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Warum der Austausch unter Studierenden wichtig ist

Wir sollten mehr über unsere Gefühle sprechen

Sich mit anderen austauschen hilft, zu erkennen, dass man mit seinen Sorgen nicht alleine ist. (Bild: pexels)

«Wie geht’s?» – «Gut, und dir?» – «Danke, auch.» Oder: «Gut, aber ein bisschen müde.» – «Ja, viel zu tun, gell.» Statt zu erzählen, wie es ihnen wirklich geht, antworten die meisten Leute etwas Nichtssagendes in dieser Art. Die Frage ist ja sowieso nur eine Floskel. Schade, finde ich.

In einem Philosophieseminar zum Thema «Kohärenz im Denken» lasen wir einen Text, der dafür plädiert, Gefühlen einen Platz im «guten Denken» zu geben. Kurz: Gefühle sollen als ebenso starke Argumente wie Kohärenz gelten. Wenn also zum Beispiel eine Geschichte erzählt wird und all ihre Teile kohärent sind, den anerkannten Fakten entsprechen, aber das Gefühl einem sagt, dass etwas nicht stimmen kann, dann sollte man diesem Gefühl nachgehen, schreibt die Autorin. Dafür muss aber das Erkennen und Umgehen mit Gefühlen gelernt werden, analog dem Lernen von kohärentem Denken.

Die eigenen Gefühle erkennen

Die Autorin bezieht sich zwar auf nichtkomplexe Gefühle, wie spontane Aversion oder Attraktion, aber der Gedanke mit dem Umgang mit den eigenen Gefühlen stimmte mich trotzdem nachdenklich. Wissen wir denn überhaupt, wie es uns wirklich geht, wenn uns jemand fragt? Ich denke, im Grunde schon. Doch oft bringen wir diese Gefühle nicht zur Sprache. Wir fertigen andere und im Endeffekt auch uns selbst zu schnell ab, indem wir stets behaupten, es ginge uns gut. Aber was heisst denn das überhaupt, es geht mir «gut»?

«Gut»

Im Vergleich zu Personen in anderen Ländern, wo Krieg herrscht oder Dürre oder der Zwang, einem gefährlichen Beruf nachzugehen, um die Familie über Wasser zu halten, geht es den meisten von uns, gerade im privilegierten Umfeld einer Universität, natürlich sehr gut. Aber solche Vergleiche ändern nichts daran, dass auch wir Probleme haben. Simone hat seit zwei Monaten unerklärliche Rückenschmerzen, bei Patrick streiten die Nachbarn jeweils bis tief in die Nacht hinein, Milena spürt bei nichts mehr Freude und Sandro kann nicht mehr als zwei Seiten aufs Mal lesen, weil ihm dann die Gedanken kreisen und der Kopf schwer wird.

Fragt man die vier beim Begrüssen, wie es ihnen geht, werden alle sagen «gut». Die einen vielleicht überzeugter als die anderen. Es ist auch verständlich, man möchte ja nicht nörgeln und hat eh meistens keine Zeit, die ganze Geschichte zu erzählen. Und viele Leute, auch an einer kleinen Uni wie der Uni Luzern, kennt man ja doch nicht so gut, dass man gleich persönlich werden will.

Dabei täte es uns gut, etwas mehr von unseren Gefühlen zu erzählen. Dass Simone ständig fehlt, weil sie Termine im Spital hat, ist denn auch schnell erklärt. Und Patricks Mate-Kaffee-Kombo und die miese Laune vor dem 8-Uhr-Seminar sind auch verständlich, wenn er sich mal über die Nachbarn beschweren kann.

Wie es uns wirklich geht – die wahren Gefühle

Bei Milena und Sandro wird es aber etwas schwieriger. Doch wenn sie die Frage ehrlich beantworten, ist schon viel geholfen. Nicht nur ihnen selbst, sondern auch der fragenden Person. Denn ihr geht es meistens auch nicht einfach «gut». Das braucht aber auch ein gewisses Gespür, denn nicht alle möchten auch wirklich hören, wie es denn tatsächlich geht. So versuche ich aber immer wieder, ehrlich zu antworten, wenn man mich nach meinem Gemütszustand fragt. Nicht immer, aus den oben genannten Gründen. Doch wenn Zeit da ist und ich die Person ein Stück weit kenne und ihr vertraue, dann erzähle ich, wie ich mich fühle:

Dass ich gerade wieder viel zu müde bin, weil ich bis um drei Uhr nachts der morgendlichen Deadline entgegentippte. Dass ich dadurch wieder in einen Teufelskreis von Müdigkeit, Stress und noch mehr Ablenkung gerate, in dem ich mich regelmässig wiederfinde. So erzählt mir denn auch Milena, dass sie eine Leere verspürt, dass sie zwar super Noten schreibt, jedoch keine schöne Zukunft vor Augen hat. Und Sandro erzählt mir, dass er genauso Mühe hat beim Erledigen von Aufgaben wie ich. Dann erzählt uns aber auch Elena, dass wissenschaftliche Texte zu lesen bei ihr eine so einfache Angelegenheit ist, wie die Steuererklärung auszufüllen. Und Jordan, der lieber nicht erzählt, wie es ihm geht, hört trotzdem, dass er mit seinen Sorgen nicht alleine ist.

Weg vom Stigma

Es muss natürlich niemand erzählen, der nicht will. Doch durch all diese Gespräche, die aus der Floskel eine ehrliche Frage machen, habe ich zwei Dinge gelernt. Erstens: Den meisten Personen geht es nicht «gut». Zweitens: Hilfe holen ist hingegen ganz «gut». Die Universität Luzern bietet zum Beispiel zusammen mit den Hochschulen psychologische Beratungen an. Bis zu fünf Sitzungen dürfen Studierende, Dozierende und Mitarbeitende kostenfrei in Anspruch nehmen, danach muss man eine andere Fachperson aufsuchen, wenn man weiterhin Unterstützung erhalten möchte. Die Krankenkassen müssen dies auch bezahlen.

Und während vor ein paar Jahren noch ein starkes Stigma rund um psychologische Probleme herrschte, scheint dieses langsam zu verschwinden. Vermutlich, weil wir endlich offener darüber reden. Und doch ist noch ein gewisses Unbehagen da, wenn mal jemand erzählt, dass es ihm nicht gut geht und offen über seine Gefühle spricht.

Was entgegnet man Milena, wenn sie erzählt, dass sie permanent unglücklich ist? Wie soll man Sandro erklären, dass er doch einfach stillsitzen und den Text lesen soll? Oftmals übersteigt es unsere Kompetenzen, und wir können nur von dem erzählen, was wir selbst erlebt haben oder eben was unsere Kollegen uns erzählt haben. Vor allem aber können wir zuhören. Und darauf hinweisen, dass Hilfe holen etwas Gutes ist. Etwas richtig «Gutes».

Verwendete Quellen
  • Webseite Universität Luzern – Psychologische Beratung
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Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Bürkli
    Bürkli, 13.06.2022, 14:40 Uhr

    Richtig Herr Moreno! Danke für den Beitrag.

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 23.05.2022, 14:21 Uhr

    „Wir sollten mehr über unsere Gefühle sprechen.“ Nein, sollt Ihr nicht. Ihr sollt mehr studieren.

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  • Profilfoto von Groucho
    Groucho, 23.05.2022, 13:29 Uhr

    «Wie geht’s – gut und dir» ist eine Einsteiger-Floskel oder ein «Eisbrecher»; danach entwickelt sich ein Gespräch – oder eben auch nicht – je nach Status der Beziehung der Protagonisten.
    Niemandem käme in den Sinn, zu sagen: «Hallo Fritz, ich bin unglücklich und du ?»
    Ich wüsste nicht, was man daran ändern sollte – ist doch «gut» so…

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