrieb gesetzt wird. Ansonsten ziehen sie in Grüppchen in den Hamam im Dorf. Erstens macht es zusammen mehr Spass und zweitens braucht man einander, um sich gegenseitig den Rücken abzuschrubben. Wer von keiner Schwester oder Freundin begleitet wird, kann sich am Eingang Hilfe holen.

Für 50 Dirhams, umgerechnet 5 Franken, übernimmt eine Frau vom öffentlichen Hamam das Abschrubben. Das lohnt sich – auch wenn Frau sich dabei ganz schön auf die Zähne beissen muss. So ging es mir zumindest die ersten paar Male. In der Zwischenzeit habe ich mich daran gewöhnt. Mehr noch: Ich möchte gar nicht mehr darauf verzichten, denn es ist ein Abschrubben mit Wow-Effekt. Nie fühlt man sich so sauber, zart und weich wie nach dem Hamam. Wie neu geboren à la marokkanisch. 

Baderitual für einen Franken

Ganz unscheinbar sieht dieses Badehaus in meinem Nachbarort Aourir aus. Einzig ein weisses Schild mit blauer Aufschrift «Hamam Aourir» oben an der Hausmauer weist darauf hin. Auf der linken Seite eine Tür, verdeckt mit einer Stellwand «Bain à vapeur pour femmes», darüber eine kleine Tafel mit einem Frauenkopf, auf der rechten Seite eine unverdeckte Tür und eine Tafel mit einem Männerkopf. Geschlechtertrennung ist nichts Spezielles, sind doch auch die Moscheen nach Geschlecht unterteilt.

Für 12 Dirhams, umgerechnet etwa 1.20 Franken passiert man das kleine Gitterfenster. Beim Betreten des Gebäudes ist man gleich im Umkleideraum. Raus aus den Kleidern. Bis auf die Unterhosen nackt, mit Badelatschen an den Füssen und Plastikeimer mit Rubbel-Handschuh und den eingangs erwähnten Pflegeprodukten geht es ins Dampfbad. Die eigenen sieben Sachen vertraut man einer freundlich lächelnden Frau am Eingang zum Dampfbad an. Sie muss ein gutes Gedächtnis haben, funktioniert doch alles ohne Nummer oder Ticket.

Der ominöse Rubbel-Handschuh

Der ominöse Rubbel-Handschuh

(Bild: Sarah Bischof)

Dampf und ein buntes Stimmengewirr kommen mir entgegen. Das Hamam ist gut besucht. Meine «Abschrubberin» von heute ist Fatima, eine wohlbeleibte Einheimische in Slip und BH. Sie füllt einen grossen Eimer mit Wasser, sucht uns eine Ecke aus, spült den Boden ab, breitet ein Stück Plastik aus und sagt im Befehlston: «Asseyez-vous!» Unsere Konversation beschränkt sich auf Handzeichen sowie einige Brocken in Französisch.

Rechts und links sitzen nackte Frauen in allen Formen, Grössen und jeden Alters, ja sogar Kinder. Es ist eine Atmosphäre, an die man sich erst gewöhnen muss. Natürlich werde ich als Schweizer Käse schon ein bisschen beäugt. Einmal angekommen, ist schön zu sehen, wie es hier nicht um das Aussehen und die Modelfigur geht. Hier hat alles Platz.

Weg mit der abgestorbenen Haut

«Pflatsch» – ohne Vorwarnung werde ich mit heissem Wasser übergossen. Der Dampf öffnet meine Poren. So heiss wie in der Sauna ist es jedoch nicht. Der Hamam besteht aus drei Räumen, alle vom Fußboden bis zur Decke weiß gefliest. Die Räume gehen ineinander über und die Temperatur steigt, je weiter man sich vom Eingangsbereich entfernt. Die Haut wird mit Savon noir, angereichert mit Henna eingerieben, welche leicht juckt und nur kurz auf der Haut bleibt.

Dann kommt der Moment des Schrubbens: Ein sanftes Streicheln will man nicht. Der Sinn und Zweck ist, die alte, abgestorbene Haut loszuwerden, eben sich zu häuten. Wer das erste Mal in den Hamam geht, wird erstaunt sein, wie viel Ballast man dabei los wird. Wie die Krümel eines Radiergummis löst sich die «peau morte». Die Schweissperlen stehen Fatima auf der Stirn. Sie atmet laut. Abschrubben braucht Ausdauer und Kraft. Bearbeitet wird der ganze Körper, einzig der Intimbereich, die Kopfhaut und die Brustwarzen werden ausgelassen. Beim Gesicht geht es sanfter zu und her.

 

Der Post-Hamam-Effekt Bild: Sarah Bischof

Der Post-Hamam-Effekt Bild: Sarah Bischof

«Pflatsch, Pflatsch», mit einer Schöpfschale werden die Hautkrümel abgespült. Dann wird Rhassoul aufgetragen, das sich wie ein Erdpeeling anfühlt. Die Haut fühlt sich so zart wie schon lange nicht mehr an. Nach der ganzen Schrubberei kommen die Haare dran. Was ich in der Zwischenzeit gelernt habe: Besser nicht die teuren Beautyprodukte mitnehmen. Denn wie noch so oft in Marokko gilt auch bei der Benutzung der Produkte: Hauptsache viel! Sprich das teure Shampoo ist bald alle. Nachdem ich frisch gewaschen bin, verabschiedet sich Fatima mit einem kurzen «Bessah’a!», was so viel heisst wie «mit Gesundheit».

Glücklich, mit rosigen Wangen und gleichzeitig erschöpft verlasse ich warm eingepackt den Hamam – wenn auch darunter noch etwas bleicher als sonst. Der Sonnenteint wurde weggeschrubbt, dafür fühle ich mich wie neu.

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Sarah Bischof hat sich ursprünglich durch ihren Videoblog «Pony Hü» einen Namen gemacht – aufgefallen ist die freischaffende Journalistin und Moderatorin aber nicht zuletzt auch durch ihre blauen Haare (Lesen Sie dazu «Ich nehm mal kurz den Globus mit» ). Inzwischen hat es die Luzernerin nach Marokko verschlagen, wo Sie ihren Traum von...
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