Rücktritt im Baarer Kirchenrat

Parteien schleppen Puff ins Gotteshaus

Die katholische Kirche Baar ist wieder auf der Suche nach einem Finanzchef.

Der neue Finanzchef der katholischen Kirchengemeinde Baar trat nur zwei Monate nach Amtsbeginn aus persönlichen Gründen ab. Die SVP nahm die finanziellen Schwierigkeiten des Mannes zum Anlass, um gegen andere Parteien zu schiessen. Fragt sich: Wie sehr darf ein persönliches Schicksal zum Politikum gemacht werden?

Im und rund um den Baarer Kirchenrat brodelt es. Im vergangenen Dezember wählte die katholische Kirchgemeinde in Baar einen Nachfolger für Andreas Weber, der während 34 Jahren als Finanzchef waltete. Meist laufen solche Wahlen unspektakulär ab. Im Dezember jedoch liessen sich zwei Männer für das Amt aufstellen. Ein Mitte-Politiker sowie ein SVP-Mitglied. Mit leichtem Vorsprung wurde der Mitte-Politiker, der beruflich im Finanzbereich tätig ist, ins Amt gewählt.

Die Amtsdauer des Mitte-Mannes war jedoch nur kurz. Wie die katholische Kirchgemeinde auf ihrer Website schreibt, trat der Finanzchef bereits zwei Monate nach Amtsantritt zurück. Dies aus persönlichen Gründen, wie die Kirche schreibt.

Kritik der SVP in Richtung Mitte

Im letzten Newsletter der SVP Baar kritisiert diese, dass der Mitte-Mann überhaupt erst aufgestellt worden sei. Sie schreibt: «Der SVP Baar sind die detaillierten Gründe bekannt, und sie ist der Meinung, dass der Kandidat von der Mitte gar nicht portiert hätte werden dürfen. Bekanntlich geht bei der Mitte-Partei aber leider das Parteibuch den Fähigkeiten vor.» Verhindert worden sei so ein hervorragender Kandidat. «Nämlich der von der SVP vorgeschlagene Roger Bürgisser.»

Die SVP bezieht sich dabei auf die betreibungsamtliche Grundstücksteigerung. Der Schuldner: der Mitte-Kandidat. Bloss: Die Steigerung wurde wenig später wieder abgesagt. Die Liegenschaft bleibt in den Händen des Mannes.

Auf Anfrage äussert sich Adrian Rogger, Präsident der SVP Baar, wie folgt: «Wir haben Mühe damit, dass der besagte Kandidat von seiner Partei in den höchsten Tönen gelobt und vermarktet wurde, dies offenbar jedoch, ohne vorgängig eine seriöse Kandidatenprüfung durchzuführen.» Dies etwa durch das Vorlegen eines Betreibungsauszugs. Und weiter: «Immerhin geht es hier um Millionen, die der Finanzchef zu verwalten hat, und ausserdem um einige Immobilien. Würde es um die Funktion eines anderen Ressorts gehen, müsste man weniger streng sein.»

Politischer Wahlkampf im Kirchengewand?

Dass die SVP Kritik übt gegenüber der Mitte, ist nicht überraschend, sähe die Partei doch gerne den eigenen Kandidaten im Amt. Diesen will die SVP an der kommenden Kirchengemeindeversammlung im Juni erneut aufstellen lassen. «Immerhin unterlag unser Kandidat Roger Bürgisser nur wegen neun Stimmen. Wären die Probleme des im Dezember gewählten Kandidaten damals bekannt gewesen, wäre er sicher nicht gewählt worden», ist sich Rogger sicher.

Geht es der SVP primär um den quasi-politischen Wahlkampf? «Nein. Wir haben schon immer sowohl bei der Kirch- als auch bei der Einwohnergemeinde genau hingeschaut. Wir wollen Missstände wie der aktuelle verhindern.» Rogger weiter: «Grundsätzlich könnte man das Prozedere bei den Kirchenratswahlen überdenken. Bis heute ist es so, dass sich jeder mündige Katholik an den Kirchgemeindeversammlungen für ein Amt aufstellen lassen kann. Somit können sich die Wählerinnen vorgängig gar kein Bild machen, wen sie da wählen.»

Finanzchef der Kirche hat Millionen zu verwalten

Auf Anfrage von zentralplus möchte sich der Betroffene nicht öffentlich äussern. Thomas Inglin, der Kirchenratspräsident der katholischen Kirche Baar, erklärt indes, dass bei der Wahl des Finanzchefs im Dezember nichts Negatives bekannt gewesen sei über die private Situation des Gewählten. Er betont: «Wir schätzten ihn als zweifellos genug kompetent ein. Dies nicht zuletzt aufgrund seines beruflichen Hintergrunds in der Finanzbranche.»

Er gibt zu bedenken: «Beim Amt des Finanzchefs handelt es sich in der Tat um einen sehr anspruchsvollen Posten. Wir unterstehen dem öffentlichen Recht und werden vom Kanton kontrolliert. Die katholische Kirche bedarf eines Finanzplans und muss auch weitere strenge Anforderungen erfüllen.»

«Wäre der neue Finanzchef im Amt geblieben, hätte das sicher unangenehme Fragen aufgeworfen.»

Thomas Inglin, Kirchenratspräsident

Im Februar bereits trat der Neugewählte von seinem Amt zurück. «Das war sein eigener Entscheid. Der Kirchenrat kann niemanden zum Rücktritt zwingen.» Und weiter: «Wäre der neue Finanzchef im Amt geblieben, hätte das sicher unangenehme Fragen aufgeworfen. Dennoch sind wir nicht erleichtert ob dieses Rücktritts. Denn nun haben wir, kurz vor Rechnungsabschluss, keinen Finanzchef mehr.» Man habe jedoch Glück gehabt und den früheren Finanzchef Andreas Weber kurzfristig noch einmal einspannen können.

Kirche entpolitisieren? Nicht nötig, so Inglin

Immer mehr Kirchgemeinden lösen sich davon, die Kirchenratswahl mit den politischen Parteien zu verknüpfen. In Baar ist dies jedoch noch Usus. «Das hat Tradition. Doch auch bei uns sind nicht nur Parteimitglieder vertreten. Mir ist es im Prinzip völlig wurst, bei welcher Partei jemand ist, solange er oder sie kompetent ist.»

Inglin gibt zu bedenken: «Sobald es im Kirchenrat eine Vakanz gibt, teilen wir dies den Ortsparteien mit. Das hat jedoch wenig mit Politik zu tun, sondern vielmehr damit, dass es für die Parteien einfacher ist, geeignete Personen zu finden. Denn das sind ja keine Posten, um die sich die Leute reissen.»

Dass die Sache nun von der SVP in ihrem Newsletter aufgegriffen wurde und zum Politikum macht, findet Inglin «etwas eigenartig» und auch unnötig.

Etwas eigenartig mutet die Öffentlichmachung tatsächlich an. Insbesondere, wenn man sich die Seite des Betroffenen anhört. Diese zeigt, dass die Vorwürfe der SVP auf unvollständigen Informationen beruhen.

Mitte-Präsidentin hält zwingenden Betreibungsauszug für unnötig

Bei der Mitte Baar lässt man den Vorwurf, dass deren Kandidat nicht hätte portiert werden dürfen, nicht auf sich sitzen. Präsidentin Olivia Bühlmann sagt dazu: «Natürlich schauen wir jeweils, obs passt. In diesem Fall haben uns die beruflichen Qualitäten, sein persönliches Engagement sowie persönliche Empfehlungen davon überzeugt, ihn zur Wahl vorzuschlagen.»

«Einen Betreibungsauszug ohne jeglichen Verdachtsmoment zu verlangen, finde ich schwierig.»

Olivia Bühlmann, Baarer Mitte-Präsidentin

Die Forderung der SVP, einen Betreibungsauszug der Kandidaten einzufordern, hält Bühlmann nicht für angemessen. «Einen solchen ohne jeglichen Verdachtsmoment zu verlangen, finde ich schwierig. Zumal wir die wenigen Leute, die sich überhaupt für ein solches Amt melden, ja nicht im Voraus vergraulen möchten.»

Ausserdem sei das Vorlegen eines Betreibungsauszugs, soweit sie wisse, in keinem gemeindlichen oder kantonalen Mandat bis anhin ein Thema. «Wohl auch nicht bei der SVP, welche ja selber bereits ähnliche Erfahrungen gemacht hat in der Vergangenheit.» (Diese Aussage dementiert Rogger auf Anfrage. Man habe eine Leumundsprüfung des eigenen Kandidaten eingeholt.)

Als Hintergrund: Bühlmann spielt damit auf die Causa Karl Betschart an. Der SVP-Mann sass 2011 bis 2012 im Gemeinderat Baar. Eine zivil- sowie eine strafrechtliche Untersuchung wurde ihm zum Verhängnis. Es ging um den Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie der falschen Beurkundung (zentralplus berichtete). Betschart verpflichtete sich zu einer Wiedergutmachungszahlung von rund 450 000 Franken an eine holländische Firma.

Mitte will eigene Praxis überdenken

Erst Mitte Januar sei die Partei über die finanziellen Schwierigkeiten des gewählten Finanzchefs informiert worden. Nach den Ereignissen der vergangenen Monate überlege man sich, wie man künftig mit den Wahlen umgehe respektive ob es einer genaueren Prüfung der Kandidaten bedürfe.

Im kommenden Juni wählt die Kirchgemeinde einen Ersatz für den abgetretenen Finanzchef. Vermutlich kommt es, wie meist bei solchen Ämtern, zu einer stillen Wahl. Dass der IT-Fachmann Roger Bürgisser das Rennen macht, ist gut möglich. Die Lust der katholischen Baarer Bevölkerung auf einen Posten im Kirchenrat dürfte durch den vergangenen Vorfall nicht gestiegen sein.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Thomas Inglin
  • Telefongespräch mit Olivia Bühlmann
  • Telefongespräch mit dem ehemaligen Finanzchef der katholischen Kirchgemeinde
  • Telefongespräch mit Adrian Rogger
  • Kopie betreibungsamtliche Grundstücksteigerung
  • Newsletter SVP Baar
  • Website der katholischen Kirche Baar
  • Artikel der «Zuger Zeitung» zum Fall Betschart
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hanswurst
    Hanswurst, 13.04.2024, 10:46 Uhr

    „Die Forderung der SVP, einen Betreibungsauszug der Kandidaten einzufordern, hält Bühlmann nicht für angemessen.“ Blauäugiger und naiver geht es wohl kaum, Olivia Bühlmann: Mittlerweile muss man bei jeder Bewerbung um eine Wohnung einen Betreibungsauszug vorlegen – wenn jemand die Millionen der Kirche verwalten will aber nicht, das ist schon krass.

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