Luzerner Hochschule hilft mit

535 ukrainische Kinder: So meistern Schulen die Situation

Isabel Bartal ist Projektleiterin der PH Luzern. (Bild: ida)

Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine werden 535 geflüchtete ukrainischen Kinder in Luzern unterrichtet. Wie Schulen damit umgehen – und warum Lehrerinnen an der PH Luzern die Schulbank drücken.

Das war sich niemand gewohnt: Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine sind Tausende Ukrainerinnen mit ihren Kindern in die Schweiz geflüchtet.

Der Luzerner Sozialdirektor Guido Graf sprach kürzlich in einem Interview mit dem «Blick» von einer «grossen Herausforderung». «Wir haben derzeit im Kanton Luzern rund 6400 geflüchtete Personen untergebracht, ein Dorf in der Grösse von Beromünster. Das sind 65 Prozent mehr als im Vorjahr.»

Die geflüchteten Menschen aus der Ukraine waren auch für hiesige Schulen herausfordernd. Schliesslich standen Hunderte schulpflichtige Kinder da, die unerrichtet werden mussten. Im Kanton Luzern sind es nicht weniger als 535, die hier die Schulbank drücken (Stand Ende November); 200 davon alleine in der Stadt.

Die Schulen entscheiden, ob diese separate Aufnahmeklassen besuchen oder in die «normale» Regelklassen aufgenommen werden, wo die ukrainischen Kinder aber zusätzlichen Deutschunterricht kriegen.

Aufnahmeklassen – weil es nicht anders ging

Im Schulhaus Ruopigen gibt es vier Aufnahmeklassen für ukrainische Jugendliche. Sie werden halbtags unterrichtet – neben Deutsch und Mathe auch in musischen Fächer, damit der Schulalltag abwechselnd bleibt, wie Schulleiter Sacha Furrer auf Anfrage erklärt.

Lukas Keiser ist Prorektor der Volksschule der Stadt Luzern. Er ist verantwortlich für die Organisation der ukrainischen Klassen. «Die grosse Anzahl an geflüchteten Kindern mit keinerlei Deutschkenntnissen hat eine direkte Integration nicht ermöglicht», schreibt er auf Anfrage. Die Lernenden würden generell ein Jahr in der Aufnahmeklasse bleiben – dabei spiele die Herkunft keine Rolle. Nach einem Jahr werden sie in die Regelklassen integriert.

Ukrainische Kinder schätzen den Schulalltag

Die Aufnahme der ukrainischen Schülerinnen war auch für das Schulhaus Ruopigen herausfordernd. Man musste sehr schnell planen und organisieren – und mehrere Lehrpersonen finden, die ukrainisch oder russisch sprach. Zumal es auch Fingerspitzengefühl bei den geflüchteten Kindern brauchte, wie Furrer erklärt.

Nach wie vor ist der Schulalltag eine Herausfordeerung. Viele Geflüchtete wissen nicht, wie lange sie in der Schweiz bleiben. Teilweise wurde die Schulleitung erst im Nachinein darüber informiert, dass die Kinder mit ihren Eltern die Stadt Luzern verlassen haben. So seien manche sehr motiviert, die deutsche Sprache zu lernen, manche weniger, sagt Sacha Furrer.

Kommt hinzu: «Die kulturelle Anpassung an unser Schulsystem und unsere Regeln gestaltet sich nach wie vor als herausfordernd», so Furrer. Dass sich also alle Schüler an die Hausordnung halten – und beispielsweise nicht mit dem Handy im Unterricht spielen oder in der Trainerhose zum Schulunterricht erscheinen. Dennoch zieht er ein gutes Fazit: «Die Jugendlichen und Eltern schätzen es sehr, dass sie bei uns die Schule besuchen können und laufend ihre Deutschkenntnisse erweitern.»

Das lernen die Ukrainerinnen im Kurs der PH Luzern

Die PH Luzern hat bereits im Frühling ein Weiterbildungsangebot für Lehrpersonen aus der Ukraine ins Leben gerufen, die im Kanton Luzern ukrainische Kinder in den Aufnahmeklassen unterrichten. Derzeit führen PH und Kanton den Kurs ein zweites Mal durch. Die Kosten für die Teilnahme der Lehrerinnen übernimmt die von der Dienststelle Volksschulbildung.

Isabel Bartal ist Dozentin an der PH Luzern und leitet das Projekt. «Der Krieg in der Ukraine hat uns erschüttert», sagt sie. Sie betont, dass die PH Luzern als Hochschule den Lehrauftrag hat, Lehrpersonen weiterzubilden. «Deswegen wollten auch wir unseren Beitrag leisten und haben nach Absprache mit der Luzerner Volksschule und der kantonalen Asylabteilung innerhalb nur weniger Wochen das Projekt auf die Beine gestellt.»

Nach Kriegsbeginn im Februar 2022 hat die Stadt Luzern schnell reagiert und stadtweit Aufnahmeklassen für geflüchtete Kinder eröffnet. Als die PH Luzern das Projekt im Sommer gestartet hat, waren bereits 309 geflüchtete ukrainische Kinder im Kanton.  Damit diese möglichst schnell eingeschult werden konnten, suchten die Behörden Lehrpersonen, die die Kinder auf ukrainisch unterrichten konnten. Doch diese kannten den Schweizer Schulalltag nicht, was mitunter herausfordernd für die Lehrpersonen sein kann.

Die Weiterbildung soll die ukrainischen Lehrerinnen auf die Herausforderungen des Schulalltags in der Schweiz vorbereiten. Im Kurs werden die Teilnehmerinnen mit dem föderalistischen System in der Schweiz vertraut, sie lernen den Lehrplan 21 kennen. Dass die Schule keine Bundes- sondern Kantonsaufgabe ist, habe die ukrainischen Lehrpersonen zu Beginn oft irritiert, weiss Bartal. Dass also etwa Kinder je nach Kanton früher oder später zum Schulstart antraben müssen oder die Schulferien nicht überall gleichzeitig starten.

«Dass es bis jetzt kein vergleichbares Angebot gegeben hat, ist für mich aber kein Argument, es jetzt nicht zu tun.»

Isabel Bartal, PH Luzern

Die grösste Challenge: Das Schweizer Bildungssystem unterscheidet sich stark vom demjenigen in der Ukraine. «In der Ukraine wird stärker auf den Frontalunterricht und weniger auf einen partizipativen Unterricht Wert gelegt», sagt Isabel Bartal. «Zudem setzen wir in der Schweiz auf einen ganzheitlichen Unterricht, zu dem neben Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften auch musische Fächer gehören. In der Ukraine werden eher klassische Fächer gefördert.»

Projekt der PH Luzern sorgt auch für Kritik

In den sozialen Medien hat das Projekt der PH Luzern nicht nur für Lob geerntet. «Ich wüsste noch ein paar Lehrpersonen aus andern Ländern, die sich über eine solche Möglichkeit auch gefreut hätten. Vielleicht haben sie die falsche Hautfarbe», meinte beispielsweise eine Userin unter einem Post zum Thema.

«Rückmeldungen dieser Art gibt es immer wieder», erwidert Isabel Bartal. «Dass es bis jetzt kein vergleichbares Angebot gegeben hat, ist für mich aber kein Argument, es jetzt nicht zu tun.» Kommt hinzu: Geflüchtete aus der Ukraine haben in der Schweiz den Schutzstatus S. Das heisst: Sie können sofort arbeiten – wenn sie einen Job finden. Die grösste Hürde ist die Sprache (zentralplus berichtete).

«Dass Lehrpersonen aus der Ukraine offiziell hier unterrichten können, ist eine einmalige Situation», so Bartal. «Die Pädagogische Hochschule stand indes schon immer vor der Frage, wie Personen, die in einer anderen Sprache sozialisiert werden, für eine Arbeitsstelle in der Schweiz qualifiziert werden können.»

Das Angebot für die ukrainischen Lehrpersonen sei für die PH eine Art Pilotprojekt, das man anschliessend evaluieren wolle, um auch Schlüsse für die Nachqualifizierung anderer Lehrpersonen aus dem Ausland zu gewinnen. So sollten künftig also auch andere Geflüchtete von den Erfahrungen profitieren können.

Verwendete Quellen
  • Website Volksschulbildung Kanton Luzern
  • Persönliches Gespräch mit Isabel Bartal
  • Telefonat mit Sacha Furrer
  • Schriftlicher Austausch mit Romy Villiger, Bereichsleiterin Kommunikation Dienststelle Volksschulbildung und Lukas Keiser
  • Medienberichte im «Blick» und im «Stadtmagazin»
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