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Max Christian Graeff zu «spoken word»

Wort! Words? Woerdz!

Literatur als Lebensmitte(l) – Luzern als Metropole des «spoken word». Am vergangenen Dienstag startete die fünfte Staffel der Luzerner Lesebühne in der LOGE am Helvetiagärtli. Auf kleinstem Raum spielt sich dort regelmässig Unberechenbares ab. Und immer wieder – und vor allem im Blick auf das kommende Poesiefestival woerdz – stellt und beantwortet sich die Frage: Was will die Literatur eigentlich von uns und was wollen wir von ihr?

Literatur als Lebensmitte(l) – Luzern als Metropole des «spoken word»

Am vergangenen Dienstag startete die fünfte Staffel der Luzerner Lesebühne in der LOGE am Helvetiagärtli. Auf kleinstem Raum spielt sich dort regelmässig Unberechenbares ab. Und immer wieder – und vor allem mit Blick auf das kommende Poesiefestival woerdz – stellt und beantwortet sich die Frage: Was will die Literatur eigentlich von uns und was wollen wir von ihr?

Der Moderator der Luzerner Lesebühne wird neuerdings exklusiv für zentral+ vor der Veranstaltung seltsame Dinge zubereiten – am Ort des Geschehens und produziert von kulturtv.ch, in der ersten Bühnen-Kochshow des Zentralschweizer Blogfernsehens. 

Die regionale Veranstaltungstopografie ist so vielgestaltig wie unsere Landschaft. Literatur steckt dabei selbstverständlich in allen kulturellen Gewerken, in vielen Musikwerken, in der bildenden Kunst, im Theater und sogar im Tanz. Doch auch die ausgewiesenen Literaturveranstaltungen sind reich und dicht gestaffelt. Oft genug stellt sich die Frage: Braucht es diese überhaupt? Haben wir nicht so schon mehr als genug zu lesen? Produziert der Eventmarkt nicht auch viel heisse Luft? Es wird niemanden wundern, dass meine Antwort kategorisch «Nein» lautet.

Zugegeben, man kann heute auch als kultivierter, gebildeter Mensch bestens am literarischen Geschehen vorbei leben. Aber man verpasst dabei das Wichtigste: Die Arbeit an sich selbst, an der eigenen Sprache, am Wahrnehmen der Sprache des Anderen. Gerade weil immer mehr auf zahllosen Kanälen kommuniziert wird, braucht es das Gegengewicht des geschriebenen, auch des festgeschriebenen Wortes. Es braucht die Menschen, die sich ins Lampenlicht stellen und von denen man erfährt: Sie haben sich der Bedeutung und der Kraft der Wörter verschrieben.

Nun ist natürlich nicht alles Geschriebene, alles Literarische auch gut. Qualität ist auf Seiten der Schaffenden wie auch der «Konsumierenden» eine individuelle Angelegenheit. Aber je weniger wir uns der Literatur aussetzen, je weniger Platz wir ihr im Leben geben, umso stärker verlieren wir die persönliche Urteilsfähigkeit, die Intuition und das eigene Vermögen.

Mit der Sprache ist es wie mit den Nahrungsmitteln und anderen Konsumgütern: Es gibt Erzeuger, vorwiegend industrielle. Es gibt klassische Grossverteiler, internationale Übernahmen und Einflüsse; aber es gibt auch die Handwerker, die Individualisten, die Traditionalisten, die Selbstversorger. Der grosse Markt verknappt – wie beim Gemüse – beständig das Sortiment, um den Profit zu steigern. Dabei wird immer mehr Selbstverständliches als fremd erklärt, als nicht mehr überlebensfähig, als nicht konform, sogar als ausgestorben. Und manchmal wird es uns dann – natürlich doppelt so teuer – als seltene Wiederentdeckung verkauft. Das betrifft so edle, einst billige und ultragesunde Grundgemüse wie die Petersilienwurzel und das profane echte Schweineschmalz – mit oder ohne Grieben – genauso wie das individuelle Kommunizieren fernab der medial reingewaschenen Hochsprachen.

Warum nun immer neue und auch alte Texte hören, einmal oder mehrmals im Monat, gar regelmässig wie die Fernsehsoap? Warum das Luzerner Literaturfest, die Literarische Gesellschaft, das neue Zentralschweizer Literaturhaus «Lit.z», die über hundert hinter uns liegenden «Barfood» Poetry-Veranstaltungen, der Texttiegel und all die anderen beliebten Formate – und nun auch noch ein Festival namens «woerdz»?

Weil die Sprache lebt. Weil sie uns jeden Tag davonläuft. Weil wir sie – auch ohne eigene «literarische Begabung» – täglich neu finden und untersuchen müssen, um unsere Gegenwart festzustellen und von ihr zu erzählen. Weil wir uns nicht dem Diktat der Industrie- und Markensprachen beugen dürfen. Weil wir der Marktmacht über die Sprache etwas entgegensetzen müssen. Als Sprechender genauso wie als Zuhörer. Damit unsere Sprachen dort, wo sie täglich neu geboren werden – auf den Schulhöfen, den Bordsteinen und Hinterhöfen, in den Beizen und Büros, in Bordellen wie in Hörsälen — weiterhin in der Lage sind, Widerstand gegen die Allmacht des Geldes und des Egoismus zu leisten. Dafür muss man nicht einmal selber schreiben wollen oder können, schon gar nicht «gut» oder literarisch. Es klingt überheblich und ist doch ganz einfach gemeint.

Ist diese – meistens angenehme, äusserst unterhaltsame und manchmal auch anstrengende – Mühe umsonst? Merkantil gedeutet: Nein, manchmal muss man zahlen, wie für alles. Livekultur ist in der Regel jedoch günstig und man zahlt an die «Richtigen». Und zugleich: Ja, es ist umsonst, denn Lesen und Hören kostet an sich kein Geld; dies sind ureigene Fähigkeiten, die wir lediglich in uns aktivieren müssen. Quasi als Gratisabonnement beim eigenen Hirn und beim Herzen. Es ist umsonst, aber nie vergeblich. Man kommt nicht durch, aber man bekommt viel raus.

Jorge Luis Borges, der grosse argentinische Dichter, der mit 50 Jahren erblindete, schrieb in einem Gedicht:

«Es gibt einen Spiegel, der mich ein letztes Mal gesehen hat. / Es gibt eine Tür, die ich geschlossen habe bis ans Ende der Welt. / Unter den Büchern in meiner Bibliothek (ich sehe sie vor mir) / gibt es einige, die ich nie mehr öffnen werde.»

Gegen die Überzahl des Geschriebenen, gegen den riesigen Kanon unserer Geisteswissenschaften anzulesen hat man nicht den Hauch einer Chance. Es kommt darauf an, seine eigene Gegenwart zusammen zu lesen und zu hören, was heute über unsere Welt geschrieben wird. Genau deshalb also: «woerdz»! Gehen wir dahin, wo das Geschriebene von heute und die Literatur von morgen ans Licht kommt: Zum neuen Festival «woerdz». Ans Literaturfest. Ins im November eröffnende «Lit.z» nach Stans, zum Texttiegel, zum ISSV, zu jedem kleinen Schul-Slam. Und natürlich in die «LOGE» am Helvetiagärtli, denn an diesem versteckten kleinen Ort befindet sich – nicht nur bei der Luzerner Lesebühne – einer der Eingänge in die geheimnisvolle, lebenserhaltende und unermesslich reiche Unter- und Gegenwelt der Literatur.

Zurück zur ersten Folge der fünften Staffel von «The Beauties and the Beast». Was gab es zu essen? Einen Burger rheinisch-westfälischer Art mit einem Reibekuchen, etwas Rohschinken und einer Federkohlsalsa zwischen zwei Scheiben tiefschwarzem Roggenschrotbrot namens Pumpernickel, und daneben noch ein Salatzitat von der Pastinake. Lauter rurale, von den Grossverteilern an den Rand gedrängte Alltagszutaten. Wie allzu oft auch das literarische Wort.

Die nächste Folge der Luzerner Lesebühne in der Loge am Helvetiagärtli findet am Dienstag, 18. November statt. Das Team – The Beauties and the Beast – empfängt diesmal den Spezialgast Juliane Lang. Infos dazu und zum weiteren, reichhaltigen Literaturprogramm gibts HIER. Das Festival «woerdz» findet vom 15. bis zum 19. Oktober im Südpol statt.

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