«Damals»
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Einst geliebt, dann aufs Abstellgleis gestellt

Darum hat sich das Tram in Luzern nie durchgesetzt

Um 1960: die Tage der Tram sind gezählt. (Bild: VBL-Archiv)

Lärm und Gestank brachte am Ende des 19. Jahrhunderts die Dampf-Tramway der Kriens-Luzern-Bahn ins Quartier Obergrund. Ein schweres Bahnunglück 1894 war dann die Initialzündung für das städtische Tramprojekt. Doch die anfängliche Euphorie der Bevölkerung verwandelte sich schon bald in Ablehnung dieses «Verkehrshindernisses».

Mit der Maschinenfabrik Bell, der Seidenspinnerei und der Teigwarenfabrik mauserte sich das Dorf Kriens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Industriestandort. Nur der verkehrstechnisch so wichtige Eisenbahnanschluss blieb Kriens vorenthalten. Selbst grosse Geldsummen der Industriegemeinde konnten die Bahnplaner nicht von einer Variante Ränggloch-Kriens überzeugen.

Kriens-Luzern-Bahn als Vorläufer

Kanton und Stadt hatten sich beim Bau der Bern-Luzern-Bahn für die Anbindung über Littau entschieden. Der Industrielle Theodor Bell, sozusagen der Innerschweizer Alfred Escher, gab aber nicht auf: Mit einer dampfbetriebenen Strassenbahn wollte er den Anschluss ans Schweizer Eisenbahnnetz erreichen. Und der einflussreiche Grossrat der Liberalen setzte sich schliesslich 1885 durch. Mit 50'000 Franken übernahm er auch den grössten Aktionärsanteil an der neuen Kriens-Luzern-Bahn (KLB).

Seine liberalen Stadtratskollegen in der Leuchtenstadt konstatierten: «Was Kriens zu der Bedeutung gehoben hat, die es im geschäftlichen Verkehr mit Luzern einnimmt, sind seine Industrien, welche bis heute den Kampf mit der allgewaltigen Konkurrenz erfolgreich bestanden haben. Aber die Schwierigkeiten, mit welchen nicht nur die Krienser Etablissements, sondern die gesamte schweizerische Industrie zu kämpfen hat, werden immer grösser und es verlangt das Gebot der Selbsterhaltung, dass sich die Industriellen mit allen Vorteilen ausrüsten, welche ihre Konkurrenzfähigkeit bedingen. Zu diesen Bedingungen gehören offenbar die möglichst günstigen Transport-Einrichtungen, im vorliegenden Falle der direkte Anschluss an die Schienenwege, welche die Zufuhr der Rohstoffe und die Abfuhr der Industrie-Produkte erleichtern.»

«Todtenfest» für die Kutschen

Wie vielerorts in Europa wandelte sich mit dem Bau der KLB 1886 die Jahrtausende bestehende Mensch-Pferd-Symbiose zur Mensch-Maschine-Symbiose. Schon beim Festbankett am Eröffnungstag 20. Oktober 1886 bemerkte der Luzerner Postdirektor Nager, dass das Fest für ihn ein «Todtenfest» sei. Das «Luzerner Tagblatt» zitiert ihn so: «Wiederum sei heute eines seiner lieben Kinder, der Postkurs Luzern-Kriens, zu Grabe getragen worden. So raffe ihm die Eisenbahn eines um das andere seiner Kinder dahin.»

Nostalgiefahrt im Jahr 1986 zum 100-jährigen Jubiläum der Kriens-Luzern-Bahn.
Nostalgiefahrt im Jahr 1986 zum 100-jährigen Jubiläum der Kriens-Luzern-Bahn. (Bild: Hans-Peter Bärtschi/ e-pics/ ETHZH-Archiv)

Der Wechsel vom Pferd zum Dampfross erfüllte den Quartierverein Obergrund keineswegs mit Fortschrittsbegeisterung. Die auf Normalspur angelegte Strassenbahn sorgte mit Russ, Dampf und Gestank für Verärgerung im Quartier. Die vom Fabrikanten Bell lancierte KLB kam den Bedürfnissen der Bevölkerung kaum entgegen. Zwischen Kupferhammer und Pilatusplatz war ein Zustieg nur an der Haltestation an der Kreuzung nach Horw möglich.

Zugunglück befeuert Kritik

Die Kritik schwoll zu einem übermächtigen Chorus an, als 1894 ein schweres Zugunglück zwei Tote forderte. Am 20. Juni 1894 löste sich ein mit zehn Tonnen Kohlen beladener Waggon bei der Station Kriens. Er riss den Bahnbeamten Hans Stamm in den Tod, als er diensteifrig versuchte, den vagabundierenden Waggon zu stoppen. «Mit steigender Geschwindigkeit», berichtet das «Luzerner Tagblatt», «ging die unheimliche Fahrt weiter.»

Am Ende kam es nicht zum Happy End. Auf dem Pilatusplatz, wo eine Drehscheibe die Verbindung zum Bahnhof herstellte, wurden zwei weitere Waggons erfasst. Den hinteren Waggon schleuderte es auf das hölzerne Pissoir, in dem der italienische Bauarbeiter Luigi Spelti seine Notdurft verrichtete. «Schwer verwundet, namentlich am Kopfe und bewusstlos wurde er unter den Trümmern hervorgezogen.» Er verstarb darauf im nahegelegenen Bürgerspital.

Schon am Tag des Unglücks machte der Redaktor des «Vaterland» kritische Stimmen aus, welche die unhaltbaren Zustände anprangerten. Der Quartierverein Obergrund organisierte wenige Tage später eine Protestversammlung. In einer von fast 1000 Personen unterzeichneten Petition forderten die Teilnehmenden, dass nur noch Waggons mit Bremsen auf der KLB-Linie eingesetzt werden sollten. Zudem verlangten sie, dass das Trassee verlegt wird.

Hotellobby wehrt sich gegen Tram

Vertreter des Quartiervereins reisten nach Bern, sprachen bei der Eisenbahndirektion vor, stiessen jedoch auf taube Ohren. Aber die negative Kritik verhallte zumindest beim Verwaltungsrat der KLB nicht ungehört. So liest man im Sitzungsprotokoll vom 12. November 1895, dass man der «andauernden Anfeindungen» überdrüssig sei.

Mit einer anderen Streckenführung und elektrifizierten Loks sollte dem Übelstand begegnet werden. Noch fünf weitere Jahre stand die KLB unter Dampf. Im September 1900 war dann Schluss mit der Dampftramwaylokomotive der KLB. Elektrifiziert fuhr nun die ausschliesslich für den Güterverkehr konzipierte Linie von Kriens über den Eichhof zum Trassee der Brünigbahn und von dort zum Bahnhof Luzern.

1947/48: Noch herrscht eine friedliche Koexistenz zwischen Traum Bus vor.
1947/48: Noch herrscht eine friedliche Koexistenz zwischen Tram und Bus vor. (Bild: Gmeinfrei)

Auf dem Trassee der KLB verkehrte dagegen ein Tram. Vorausgegangen war ein langer Kampf um die Trambahn, bei dem die beiden Quartiervereine «Wächter am Gütsch» und «Obergrund» eine wichtige Rolle spielten. Trotz grossem Support aus der Bevölkerung meldete eine mächtige Lobbygruppe Widerstand an – die Hotelier-Lobby, angeführt von Oscar Hauser vom Schweizerhof. Verschandelnde Luftleitungen auf der Seebrücke und dem Schweizerhofquai war ihr Gegenargument.

In den Tramprojekten sah Hauser eine reine Modeerscheinung. Er wies darauf hin, dass selbst schöne Tourismusorte wie Baden-Baden keine Strassenbahn planen würden. Aber Oberst Geisshüsler von der Gesellschaft für Handel und Industrie (GHE) weibelte unentwegt für das Tram. Schliesslich setzte er zusammen mit den Quartiervereinen so grossen Druck auf, dass sich der Stadtrat der Forderung nicht länger entziehen konnte. Bei einer Abstimmung trug das Tram-Lager einen überwältigenden Sieg davon.

Unnützes Geplauder verboten!

Am 1. Dezember 1899  rückten die Tramwagen festlich geschmückt aus dem Depot im Eichhof aus. Beim Halt im Obergrund führte der Präsident des Quartiervereins Obergrund, A. Moser, aus, dass die Tragweite des Trams gerade im Quartier Obergrund schon längst erfasst worden sei. Man habe sich deshalb innerhalb des Aktionskomitees mit grossem Elan für die Strassenbahn eingesetzt. «Auch in der Abstimmung vom 2. Oktober 1896 hat das Quartier Obergrund glänzend dokumentiert, wie sehr es sich nach dem Tram sehnt und wie freudig sie dasselbe begrüsst.» Und er freut sich, dass schon ein Jahr später das Schienennetz bis nach Kriens erweitert werden sollte.

Tatsächlich wuchsen die Arme des Tramnetzes rasch. Vom Eichhof ging es 1901 weiter nach Kriens, vom Kreuzstutz ein Jahr später nach Emmenbrücke.

Das noch ungewohnte Publikum in Luzern wies Geisshüsler in seiner launigen Festansprache auf die neue Mobilitätsetikette hin. Da hiess es beispielsweise: «Du sollst nicht mit unnützen Geplauder und Fragen weder Wagenführer noch Kondukteure plagen.»

Zudem wurde an die Fussgänger appelliert, sich beim Herannahen eines Trams vom Gleiskörper zu entfernen. Das kümmerte einen pressierten Bürger auf der Station Bahnhof Kriens wenig. Er hat sich, so berichtete das «Luzerner Tagblatt» am 17. Juli 1907, «mitten auf das Gleis gestellt, um das Anhalten eines voll besetzten Wagens zu erzwingen». Nur durch das «plötzliche in Betrieb setzen der elektrischen Bremse» wurde er nicht überfahren. Bestraft wurde der Gleisblockierer indes nicht: Das geisshüslersche Regelwerk ist ausschliesslich in die stadtluzernischen und nicht in die Krienser Verordnungen eingeflossen. Deshalb musste der Statthalter seine verhängte Strafe für den gestressten Fahrgast zurücknehmen.

Der Niedergang des Luzerner Trams

Wie früher der Pferdekutsche ging es auch dem Tram im Wandel der Zeit an den Kragen. Die individuelle Motorisierung führte bereits in den 1930er-Jahren dazu, dass die Linie entlang der Haldenstrasse durch den Bus ersetzt wurde. Immer mehr wurde das Tram als Verkehrshindernis wahrgenommen und in den 1950er-Jahren war der Ruf unüberhörbar: Die Strassenbahn muss weg.

1957 zogen die Individualverkehr-Begeisterten mit dem Slogan «Trolleybus — das grosse Plus!» in die Abstimmung. Ihr Anliegen stiess auf offene Ohren. 71 Prozent stimmten dafür, dass elektrifizierte Busse mit Oberleitungen statt Trams für den öffentlichen Nahverkehr zum Einsatz kommen sollten.

Bewährungsprobe für Trolley-Busse im Winter auf dem Pilatusplatz.
Bewährungsprobe für Trolley-Busse im Winter auf dem Pilatusplatz. (Bild: Emanuel Ammon)

Schon um 2000 war jedoch klar: Bei chronisch verstopften Strassen wäre das Tram mit eigenem Gleiskörper im Vorteil. Ein Luzerner Verein träumte damals von einer Strassenbahn-Renaissance. Er scheiterte aber am Zweckverband öffentlicher Agglomerationsverkehr Luzern (ÖVL), der mit seiner Kostenberechnung die Politik erschreckte. So blieb es und bleibt es dabei: Zu Stosszeiten sind auch die grossen Doppelgelenk-Bus-Monster der Linie 1 eine Sardinenbüchse im Stau.

Hinweis: Der Verein UntergRundgang kommt in den Obergrund zum 150. Jubiläum des gleichnamigen Quartiervereins und erzählt Geschichten von einschneidende Veränderungen wie dem Tram, von Bierbrauern, Hotel- und Kirchenbauern u.v.m.

Verwendete Quellen
  • Paul Schneeberger: Die Verkehrsbetriebe der Stadt Luzern. 100 Jahre Tram, Autobus und Trolleybus, Luzern, 1999
  • «Vaterland», «Luzerner Tagblatt»
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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