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Zum Fremdschämen: Polterabende im Sommer

Invasion der Hochzeitsfaschisten in Luzern

Feiernde Frauen: Nicht immer nur lustig – genauso wenig wie ihre männlichen Pendants. (Bild: Adobe Stock)

Langsam neigt sich der Sommer dem Ende zu, und der Winter war auch schon weiter weg. Der Sommer ist doch eigentlich viel schöner als der Winter. Winter bedeutet Depressionen, Suizide, Kälte, Grausamkeit, Endzeit. Doch bei genauerem Hinsehen hat auch die wärmste Jahreszeit ihre Schattenseite: Wieso nur muss jeder Polterabend der ganzen Schweiz in Luzern stattfinden?

Der Sommer in Luzern ist ein Traum. Nicht so wie der Winter. Der Winter ist schwierig. Nebel, nichts als Nebel; diese blödeste Erfindung des Wetters seit es Wetter gibt. Depressionen, Suizide, Kälte, Grausamkeit, Endzeit. Und genau deshalb gibt es ja den Sommer. Die Kompensationsjahreszeit für ein halbes Jahr (Frühling und Herbst taugen eigentlich auch nichts) voller Qualen und Dramen sozusagen.

Ein Fronturlaub vom inneren Winterkrieg, würde ich sagen. Kein Wunder, schiessen sich die Leute im Norden am häufigsten tot. Grönland soll Spitzenreiter sein. Vielleicht will Trump es ja genau darum kaufen; in der Hoffnung neue Absatzmärkte für halbautomatische Feuerwaffen zu schaffen. Wie auch immer...

Traumhafte Luzerner Sommertage...

Bis anhin war es ein guter Sommer. Ein sehr guter sogar. Wo man hinsieht, nette und lächelnde Menschen. Fast so wie in Thailand. Da war ich zwar noch nie, aber anscheinend ist das nicht mal ein Klischee. Auch das Essen von dort mag ich: Sehr zu empfehlen das kleine Lokal in der Schlossergasse.

Aber ich schweife schon wieder ab. Also: Der Sommer in Luzern ist etwas vom Besten, was man überhaupt erleben kann. Die Stadt bietet alles für ein glückliches Leben, und Einheimische und Touristen leben in mehr oder weniger symbiotischer Gemeinschaft – ein Kitsch-Paradies für harmoniesüchtige Gelegenheitsromantiker wie mich. Es gibt nur ein kleines, aber entscheidendes Problem!

...allerdings mit Einschränkungen

Wieso zum Teufel muss jeder Polterabend der gefühlten ganzen Schweiz in Luzern stattfinden? Wenn jetzt der Säulizüchter aus dem Hinterland mit seinen Ländlerfreunden im Edelweisshemd stockbesoffen ein letztes mal ein bisschen Stadtluft schnuppern will, ehe er sich bis ans Lebensende in den Stall der Ehe zurückzieht, hab ich ja noch halbwegs lokalpatriotisches Verständnis.

Auch wenn die fesche Margrit aus St. Erhard oder so mit ihrem schäbigen Schleier im Beisein ihrer einzigen Freundin und mit zehn weiteren Halbbekanntschaften aus Gymnastikgruppe, Turnverein und Landfrauenküche im Schlepptau ein paar Getränke an den Mann bringen will, um die Hochzeitsreise nach Sursee zu finanzieren, kann ich noch ein Auge zudrücken.

Aber mittlerweile kommen diese Hochzeitsfaschisten von überall her nach Luzern, um die Sau raus zu lassen und mir den Schlaf zu rauben: Aus Bern, aus dem Aargauischen, aus dem Baselbiet, ja gar aus dem Zürcherischen. Das ist eine Invasion, der sofort und unmittelbar Einhalt geboten werden muss!

Wenn bloss diese Polterabende nicht wären

Und sowieso und ganz im Allgemeinen muss jetzt einfach gesagt werden, dass diese Stadt-Polterabende an Fremdschämen nicht zu überbieten sind. Während sich die Männer wenigstens naturgemäss auf primitivste Art und Weise voll laufen lassen und dabei häufig extrem lustige T-Shirts mit Aufschriften wie «Poltersaufclub», «Team Bräutigam», oder «Die Jagd ist vorbei» tragen und im Zuge dessen zu natürlich lustig gemeinten sexuellen Belästigungen neigen, sind Frauenpolterabende in ihrer grausamen Ausgeburt noch viel schwieriger zu ertragen.

Dabei läuft die sturzbetrunkene Braut mit eben beschriebener bester Freundin etwa sieben Meter voraus, während die vielen abstinenten Vereinsbekanntschaften – meist weil schwanger – mehr als gelangweilt und voller Scham hinterherwatscheln und dabei eine Fratze ziehen wie ihre baldige Niederkunft auf dem Ultraschallbild. 

In Anbetracht solch grässlicher Bilder verliert dann eben auch mein ach so geliebter Sommer seinen Glanz. Der Poltergeist gehört ausgeschafft. Am besten nach Grönland.

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Claudio Fenner ist ein passionierter Stadtmensch mit Hang zu hedonistischer Landstreicherei, Glücksspiel und Schrebergärten. Als Traumtänzer und Schlafwandler zieht er in Luzern seine Runden, beobachtet und taucht auch mal in einer Bar auf. Dabei passieren dem Flaneur oft seltsame und skurrile Dinge, die es verdienen, aufgeschrieben zu werden.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Stiggu LePetit
    Stiggu LePetit, 24.08.2019, 08:48 Uhr

    Geil geil geil! Danke dafür!

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