Campus
Blog

Wer, wo, was? Warum!

Gedanken einer Studentin, die mitten in der Why-Generation gelandet ist. Ohne schlechtes Gewissen.

Montagabend. Ich treffe mich mit einer Freundin in Luzern. Wie das Studentenleben denn so sei, fragt sie. «Es ist toll. Ausschlafen, lesen, lernen.», antworte ich. «Schöggeler-Leben», beschreibt sie den Zustand.

Einige Wochen später stellt sie mir dieselbe Frage erneut. «Schrecklich. Drei Referate. Zwei Essays. Und eine Fallstudie.» antworte ich. Ach, ja wir: «Armen Studierenden», meint sie tatsächlich, ohne dabei ironisch zu werden. Auch wenn ich mich sehr glücklich schätze, studieren zu dürfen, nehme ich mir trotzdem die Freiheit heraus, ab und an darüber zu jammern, wie herausfordernd das Studierendenleben werden kann. Ich bemitleide mich selbst weiter, bis sie mich fragt: «Warum tust du dir das eigentlich an?» Ich verstumme. Ja, warum eigentlich? Und warum fragt keiner nach dem Warum? Das Was, Wo, Wie, Wie lange noch etc. scheint die Menschen zu interessieren. Aber nicht das Warum.

Ich spiele also einige Antwortmöglichkeiten im Kopf durch und entscheide mich – zu meinem Erstaunen –  für die Einfachste: «Keine Ahnung». Als wir uns verabschieden, gehe ich die Möglichkeiten erneut durch. Ich fange mit den Klassikern an: «Damit ich später mal besser verdiene und einen interessanten Job machen kann?» Naja, den Zeitungen geht’s dreckig und ich bin auf bestem Wege, tatsächlich einmal in einer Redaktion zu landen. Und auch die Illusion von einem abwechslungsreichen Traumjob wurde mir vor langer Zeit genommen. Denn auch Forschung und Entwicklung neuer Riechstoffmoleküle kann dreckslangweilig werden. «Weil ich gerne lerne?», fahre ich fort. Wenn das wirklich wahr wäre, müsste ich dann nicht mehr für die Uni tun? Zum Beispiel mal einen Zusatztext lesen vielleicht? «Weil ich gerne denke?» Wir kommen dem Ziel schon näher.

Eine andere Generation

Ein Wort schwebt in meinen Gedanken. Ein Wort, das ich mich kaum traue hier niederzuschreiben. «Selbstverwirklichung.» Fast schon so zerpflückt wie der Ausdruck «Why-Generation». Und so frage ich mich – wie es sich für meine Generation brav und artig gehört – nach dem Warum.

Warum ist «der Selbstverwirklichungstrip der faulen Studenten», wie es ein mittlerweile pensionierter, kleingewachsener Unternehmer mir gegenüber einmal ausdrückte, zum Unwort geworden? Sind wir es unseren Vorfahren nicht schuldig, davon zu profitieren, das zu geniessen, wofür sie einst gekämpft haben? Mein Grossvater lebt in der Ukraine. Er hat eine Krise nach der anderen miterlebt und macht derzeit die nächste mit. Und auch wenn ich ihn schon zu lange nicht besucht habe, weiss ich, dass er nicht mich für die Krisen verantwortlich macht und mir in keinster Weise mein Leben missgönnt. Nein, er würde mir wohl sagen, dass er sich nur das Beste für mich wünscht. Was nach einer Ausrede zum Faulenzen klingt, sehen wir «Why’s» demnach schon fast als Verpflichtung an, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen. Eine ziemlich verwirrende Situation.

Zum Glück ändern sich die Zeiten

In unserer Welt passieren täglich schreckliche Dinge. Aber wir entwickeln uns auch weiter. 1970 hätte ich wohl kaum Politik studieren können, geschweige denn abstimmen. Nun aber habe ich als Frau eine Stimme. Diese werde ich in dieser Kolumne einsetzen. Mal lauter, mal leiser. Mal chaotisch, mal dem Pfad entlang. Mal werde ich über banale Themen schreiben und dann vielleicht auch wieder über ernstere. Ich nehme mir die Freiheit heraus, mich selbst zu suchen und zu finden. Nicht, weil ich mich für die nächste Millicent Garrett Fawcett halte, sondern weil ich mich weiterentwickeln will, um der Welt zu erlauben sich selbst weiterzuentwickeln. Mittlerweile bin ich ziemlich zufrieden mit meiner Antwort. Obwohl ich weiss, dass ich den Term «die Welt verbessern» auch weniger naiv klingen lassen könnte. Doch eins will ich noch festhalten. Sollten meine Enkel einmal ein schlechtes Gewissen haben, weil es ihnen besser ergeht als der alten Oma Sofiya, dann hoffe ich, sie finden diesen Text. Meine Enkel werden aber wohl bis dahin ihre eigenen Fragen entwickelt haben.

Themen
Campus
Blog
Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon