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Nein heisst Nein – auch beim Nachwuchs

Warum man Kinder nicht zum Anstand zwingen soll

(Bild: Pexels)

Eigentlich ist die Sachlage ganz klar: mein Körper, meine Entscheidung. Und doch wird diese Grenze gerade bei Kindern nicht respektiert. So sollten Kinder nicht zum Anstand gezwungen werden.

Ein kleiner Mensch kommt auf die Welt. Völlig hilflos, allem und jedem ausgesetzt. Die Mama und der Papa sind da. Passen auf. Sind vorsichtig. Helfen dem kleinen Geschöpf, die Welt zu erforschen. Der Raum, in dem es sich bewegen kann, wird immer grösser und interessanter. Bald kann es laufen und dann auch sprechen.

Es hat seinen ganz eigenen Willen. Eigentlich schon ganz früh, doch das wird oftmals übergangen oder abgetan. Wo sind die Grenzen, die ein Baby oder Kind setzt? Und wo übertreten wir diese? Gibt es Folgen?

Auch Babys zeigen Grenzen auf

Schon ganz klein fangen die Babys an zu weinen, wenn sie länger von der Mama weg sind. Manche möchten sogar überhaupt nicht weg von ihr. Eine klare Grenze. Jedoch wird diese nicht immer respektiert. Denn es ist schliesslich Besuch da. Die Oma möchte ihr Enkelkind einmal halten. Das Baby beginnt zu weinen und das wird abgetan mit: «Oh, ist doch nicht so schlimm. Ich bringe es schon dazu aufzuhören, ich hatte ja schliesslich auch Kinder.»

Das Baby ist jetzt schon etwas älter und besucht mit der Mama die Oma. Die Tür geht auf und sofort streckt die Oma die Arme nach dem Baby aus. Das Kleine klammert sich an die Mama. Dennoch wird es weggerissen und von der Oma geküsst. Klar: Es fängt an zu weinen. Die Zeit vergeht und das Kleine spricht schon. Wieder einmal Besuch von der Oma. «Hallo! Gib der Oma einen Kuss!» Das Kind reagiert mit «Nein!» – Dennoch wird es gegen seinen Willen aufgehoben und geküsst.

Kinder ziehen die falschen Schlüsse

Klingt ganz normal, oder? Es wird tatsächlich als Anstand angesehen. Ein Kind begreift das nicht. Es lernt durch Kopieren. Wenn ich als Mama die Oma begrüsse und ihr ein Küsschen gebe, macht das Kind mich irgendwann von sich aus nach. So lernt es, wie man sich in einem sozialen Konstrukt verhält, obwohl es nicht immer seinem Willen entspricht, lernt aber auch, dass es nicht gezwungen ist, etwas zu tun, was ihm komplett widerstrebt.

Wenn nun aber sein Nein nicht respektiert und es sogar mit Sätzen wie «Das ist aber kein Benehmen!» dafür getadelt wird, schliesst es daraus vor allem eines: Meine eigene Wahrnehmung ist falsch, meine Bedürfnisse sind nicht angebracht. Und ein Nein ist dann plötzlich kein Nein mehr.

Es passiert tatsächlich sehr oft, dass meinem Sohn einfach eine fremde Person in die Haare fasst. Ja, er hat schöne goldene Locken. Aber wäre er kein Kleinkind, würde man das bestimmt nicht machen. Ich bin daher froh, dass meine kleine Tochter noch im Tragetuch sitzt. Viele Leute sind dadurch gehemmt und trauen sich nicht, sie einfach ungefragt zu tätscheln.

Ich finde es unanständig, das Kind dazu zu nötigen, jemanden «richtig» zu begrüssen oder zu verabschieden. Ich finde es unanständig, dass man ungefragt meine Kinder anfasst. Egal, ob es eine fremde Person ist oder jemand, den wir kennen.

Wie ich es mache

Mein Sohn ist bald drei und er kann uns gegenüber ganz klar sagen, was er will und was nicht. Es hilft natürlich sehr, dass er sprachlich schon weiter ist. Anderen gegenüber kann er sich aber noch nicht so gut verständlich machen und lässt darum oft Dinge zu, die er nicht möchte.

Darum handhaben wir das so: Wenn wir jemanden antreffen und wir einander begrüssen, kann er selbst entscheiden, ob er das auch möchte. Oft fragt dann die Person: «Sagst du nicht hallo?» Das ist eigentlich eine Aufforderung an mich, ihn dazu zu zwingen. Ich sage dann zu ihm: «Wenn du möchtest, kannst du die Person begrüssen» und erkläre ihm, woher er sie kennt. Oft sagt er dann Nein und das wird auch vom Gegenüber akzeptiert.

Bevor wir jemanden treffen, sage ich ihm: «Die Person freut sich, wenn du sie begrüsst und verabschiedest. Du kannst auch deinen Kopf zum Hallo-Sagen schütteln, Tschüss sagen hüpfen oder auf deinen Bauch trommeln etc.»

Warum nicht die Hand geben? Es ist den Kindern manchmal unangenehm, Körperkontakt zu haben. Gerade mein Sohn möchte sehr selten angefasst werden, auch von mir nicht. Aber trotzdem möchte ich ihm beibringen, dass wir es zeigen, wenn wir anderen Personen treffen und verabschieden.

Laut der Gesellschaft bedeutet dies Händeschütteln und die Worte «Hallo» und «Tschüss». Durch seine individuell gewählte Form sich auszudrücken, «Hallo» oder «Tschüss» zu sagen, zeigt er der Person gegenüber aber auch, dass er sie wahrnimmt.

Welche Folgen das haben kann

Ich bin ganz klar der Meinung, dass es nicht gesund ist, die Kinder zum Anstand zu zwingen. Sie lernen so nur, sich selbst zu ignorieren. Das kann dazu führen, dass ein Kind nicht mehr Nein sagen kann. Und genau dadurch können schlimme Dinge passieren. Was dadurch passieren kann, zeigt die folgende fiktive Darstellung. Sie basiert auf eigenen Erfahrungen sowie Erzählungen einiger Kollegen und Kolleginnen.

Ein Mädchen wartet auf den Bus. Heute das erste Mal ohne Mama. Sie ist sehr aufgeregt und als der Bus endlich ankommt, rennt sie direkt zur Tür. Eine ältere Dame stellt sich neben sie. Hält sie an der Schulter und streicht ihr durchs Haar: «Pass auf dich auf, Kleines.»

Das Mädchen ist sehr verwirrt. Wer ist denn diese Frau? Wieso soll ich denn aufpassen? Das Mädchen lächelt und nickt. Denn sie hat gelernt, zu Erwachsenen stets höflich zu sein. Das Mädchen steigt ein und setzt sich ans Fenster. Wie aufregend doch so eine Busfahrt ist.

Etwas später steigt ein Mann ein und setzt sich neben sie. Er fängt nett an, mit ihr zu plaudern. Fragt, wie sie heisst, wo sie wohnt, was sie denn jetzt vorhat und warum sie denn so ganz ohne Mama Bus fährt. Der Mann stinkt und ist ihr unangenehm nahe, dennoch beantwortet sie höflich alle Fragen. Da bemerkt sie seine Hand auf ihrem Bein. Sie findet es unangenehm, möchte das nicht, kann aber nicht Nein sagen ...

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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6 Kommentare
  • Profilfoto von Erna Meier
    Erna Meier, 03.03.2024, 13:14 Uhr

    Krass! Bitte sehr gerne zu einem rudimentären Anstand zwingen. Ich finds prima – und sehr vorteilhaft für das Kind. Bei rot anhalten, finde ich auch super. Ich schätze sogar ein "Gesundheit" oder "en Guete".
    Und ja, das Kind soll lernen dass es wichtig ist. Und dass die Gemeinschaft auch wichtig ist. Zu der gehören Anstand, Respekt und Regeln.

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  • Profilfoto von Fabrizio
    Fabrizio, 28.02.2024, 09:05 Uhr

    Wer so einen Unsinn verbreitet, sollte mal einen Tag in eine Schulklasse gehen, dann ändert sich die Meinung sofort. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht künstlich Narzissten heranzüchten.

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  • Profilfoto von Baldo
    Baldo, 26.02.2024, 18:58 Uhr

    Vielen Dank auch, das Resultat solchen Chabis, sehe und erlebe ich jeden Tag, sei es im Bus, Geschäften, Straße oder sonst wo. Wie wäre es mit Respekt, Achtung und Rücksichtnahme in jungen Jahren beibringen? PS Danke und Bitte sagen, hat bei unsere Erziehung auch kein Schaden hinterlassen und Nein heißt Nein!!

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  • Profilfoto von romolo53
    romolo53, 26.02.2024, 12:29 Uhr

    Da wird wieder etwas an den Haaren herbeigezogen. Da muss man sich nicht fragen, wieso unsere Gesellschaft langsam am verblöden ist.

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  • Profilfoto von Jouette
    Jouette, 25.02.2024, 22:06 Uhr

    Unanständig, das Kind zu nötigen…, er darf selbst entscheiden…, herrje…, da entwickelt sich ein Früchtchen, das den zukünftigen Lehrpersonen so einiges an Kopfzerbrechen bescheren wird. Diese Mama schwört der Autorität ganz ab und wird sich bald über das biestige Verhalten des Sohnemannes wundern. Good luck!

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  • Profilfoto von märtl
    märtl, 25.02.2024, 12:34 Uhr

    Das Ganze müsste man nicht zum Thema machen, wenn die Eltern als Vorbild agieren. Ich bin in einem Touristendorf aufgewachsen, wo man finanziell auf die Gäste angewiesen war. Bei uns im Dorf sagte man immer allen "Guten Tag", "Guten Abend" usw. Das habe ich dann auch meinen Kindern vorgelebt in unserem Quartier. Ich wurde immer wieder von Nachbarn angesprochen, dass meine Kinder sehr freundlich seien. Sie mussten nie jemanden berühren, dem sie nicht die Hand oder einen Kuss geben wollten. Sie haben aber gelernt zu grüssen. Das tun sie heute noch als Erwachsene.

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