Teil 1: Experte für Fangewalt analysiert

Wie die Luzerner Polizei Ausschreitungen verhindert

Tim Willmann, Luzerner Experte für Fangewalt, am Bundesplatz, wo es in der Vergangenheit immer wieder zu Ausschreitungen kam. (Bild: jdi)

Nachdem es im Frühjahr 2023 rund um die FCL-Heimspiele regelmässig zu Ausschreitungen gekommen war, verlief das zweite Halbjahr relativ ruhig. Tim Willmann, Luzerner Experte für Fangewalt, erklärt, warum.

Tim Willmann ist Mitarbeiter der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern. Der 26-Jährige kennt den Fussball als Fan, als ehemaliger Angestellter der Fanarbeit Luzern und seit seiner Anstellung an der Universität Bern auch als Beobachter des Geschehens abseits des Rasens. So besucht er regelmässig Fussballspiele in der ganzen Schweiz, um Erkenntnisse im Rahmen seiner Forschung zu gewinnen. Der Jurist wird sich künftig seiner Dissertation widmen.

In schwer vorhersehbaren Wellenbewegungen schwappt das Ausmass der Fangewalt immer wieder über. Zuletzt so geschehen im Frühjahr 2023. Der Negativ-Höhepunkt in Luzern: die Krawalle nach dem Heimspiel des FC Luzern gegen den FC St. Gallen. Damals gerieten Fans und Polizei gleichermassen in die Kritik (zentralplus berichtete).

Die Ausschreitungen hatten Folgen für beide Fanlager: Bei Partien zwischen den Erzrivalen aus der Innerschweiz und der Ostschweiz bleiben diese Saison die Gästesektoren geschlossen (zentralplus berichtete).

Deutlich mehr Gästefans seit Corona

Für Willmann ist das hohe Zuschaueraufkommen ein möglicher Indikator für die jüngste Verschärfung der Sicherheitslage rund um die FCL-Heimspiele. Seit Aufhebung der Corona-bedingten Kapazitätsbeschränkungen in den Stadien im Sommer 2021 besuchen immer mehr Fans Fussballspiele. So kamen in der Saison vor der Pandemie durchschnittlich 9364 Personen zu den Heimspielen des FCL. In der letzten Saison waren es bereits 12’775. Und in der laufenden Saison liegt der Schnitt gar bei 13’256. Auch, weil die Gästefans immer zahlreicher anreisen.

Links der im Oktober 2023 einmal mehr ausverkaufte Gästesektor der Swissporarena, rechts der bei Familien beliebte Sektor D, wo sich Mehrheit der rund 2000 FCZ-Fans einfand. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

«Bei den Spielen zwischen dem FCL und dem FC St. Gallen fuhren in der Vergangenheit meistens zwischen 400 und 800 Fans aus der Ostschweiz mit dem Extrazug nach Luzern», veranschaulicht Willmann. «Im Mai 2023 waren es plötzlich 1460 Fans, die verteilt auf zwei Extrazüge am Luzerner Bahnhof eintrafen.» Ähnlich die Entwicklung beim FC Zürich, der mittlerweile mit über 2000 Anhängerinnen nach Luzern reise.

Alternative zu VBL-Bussen: Fanmarsch

Für die polizeiliche Begleitung eines Spieltags hätten diese Zahlen grosse Relevanz: Die Gästefans würden – anders als an den Spielorten Bern, Basel oder St. Gallen – nicht an stadionnahe Bahnhöfe gefahren, sondern träfen am Bahnhof Luzern ein und müssten von dort zur Swissporarena transportiert werden.

Wegen wiederholter Beschädigung von Bussen und Drohungen gegen Mitarbeiter werden die VBL künftig keine Gästefans mehr transportieren. (Bild: VBL)

Reisen 1000 oder mehr Gästefans an, ist der Transport zum Stadion mit VBL-Bussen aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Und das Problem dürfte sich künftig verschärfen, haben die VBL doch die Transportvereinbarung mit dem FCL gekündigt. Sie werden ab nächster Saison keine Gästefans mehr per Bus transportieren – auch wenn weniger als 1000 Personen anreisen (zentralplus berichtete). Die einzige Alternative: Fanmärsche (zentralplus berichtete).

Fantrennung mitten in der Stadt

«Eine Fantrennung ist bei einem Fanmarsch ungleich schwieriger zu bewerkstelligen, auch weil die Route am Bundesplatz und somit am Fanlokal Zone 5 vorbeiführt», gibt Tim Willmann zu bedenken (zentralplus berichtete). Im Frühling 2023 hätten sich wegen Clubs mit grosser Anhängerschaft die Spieltage gehäuft, bei denen die Gästefans einen Fanmarsch hätten durchführen müssen. «Für viele Beteiligte war die Situation neu, sodass sich auf allen Seiten gewisse Abläufe einspielen mussten.» Die Beteiligten: Fans, Fanarbeiterinnen, Fussballclubs und die Luzerner Polizei.

Seit dem eingangs erwähnten Heimspiel gegen den FC St. Gallen vom Mai 2023 hat sich die Situation gemäss Willmann etwas eingependelt. «Im Rahmen der Ligaspiele wurden in der laufenden Saison in Luzern keine roten Spiele, also Spiele mit gewalttätigen Ereignissen von besonderer Schwere, verzeichnet.»

Neue Massnahmen der Luzerner Polizei erfolgreich

Dieses «Einpendeln» beinhaltete auch neue Massnahmen und Strategien seitens der Luzerner Polizei. So hat diese am Bundesplatz mehrere Male einen Zaun mit Sichtschutz zwischen die Gästefans und die FCL-Fans vor der Zone 5 gestellt. Willmann sagt: «Solche infrastrukturellen Massnahmen können positive Effekte bewirken.»

FCB-Fans auf dem Fanmarsch Richtung Swissporarena. Bis 2021 war dafür keine Bewilligung der Stadt Luzern nötig. (Bild: zvg)

Neu ist auch, dass die FCB-Fans nach mehreren Gastspielen in Luzern, bei denen ihnen ein Fanmarsch zum Stadion verboten wurde, nun wieder ganz offiziell zum Stadion marschieren dürfen. Nachdem es jahrelang immer wieder geknallt hatte, wenn der FC Basel eingefahren war, verlief das letzte Hochrisikospiel des Jahres, das Heimspiel des FC Luzern gegen den FC Basel Mitte Dezember, ohne nennenswerte Zwischenfälle.

Ausschreitungen bei Europapokalspielen

Hingegen blieb es Anfang Saison, nach dem Qualifikationsspiel für die Conference League gegen den Stockholmer Verein Djurgårdens IF, alles andere als ruhig. Nachdem rund zwei Dutzend Stockholmer aus dem Fanmarsch Richtung Stadtzentrum ausgebrochen waren, kam es zu heftigen Ausschreitungen – direkt vor der Swissporarena. Dabei wurde der unbeteiligte FCL-Fan David Z.* durch Gummischrot am linken Auge getroffen und erblindete einseitig (zentralplus berichtete).

Weniger folgenschwer war der kontrovers diskutierte, gemäss Luzerner Polizei «unnötige» Gummischrot-Einsatz gegen schottische Fans vor dem zweiten Europapokalspiel gegen den Hibernian FC (zentralplus berichtete).

Dass es seither in Luzern nicht mehr zu Gummischrot-Einsätzen gekommen ist, begründet Tim Willmann unter anderem damit, dass die internationalen Spiele für die Luzerner Polizei grössere Herausforderungen darstellten als reguläre Ligaspiele. Weil die Gästefans nach dem Spiel nicht mit einem Extrazug oder einem Car nach Hause führen, sondern in Luzern übernachteten. Wie bei Fanmärschen generell bedeute dies für das gesamte Management des Spieltags, dass neue Situationen entstünden – was das Potenzial für Zwischenfälle vergrössere.

Es droht neues Ungemach

Die Analyse Willmanns zur Polizeiarbeit im Herbst 2023 fällt dennoch relativ positiv aus. Doch droht neues Ungemach. Was sich zwischen Luzerner Polizei und Gästefans eingependelt zu haben scheint, könnte bald wieder ins Wanken geraten.

Denn die Ende Januar zu erwartende Bekanntgabe neuer Massnahmen zur Bekämpfung der Fangewalt seitens Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), der auch Regierungsrätin Ylfete Fanaj angehört, löste bei den Schweizer Fankurven teils heftige Proteste aus. Sie werden sich aktiv gegen Kollektivmassnahmen wehren.

Im Teil 2 erläutert Tim Willmann seine Gedanken zu den Massnahmen der KKJPD. Und wagt einen Ausblick auf das anstehende Hochrisikospiel zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen.

* Name der Redaktion bekannt

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Tim Willmann, Mitarbeiter der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern
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