Anzahl Hilfesuchende auf Rekordniveau

Dargebotene Hand: Jetzt nehmen die Sorgen der Männer zu

Klaus Rütschi, der Leiter der Dargebotenen Hand Zentralschweiz, spürt die Sorgen der Männer. (Bild: zvg)

Die Telefon- und Chatberaterinnen bei der Dargebotenen Hand Zentralschweiz haben alle Hände voll zu tun: Es melden sich vermehrt Männer beim Sorgentelefon – und die Themen bei Minderjährigen werden härter.

Das Sorgentelefon der Dargebotenen Hand Zentralschweiz verzeichnete bereits während Pandemiezeiten Rekordzahlen. Wie sich nun zeigt, nimmt die Anzahl der Personen, welche die Nummer 143 wählen, um ihre Probleme und Ängste zu besprechen, seit Ausbruch des Ukrainekriegs weiter zu (zentralplus berichtete).

2022 meldeten sich rund 18'600 Hilfesuchende bei der Dargebotenen Hand Zentralschweiz, 2023 waren es 18'000. Geschäftsführer Klaus Rütschi geht davon aus, dass sich die Anruferzahlen auf hohem Niveau eingependelt haben.

Männer sprechen früher über ihre Sorgen

Drei Dinge fallen besonders auf: Mehr Männer suchen Hilfe. Und mehr Kinder und Jugendliche. Auch suchen vermehrt Leute über den Chat Hilfe – letztes Jahr haben die Chatberatungen um rund 17 Prozent zugenommen.

«Die unsichere Entwicklung des Weltgeschehens, die Möglichkeit einer Ausweitung des Krieges, die unsichere Wirtschaftslage und damit verbunden Arbeitsplatzängste haben vermehrt Männer dazu veranlasst, bei uns Hilfe zu suchen», schreibt Rütschi dazu in einem Aktivitätenbericht.

«Haben sich die Männer während Corona und in den letzten Jahren sehr resilient gezeigt, wächst nun eine neue Männergeneration heran.»

Klaus Rütschi, Geschäftsführer Dargebotene Hand Zentralschweiz

Wie er auf Anfrage ergänzt, sind es zwar immer noch mehr Frauen, die sich bei der Dargebotenen Hand Zentralschweiz melden. Letztes Jahr waren es 66 Prozent Frauen und 31 Prozent Männer (3 Prozent undefinierbar). Im Vorjahr waren es noch 78 Prozent Frauen gewesen. Das heisst, der Männeranteil hat kräftig zugelegt. «Haben sich die Männer während Corona und in den letzten Jahren sehr resilient gezeigt, wächst nun eine neue Männergeneration heran», schlussfolgert Rütschi.

«Sie sind eher bereit, früher über ihre Sorgen zu sprechen. Die neue Generation ist sensibilisierter, feinfühliger und für sie sind Themen um die psychische und körperliche Gesundheit kein Tabu mehr.» Die «neuen Männer» würden nicht «nur» eine Karriere anstreben und Geld verdienen wollen. Sondern sie seien bereit, niederprozentiger zu arbeiten, um so beispielsweise mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können (zentralplus berichtete). «Trotzdem gibt es auch noch die Männer, die Angst haben vor den vielen Meldungen über Jobabbau, Druck am Arbeitsplatz und davor, der gesellschaftlichen Rolle des Mannes nicht immer gerecht werden zu können», so Rütschi.

Im Chat sind die Themen besonders hart

Auch Kinder und Jugendliche melden sich öfter bei der Dargebotenen Hand. Besorgniserregend sei, dass es vermehrt Minderjährige mit Problemen wie Mobbing, Einsamkeit sowie Suizidgedanken oder selbstverletzendem Verhalten seien. Je komplexer die Probleme, desto mehr Zeit benötige eine Beratung.

Hier findest du Hilfe

Darüber reden hilft. Wähle die Nummer 143 der Dargebotenen Hand, wenn es dir nicht gut geht oder du dir Sorgen um jemand anderen machst. Kostenlos rund um die Uhr wird dir auch über die Nummer 147 (Pro Juventute) geholfen.

Eltern finden beim Elternnotruf über die Nummer 0848 35 45 55 kostenlos und anonym Unterstützung.

Das Beratungstelefon der Luzerner Psychiatrie ist ebenfalls rund um die Uhr für Direktbetroffene von psychischen Erkrankungen sowie deren Angehörigen unter 0900 85 65 65 erreichbar.

In den letzten vier Jahren haben sich die Zahlen im Chat verdoppelt. Allein in der Zentralschweizer Stelle wurden über 1080 Chats mit – vor allem sehr jungen – Hilfesuchenden geführt. Die Themen in Chat sind oftmals härter: sexueller Missbrauch, selbstverletzendes Verhalten, Mobbing, Suizidalität. «Es melden sich auch todkranke Menschen, die zwar noch chatten, jedoch nicht mehr anrufen können, weil die Stimme zu schwach oder es einfach zu schmerzhaft ist, darüber zu reden», so Rütschi.

«Im Chat wird siebenmal häufiger Suizid angedroht.»

Klaus Rütschi

Die Chats sind gemäss dem Geschäftsführer aus zwei Gründen heftiger: Härtere Themen wie Missbrauch würden eher zum Thema, weil es vielen einfacher falle, darüber zu schreiben, als darüber zu reden. «Im Chat wird auch siebenmal häufiger Suizid angedroht», sagt Rütschi. «Es kommt uns aber auch härter vor, weil es auch dann schwarz auf weiss da steht.» Das sei auch für die freiwilligen Telefonberaterinnen herausfordernd, da sich Hilfesuchende am Telefon langsam auf das Thema zubewegen, während im Chat meistens das Problem direkt angesprochen werde.

Englische Hotline: Viel häusliche Gewalt

Seit letztem Jahr hat die Dargebotene Hand zusätzlich eine englische Hotline (zentralplus berichtete). Mehr als 1000 Leute haben diese Hotline im ersten Jahr kontaktiert. Und das, obwohl das Angebot nur beschränkt jeweils abends von 18 bis 23 Uhr besteht.

Die hohe Anruferzahl findet Rütschi «schon sehr bedenklich». Über die Art der Probleme sagt er: «Bei Heart2Heart leiden mehr Anrufende als bei der deutschen Leitung unter schweren psychischen Belastungen, sprechen über Einsamkeit, Suizid und/oder haben schweren Eheprobleme, die relativ häufig mit häuslicher Gewalt zusammenhängen.»

Weiterer Ausbau beim Sorgentelefon ist «unerlässlich»

Mehr Sorgen, mehr Telefonanrufe – das bedeutet auch, dass es mehr Beraterinnen bei der Dargebotenen Hand braucht. Seit April sind zehn neue Telefonberater im Einsatz. Gemäss Rütschi sind nun 61 Mitarbeiterinnen im Einsatz – das sind doppelt so viele wie vor Corona. Diese würden dringend gebraucht. Und es brauche noch mehr: «Ein weiterer Ausbau der Kapazitäten, sowohl im Telefon als auch im Chat, wird unerlässlich sein», sagt Rütschi.

So wird das Sorgentelefon auch für dieses Jahr neue Beraterinnen suchen und einen Ausbildungskurs ausschreiben. Die Sorgen werden kaum weniger: Beim Sorgentelefon gehen sie davon aus, dass gesellschaftliche Probleme in Zukunft stark zunehmen. Verschärft werde dieses Problem durch das Fehlen von Therapieangeboten.

Wer mehr über die Dargebotene Hand erfahren möchte: Am 15. Mai findet um 19 Uhr in der Universität Luzern ein Informationsanlass statt.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Klaus Rütschi, Geschäftsführer der Dargebotenen Hand Zentralschweiz
  • Aktivitätenbericht 2023 der Dargebotenen Hand
  • Jahresbericht 2022 der Dargebotenen Hand
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