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Eine etwas andere Pendler-Geschichte

Eine unterhaltsame Zugfahrt. (Bild: Aura)

«Fräulein, darf ich mich zu Ihnen setzen?» So begann eine der amüsantesten und skurrilsten Begegnungen, die ich seit Langem hatte …

Draussen war es einer dieser bitterkalten Abende, wie wir sie zurzeit häufig erleben. Ich hatte mich gerade in den Zug gesetzt. Endlich Feierabend, dachte ich. Da noch fast alle Abteile um mich herum leer waren, wollte ich genüsslich meine Beine ausstrecken und schon stand er vor mir: Ein etwas verwirrt wirkender älterer Mann. «Fräulein, darf ich mich zu Ihnen setzen?», fragte er und zeigte auf den Sitz mir gegenüber. Ich muss wohl etwas komisch aus der Wäsche geguckt haben, denn schnell fügte er hinzu: «Keine Angst, ich tue Ihnen nichts.» Diese Äusserung entlockte mir ein kleines Schmunzeln. Angesichts seiner körperlichen Verfassung wäre er wohl wirklich der Letzte gewesen, vor dem ich mich gefürchtet hätte. So setzte er sich mir gegenüber. Etwas umständlich verstaute er sein Billett im Portemonnaie. Mir viel auf, dass er unentwegt zitterte. Ich fragte mich gerade, ob dieser Herr an Parkinson erkrankt sei, da sagte er: «Wissen Sie Fräulein, es steigt noch jemand zu. Deshalb habe ich mich zu Ihnen gesetzt.» Erneut begann ich etwas verwirrt zu schmunzeln, denn nach wie vor waren wir praktisch die einzigen Fahrgäste in diesem Zugwaggon. Ich zählte kurz durch; mindestens zehn Vierer-Abteile waren noch frei. Es störte mich zwar keineswegs, mein Abteil zu teilen. Aber für mich war klar; dieser Typ führt irgendetwas im Schilde.

Wieder entlockte er mir damit ein Lächeln und etwas rot bin ich wohl auch geworden.

Tunlichst vermied ich den Augenkontakt mit ihm. Gut, dass der Zug soeben den Bahnhof Richtung Luzern verlassen hatte. Angestrengt schaute ich aus dem Fenster. Da tippte mir mein Nachbar aufs Knie. «Entschuldigen Sie Fräulein, haben Sie bis jetzt gearbeitet?» Höflich, aber knapp beantwortete ich ihm seine Frage. Ja, ich hatte bis gerade eben gearbeitet. Natürlich wollte der neugierige Passagier es jetzt ganz genau wissen. Wo ich denn arbeiten würde, ob ich mit meiner Arbeit zufrieden sei und so weiter. Nachdem ich ihm alle seine Fragen beantwortet hatte, zog er sein Resümee: «So jung, so klug, so freundlich und fleissig. Sie sind ein tolles Fräulein.» Wieder entlockte er mir damit ein Lächeln und etwas rot bin ich wohl auch geworden.

Die dritte Karte

Plötzlich drehte sich mein Nachbar hektisch zum Fenster um und suchte mit seinen Augen nervös das Perron ab, an welchem der Zug inzwischen gehalten hatte. Gerade als er zu einer Erklärung ansetzen wollte, näherte sich unserem Abteil ein junger Mann. Ein breites Lächeln trat aus dem Gesicht des alten Mannes hervor. Die beiden begrüssten sich mit einem kurzen Händedruck, so herzlich, als seien sie Enkel und Grossvater. Froh darum, dass mein Sitznachbar sein Zusteiger gefunden hatte, lehnte ich meinen Kopf zurück und schloss die Augen. Da tippte es wiederum auf mein Knie. «Fräulein, wissen Sie, wir beide, wir gehen jetzt den James-Bond-Film schauen.» Ich musste lachen. Ebenso ging es dem Enkel des Herrn. Das hielt den netten Herrn jedoch nicht davon ab, weiterzusprechen: «Wissen Sie Fräulein, Tobias (er zeigte auf seinen jungen Begleiter) ist ein kluger und freundlicher Junge.» Der junge Mann errötete etwas. Ich verstand den Zusammenhang nicht ganz zwischen James Bond und meinem Sitznachbarn, wurde aber sogleich aufgeklärt. «Bei ihm gibt es aber nicht so viele Frauengeschichten. Er ist eben sehr treu.» Um die Situation für Tobias nicht noch unangenehmer zu machen, gab ich einen kurzen undefinierbaren Laut von mir und blickte dann rasch aus dem Fenster. Da setzte der alte Mann zum Höhepunkt an. «Wir hätten eben noch eine dritte Kinokarte», sagte er.

In diesem Moment fuhr der Zug auf Gleis 14 ein und eine Stimme knirschte aus den Lautsprechern: «Luzern, Endbahnhof dieses Zuges. Wir bitten alle Fahrgäste auszusteigen und verabschieden uns von Ihnen.» Trotz dieses kurzen Intermezzos, mein Sitznachbar wartete noch immer auf eine Antwort. Leider müsse ich gleich auf den Anschlusszug, sagte ich den beiden. Als ich mich hierfür gerade erheben wollte, nahm der Mann meine Hand, drückte sie leicht und sagte: «Ade Fräulein. Dann halt ein anderes Mal.»

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Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
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