13 Wohnblöcke werden abgerissen

Zuger Gartenstadt: Für sie ist der Abriss eine Katastrophe

Giovanni und Antonia Bolettieri leben seit 40 Jahren in der Gartenstadt. (Bild: zvg)

Die Gegner der neuen Gartenstadt-Überbauung hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt, unterlagen jedoch kürzlich vor Bundesgericht. Nun werden 13 Wohnblöcke dem Erdboden gleichgemacht und ersetzt. zentralplus zeigt auf, was das bedeutet.

Ein warmer Frühlingsabend. Die Sonne steht tief im Westen, bescheint die Fassaden der hellgelben Mehrfamilienhäuser, die an der Aabachstrasse stehen. Obwohl der Feierabendverkehr bereits über die Nordstrasse braust, die unweit der Häuser durchführt, ist davon dank einer Schallschutzmauer nur wenig zu hören. Stattdessen hört man Vögel trällern. Die grosszügigen Grünflächen sorgen für eine angenehme Atmosphäre. In nicht allzu ferner Zukunft werden hier jedoch die Bagger auffahren.

13 Mehrfamilienhäuser an der Herti- und der Aabachstrasse werden voraussichtlich ab Herbst 2025 abgerissen. Bei den Bauherrschaften handelt es sich zum einen um die Gebäudeversicherung Zug, die zehn Gebäude besitzt, und zum anderen um die Baugenossenschaft Familia Zug, welche ein gemeinsames Baukonsortium bilden. Mehrere Jahre war deren Projekt durch ein Einspracheverfahren über alle Instanzen blockiert (zentralplus berichtete). Vor Kurzem hat das Bundesgericht die Beschwerde abgewiesen. Die Bauherrschaften können also wie geplant fortfahren.

Richard Schärer, Direktor der Gebäudeversicherung Zug, sagt dazu: «Wir haben den Entscheid erleichtert zur Kenntnis genommen. Die lange Zeit der Unsicherheit über das weitere Vorgehen hat nun ein Ende, insbesondere auch für unsere Mieterinnen und Mieter.» Man freue sich, nun mit der Realisierung des Bauprojekts starten zu können.

Doch was bedeutet das – auch für die Bewohner? zentralplus hat die wichtigsten Fragen und Antworten zur Veränderung der Gartenstadt zusammengetragen.

Diese Häuser in der Gartenstadt Zug weichen bald Neubauten. (Bild: wia)

Was genau wird gebaut?

13 Gebäude werden abgerissen, 8 Gebäude werden neu gebaut. In den 2 Mehrfamilienhäusern, welche die Baugenossenschaft Familia plant, werden voraussichtlich 22 Wohnungen errichtet. In den 6 Häusern der Gebäudeversicherung Zug (GVZG) entstehen insgesamt 64 Wohnungen. Macht also zusammengezählt 86 Wohnungen. Heute sind es 87.

Die geplanten Gebäude sollen mittels Fertigholzbauweise entstehen. Richard Schärer sieht darin gleich mehrere Pluspunkte. «Holzbauten haben neben der schnellen Baugeschwindigkeit die weiteren Vorteile, dass es sich hierbei um einen natürlichen, energieeffizienten und nachhaltigen Rohstoff handelt.» Zudem würden Holzhäuser Wärme und Behaglichkeit ausstrahlen – und einen «ästhetischen Mehrwert» bieten.

Was passiert mit den Bewohnern?

Bekanntlich ist es in Zug äusserst schwierig, im Kanton und insbesondere in der Stadt Zug eine Wohnung zu finden, die einigermassen bezahlbar ist. Das dürfte viele heutige Mieterinnen der Gartenstadt in Schwierigkeiten bringen. Nicht zuletzt aus diesem Grund formierte sich 2017 der Verein «Pro Gartenstadt», der sich über Jahre vehement gegen das geplante Projekt wehrte (zentralplus berichtete).

Wie geht es den Bewohnerinnen nach dem Bundesgerichtsentscheid?

Zur Klärung dieser Frage hat sich zentralplus mit zwei Wohnparteien in Verbindung gesetzt. So etwa mit Patrick Leemann, der seit Juni 2020 in einem der Blöcke lebt. «Für uns ist die Situation weniger einschneidend, da wir bereits bei unserem Einzug damit rechnen mussten, dass die Blöcke mittelfristig abgerissen werden.» Dennoch ist Leemann Mitglied des Vereins «Pro Gartenstadt», der sich für den Erhalt der Gebäude einsetzt. «Es ist klar, dass sich die Mieten in Neubauten nicht im gleichen Preissegment bewegen werden wie heute. Auch verändern sich die Dimensionen, was sich wiederum negativ auf die Grünfläche auswirkt», sagt Leemann. «Die stetig steigenden Mietzinsen sind heute eines der grössten Zuger Themen, und dies längst nicht mehr nur bei der politischen Linken.» Für ihn ist klar: «Gegen diese Entwicklung muss man etwas tun.»

Der 43-Jährige geniesst es, in der Gartenstadt zu leben. «Ich bin im Herti-Quartier aufgewachsen und habe immer in der Stadt gewohnt. Es bedeutet für mich grosse Lebensqualität, wenn ich kein Auto brauche und alle Erledigungen mit dem Velo tätigen kann.» Mit der Suche nach einer neuen Bleibe hätten er und seine Partnerin noch nicht begonnen. «Wir haben uns vorgenommen, den kommenden Sommer in dieser Wohnung und mit dem Garten noch zu geniessen und uns danach auf Wohnungssuche zu begeben.»

Ob es dem Paar gelingen wird, auch künftig eine bezahlbare Wohnung in der Stadt zu finden, sei ungewiss. Leemann sagt abschliessend: «Die Neuüberbauung ist ein riesiger Eingriff in ein so überschaubares Quartier, wenn 13 Gebäude abgerissen werden. Erst die Zukunft wird zeigen, ob der jetzige Charakter erhalten werden kann. Ich habe da so meine Zweifel, aber lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.»

Patrick Leemann lebt seit 2020 in der Siedlung und setzt sich für deren Erhalt ein. (Bild: wia)

1100 Franken für eine Vierzimmerwohnung

Für einige Mietparteien bedeutet der drohende Abriss eine regelrechte Katastrophe. So etwa für Antonia und Giovanni Bolettieri. Das italienische Paar lebt seit 60 Jahren in der Schweiz, 40 davon in der Gartenstadt. Deren Tochter Christina Videtta-Bolettieri sagt: «Mein Vater ist jetzt 88-jährig. Er würde am liebsten bis zu seinem Lebensende hier bleiben. Das ist sein Zuhause.»

Giovanni Bolettieri arbeitete früher bei der Landis & Gyr, die Pension des Paars sei nicht sonderlich hoch. «Hier zahlen sie 1100 Franken für eine Vierzimmerwohnung», erklärt dessen Tochter. «Klar würde auch eine kleinere Wohnung reichen, doch dürfte es wahnsinnig schwierig werden, eine für sie bezahlbare Dreizimmerwohnung zu finden», so Videtta.

Auch der Umzug in eine Alterswohnung sieht Videtta als Möglichkeit. Doch als sie angefragt hätte, habe es geheissen, dass sie keine Chance hätten, «da meine Eltern Italiener seien und Schweizer bevorzugt würden».

Videtta-Bolettieri sagt abschliessend: «Seit dem Bundesgerichtsentscheid geht es meinem Vater gesundheitlich schlecht. Die Situation schlägt ihm auf die Psyche. Und dies, obwohl wir Kinder immer wieder beteuern, dass wir den beiden helfen.»

Wie sieht der zeitliche Plan der Überbauung aus?

Die Baueingabe hatte die Gebäudeversicherung Zug bereits im Januar 2019 gemacht. Das Bewilligungsverfahren wurde im März dieses Jahres abgeschlossen. Gemäss der Bauherrschaften folgt nun eine Ausführungsplanung, welche bis im August 2025 andauern dürfte. Die erste Etappe der Häuser soll innert zwei Jahren, zwischen Oktober 2025 bis Oktober 2027, erfolgen. Die Realisierung der zweiten Etappe beginnt voraussichtlich im Oktober 2027 und dauert bis im Mai 2030.

Inwiefern beeinflusst die «2000-Wohnungs-Initiative» die Pläne der Bauherrschaften?

Gar nicht. «Die angenommene Abstimmung hat auf unsere Überbauung keinen Einfluss, da die Bewilligung für unser Bauvorhaben vor der Abstimmung erteilt worden ist», sagt Richard Schärer, der Direktor der Gebäudeversicherung Zug, dazu. «Das Projekt müsste heute anders geplant werden, da sich die rechtlichen Voraussetzungen des massgebenden Planungs- und Baugesetzes geändert haben», gibt er jedoch zu bedenken.

Was kosten die künftigen Wohnungen?

Die heutigen Wohnungen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass es sich um sehr preisgünstigen Wohnraum in Zug handelt. Tatsächlich sind diese jedoch bereits etwas in die Jahre gekommen. Einen Lift gibt es beispielsweise nicht.

Auf die Frage nach den künftigen Mietpreisen antwortet Schärer: «Aktuell kann noch keine verbindliche Aussage zu den künftigen Mietpreisen gemacht werden.» Die Mietpreise seien wesentlich von den Baukosten abhängig. «Sicherlich sind die damals getroffenen Annahmen aufgrund der langen Verfahrenszeit zu überprüfen», so Schärer weiter. Die Überbauung werde durch ein Baukonsortium realisiert, bestehend aus der Baugenossenschaft Familia Zug und der Gebäudeversicherung Zug.

Schärer sagt weiter: «Die Baugenossenschaft bekennt sich explizit zu preisgünstigen Wohnungen. Die Gebäudeversicherung ist seit Jahren ebenfalls eine zuverlässige und faire Vermieterin.» Er nennt folgendes Beispiel: Die im vergangenen Jahr erfolgten Erhöhungen des Referenzzinssatzes seien nicht vollumfänglich an die Mieter weitergegeben worden. Insbesondere habe es namentlich in der Gartenstadt keine Anpassungen gegeben. Die Gebäudeversicherung verfolge in ihrem Kerngeschäft einen langfristigen Zeithorizont. «Es gibt keinen Grund, von dieser Grundhaltung abzuweichen», sagt Schärer.

Obwohl noch keine klare Aussage gemacht werden kann, kann wohl allein aufgrund des steigenden Lebensstandards durch den Neubau davon ausgegangen werden, dass die Mieten deutlich steigen werden.

Etwas anders dürfte es sich bei jenen Wohnungen verhalten, welche die Baugenossenschaft Familia erstellt. Präsident Peter Niederberger dazu: «Da die Wohnungen nach kantonalem Wohnraumförderungsgesetz gebaut werden, kann auch in Zukunft mit äusserst preiswerten Wohnungen gerechnet werden; teilweise werden die Mieten zusätzlich durch den Kanton vergünstigt.»

Inwiefern wurden die Mieterinnen über die Pläne informiert?

Dazu sagt Richard Schärer: «Wir informieren unsere Mieterinnen und Mieter schon seit Jahren regelmässig über die Entwicklungen und den Stand der Rechtsverfahren. Dies haben wir auch nach dem Vorliegen des Bundesgerichtsurteils gemacht.» Und weiter: «Unsere Mieterschaft weiss daher schon lange von der Veränderung. Die ersten Mieter können – nach der Realisierung der 1. Bauetappe – voraussichtlich Ende 2027 einziehen.»

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Patrick Leemann
  • Gespräch mit Ehepaar Bolettieri/Christina Videtta-Bolettieri
  • Schriftlicher Austausch mit den Bauherrschaften
  • Berichterstattung «Zuger Zeitung»
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1 Kommentar
  • Profilfoto von GRA
    GRA, 30.03.2024, 07:37 Uhr

    Wie kann es sein, dass Giovanni und Antonia Bolettieri als Italiener die seit 60 Jahren in der Schweiz leben und gearbeitet haben, keine Alterswohnung kriegen, weil Schweizer bevorzugt werden? Wenn das so stimmt, sollte die Autorin dieses Artikels nachhaken und das zum Thema machen. Das wäre mal wirklich diskriminierend im Gegensatz zu anderen „Gschichtli“ die man so tagtäglich so liest. Forza Famiglia Bolettieri, ich wünsche ihnen viel Kraft und Erfolg. Buona Pasqua!

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