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Spektakel mit Menschen zog früher die Massen an

«Sudanesen-Dorf» und «Togo-Truppe»: Völkerschau in Luzern

Im Zirkus Knie wurden exotische Menschen in Völkerschauen gezeigt. (Bild: Sammlung Rea Brändle)

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen auch in Luzern vermehrt Völkerschauen auf. Dabei wurden exotische Menschen zum Begaffen teilweise nackt ausgestellt. Dazu gehörten oft auch einstudierte Aufführungen. Die Werbung sprach beispielsweise von 35 schönen «Togo-Mädchen» und «Fetisch-Priesterinnen».

Im 19. Jahrhundert war Luzern zu einem sehr beliebten Ort für Touristen geworden. Das idyllische Bergpanorama und die schöne Lage am See zogen haufenweise Besucher aus den angrenzenden Ländern in die Zentralschweiz. Damit stieg auch die Nachfrage nach Unterhaltung und Amüsement in der Stadt.

Eine Art dieser Unterhaltung stellten ab den 1870er-Jahren Völkerschauen dar. Bis 1933 entwickelten sie sich zu regelrechten Massenphänomenen. Auch bei der Luzerner Bevölkerung waren diese sehr beliebt. Erstmals konnten weisse Europäer «echte Völker» aus «anderen Welten» sehen und begaffen.

In Luzern selten, aber beliebt

In Luzern fanden diese Völkerschauen zwar nicht so regelmässig statt wie zum Beispiel in Zürich oder Basel, doch auch in der Zentralschweiz waren die vereinzelten Shows sehr beliebt und gut besucht. Die Menschen wurden zwar nicht auf dem Zoogelände wie Tiere ausgestellt. Dennoch mussten sie – zur Unterhaltung der Bevölkerung – inszenierte Shows aufführen.

Diese Shows fanden in diversen Luzerner Restaurants und Lokalen statt und galten als einmalige Attraktionen. Sie wurden als grosses Spektakel angepriesen und man sorgte mit viel Werbung dafür, dass alle es mitbekamen, wenn eine neue Show in Luzern anstand. Dem grossen Aufwand für die Anpreisung der Shows ist es zu verdanken, dass bis heute viele Inserate aus Zeitungen erhalten geblieben sind. Diese zeigen auf, dass geschickte Werbung und Marketing nichts Neues ist.

Schon damals wurde viel Marketing betrieben, um die Shows zu bewerben.
Schon damals wurde viel Marketing betrieben, um die Shows zu bewerben. (Bild: Luzerner Tagblatt, 22.07.1898 / Hannes Küttel)

Amazonen und Azteken in Luzern

Als die sogenannte Togo-Truppe 1898 nach Luzern kam, konnte man auf den Inseraten zum Beispiel lesen, dass «die Togo-Truppe zum ersten Male in Europa und nur für vier Tage im Löwengarten zu bestaunen ist». Andere Werbungen sprachen auch von 35 schönen «Togo-Mädchen» und «Fetisch-Priesterinnen» aus dem «Togolande Westafrikas» welche im Löwengarten eine Show vorführten.

1901, also drei Jahre später, fand das nächste grosse «Spektakel» in Luzern statt. Neben dem Bahnhof, am eidgenössischen Schützenfest, wurden «30 wilde Amazonen» als grosse Attraktion beworben. Im selben Jahr war auch der Stadtkeller am Sternenplatz Aufführungsort einer mittelamerikanischen Truppe, die ausgestellt wurde und begafft werden konnte. Als «die letzten noch lebenden Menschen vom Stamme der Azteken» und «die Menschen mit den Vogelköpfen» wurden sie auf reisserische Weise angepriesen. Auch im Restaurant Eichhof konnten 1902 zwei Dutzende Menschen in einem inszenierten «Sudanesen-Dorf» begafft werden.

1905 fand die wohl grösste Show statt, die Luzern gesehen hatte. Im Hotel Europe fand eine sogenannte Indien-Show statt, in der 70 Menschen aus Indien ein klischeehaftes Bild der indischen Kultur inszenierten. Mit sechs Elefanten, zwölf Zebus und zehn Zwergeseln sorgte diese grosse Gruppe für ein riesen Spektakel in der Innerschweiz.

Mittels Inserat im Luzerner Tagblatt wurden die «Fetisch Priesterinnen» beworben.
Mittels Inserat im Luzerner Tagblatt wurden die «Fetisch Priesterinnen» angepriesen. (Bild: Luzerner Tagblatt, 24.07.1898 / Hannes Küttel)

Beim Zirkus Knie gehörten Völkerschauen zum Programm

Neben diesen grösseren Veranstaltungen waren ausgestellte Menschen, vor allem aus Mittel- und Südafrika, auch immer wieder an Jahrmärkten als Nebenattraktionen anzutreffen. In kleinen inszenierten Dörfern wurden die Menschen aus der vielfältigen Kulturlandschaft in Afrika in einer primitiven Weise als Wilde inszeniert. Dort tanzten sie, trommelten oder assen rohes Fleisch für ein bisschen Kleingeld. Auch im Zirkus Knie waren Völkerschauen für viele Jahrzehnte ein wichtiger Bestandteil des Programms. In Seitenzelten wurden Menschen aus allen Teilen der Welt wie exotische Tiere ausgestellt.

Das regelmässige Gastieren des Zirkus auf der Allmend brachte die Völkerschauen alle Jahre wieder vor die Haustüre der Luzerner Bevölkerung. Bis in das Jahr 1964 fanden Völkerschauen des Zirkus Knie statt. Auch an den traditionellen und beliebten Umzügen an der Fasnacht genossen die Klischees der Menschen aus Afrika grossen Anklang. Schwarz geschminkte und als kannibalische und kriegerische «Wilde» verkleidete Schweizer waren an Fasnachtsumzügen ganz normal.

Inszenierung war weitaus wichtiger als Authentizität

Reisserische Plakate, die durch klischeehafte Darstellungen ergänzt wurden, sorgten also für grosse Aufmerksamkeit. Die in den Werbungen angepriesenen Klischees wurden schliesslich durch die primitive Inszenierung des «Lebens eines Afrikaners» in den Völkerschauen bestätigt. So bestand eine Show grundsätzlich immer aus den gleichen wiederkehrenden Elementen. Am Beispiel der Show im Löwengarten von 1898 lassen sich diese sehr gut aufzeigen. Hannes Küttel beschrieb den Ablauf dieser Show in seinem Buch «Geschichte und Geschichten zwischen Hof und Friedberg».

Für die Aufführungen erstellte man mit Bühnenbildern, gemalten Fassaden, Hütten und Zelten ein kleines «Dorf», das möglichst primitiv dargestellt wurde. Inmitten der kleinen Strohhütten und einem Lagerfeuer zeigten die Menschen (die «Togo-Truppe») eine einstündige Aufführung. Die Show beinhaltete Tanzeinlagen und Gesänge bis hin zum Erscheinen böser afrikanischer Geister. Sie ehrten den König Togos und führten Ringkämpfe durch. Die Frauen waren leicht bekleidet, oben ohne oder sogar ganz nackt ausgestellt. Anstatt normal zu reden, mussten die ausgestellten Menschen oft auch Tiergeräusche imitieren.

Solche inszenierten Dörfer, wie in Zürich, wurden auch in Luzern als Kulisse für die Aufführungen genutzt.
Solche inszenierten Dörfer, wie in Zürich, wurden auch in Luzern als Kulisse für die Aufführungen genutzt. (Bild: Rea Brändle / «Wildfremd, hautnah»)

Realitätsferne Aufführungen

Weil auch sonst kaum etwas der Realität entsprach, mussten die Gruppen die Abläufe vorher einüben. Die aufgeführten Elemente hatten selten etwas mit der Realität der Leben der Menschen aus Afrika zu tun. Zudem wurde für die Werbewirksamkeit oftmals die echte Nationalität der Menschen ignoriert. Die sogenannte «Togo-Truppe» bestand wohl kaum aus Menschen aus Togo. Häufig wurde den dunkelhäutigen Menschen einfach eine passende Nationalität zugeschrieben, um dem Werbeslogan besser zu entsprechen und den «exotischen Faktor» hervorzuheben.

Das Hauptziel der Shows war es nicht, das Leben und die Kulturen der Menschen wiederzugeben. Es ging vielmehr um eine Inszenierung und ein Spektakel, welches das bot, was die Menschen sehen wollten. Möglichst spektakulär sollten die Shows werden und möglichst viele Menschen anziehen.

Analogie zu Theateraufführungen

Die Historikerin Anne Dreesbach vergleicht die Shows auch mit Theateraufführungen und schreibt: «Die Besucher zahlten Eintritt, um sich ein Stück (das Volk der jeweiligen Schau) anzusehen, das vom Veranstalter in einer bestimmten Weise (zum Beispiel als «Eingeborenendorf») inszeniert worden war. Dazu hatte er geeignete «Schauspieler» ausgewählt, die einen Text (den Ablauf des Programms) lernten und Kostüme (die angebliche oder tatsächliche Tracht ihres Volkes) trugen.»

Dieses dunkle Kapitel der Geschichte fand auch in Luzern Anklang und erfreute sich trotz weniger grosser Präsenz als in anderen Kantonen der Schweiz grosser Beliebtheit.

Woher kam das Interesse an den Völkerschauen?

Das grosse Interesse an den Shows ist unter anderem durch das Vergnügungsbedürfnis nach nie gesehenen Sensationen zu erklären. Die Menschenausstellungen und Völkerschauen waren auch in der Schweiz sehr beliebt. In der prüden europäischen Gesellschaft sorgten erotische Faszination, die nackten Beine und Brüste für viel männliches Publikum. Es war die einzige öffentliche Einrichtung, in der man im Einklang mit den gesellschaftlichen Normen nackte Körper zu sehen bekam.

Durch ethnologisches Showbusiness wurden die Menschen zur Unterhaltung und zum Amüsement der Europäer, welche die eurozentrischen Vorurteile «der Wilden» bestätigten. In grotesker Weise wurden die Kulturen aus Afrika als primitiv und «wild» dargestellt. Diese Inszenierung der Afrikaner als «wildes Volk» trug entscheidend dazu bei, eine zivilisatorische Überlegenheit ins Volksgedächtnis zu tragen.

Verwendete Quellen
  • Anne Dreesbach, Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des «Fremden», in: Europäische Geschichte Online (EGO), Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (Hg.), Mainz, 2017.
  • Hannes Küttel, Geschichte und Geschichten, zwischen Hof und Friedberg, Luzern, 2019.
  • Manuel Menrath, Afrikaner im Kanton Luzern, in: Fremde Bilder, Koloniale Spuren in der Schweiz, Karin Fuchs, Manuel Menrath, Heinz Nauer, Sabine Ziegler, Luzern, 2011, S. 126–136.
  • Rea Brändle, Wildfremd, hautnah, Zürcher Völkerschauen und ihre Schauplätze 1835–1964, Zürich, 2013.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von ccc
    ccc, 27.11.2022, 14:51 Uhr

    😳 unglaublich

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  • Profilfoto von Laura
    Laura, 04.11.2022, 12:37 Uhr

    Super Artikel! Es ist wirklich schrecklich, vor allem wie lange diese Shows stattfanden…bis in die 60er Jahre 🙁

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