Wer wohnt denn hier?

Dieser Mann lebt alleine im Hauptgebäude der Suva

Stefan Waser auf der Terrasse seiner Wohnung. (Bild: kok)

Stefan Waser hat den besten Ausblick von Luzern. Der Hauswart lebt seit 12 Jahren im prächtigen Hauptgebäude der Unfallversicherung Suva.

Nachts läuft Stefan Waser durch die leeren Gänge des Suva-Hauptgebäudes und fühlt sich, als wäre er am Drehort von «The Shining». In dem Horrorfilm aus dem Jahr 1980 lebt der Protagonist Jack einen Winter lang in einem verlassenen Berghotel als Hauswart. Nach und nach wird der Familienvater verrückt.

Stefan Waser ist keinesfalls verrückt. Sonst aber ähnelt seine Arbeit der von Jack. Denn auch der 59-Jährige ist Hauswart und lebt seit 12 Jahren an einem besonderen Ort. Sein Zuhause ist das Hauptgebäude der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Suva über den Dächern der Stadt Luzern.

Eine 4,5-Zimmer-Wohnung für den Hauswart

Nicht weniger als «ein Wahrzeichen» planten die Brüder Otto und Werner Pfister aus Zürich, als sie im Jahr 1914 den Auftrag erhielten, den neuen Hauptsitz für die Suva zu bauen. Sie wollten Luzern ein architektonisches Sujet schenken, beeindruckend wie die ETH Zürich (zentralplus berichtete). Heute gehört das Haus der Suva zum Panorama der Stadt, wie die Kapellbrücke.

Das gelbe Suva-Gebäude mit nächtlicher Beleuchtung. (Bild: zvg/Gabriel Ammon)

Stefan Waser besitzt die Schlüssel für alle 700 Zimmer des Gebäudes. Auch nachts sieht er dort nach dem Rechten. Ansonsten kümmere er sich um alle technischen Probleme, die anfallen, sagt der gelernte Elektroniker. Denn er fühlt sich verantwortlich für den Erhalt des Hauses.

Einer seiner vielen Schlüssel führt in seine eigene Wohnung. Sie liegt auf der Südseite, ist saniert und hat eine weisse Küche. Davor liegt eine mit Platanen bepflanzte Aussichtsterrasse. «Der Sommer ist meine liebste Jahreszeit hier», erzählt der Hauswart, an die Balustrade gelehnt.

Der Ausblick von Stefan Wasers Terasse reicht weit. (Bild: kok)

Wasers Blick schweift von den Spitzen der Hofkirche bis zum Pilatus. Hinter Luzerns Hausberg, am Ende des Obwaldner Tals, liegt der kleine Ort Sachseln. Dort lebte Stefan Waser für Jahre in der ausgebauten Garage seines Bruders. Warum? «Ich brauchte nicht mehr. Ich war ja nie da», erzählt der Nidwaldner.

Der Hauswart war in der ganzen Welt unterwegs

Waser arbeitete rund 25 Jahre für die Ferag AG. Das Schweizer Unternehmen entwickelt Fliessbänder und Sortieranlagen für Firmen auf der ganzen Welt. Um die Technik vor Ort zu testen, brauchten sie ihn. Europa, Lateinamerika, Dubai: Als «Industrienomade» kam Waser um die Welt. Freundschaften blieben auf der Strecke.

Wer wohnt denn hier?

In unserer losen Serie «Wer wohnt denn hier?» blickt zentralplus hinter verschlossene Türen oder Zäune von aussergewöhnlichen Häusern in Luzern und Zug. Vorgestellt werden jene Personen, die im Inneren wohnen.

Vor 12 Jahren reichte es ihm. Ein Schicksalsschlag in der Familie führte ihn in die Heimat zurück. Dort begann er, sein Lebensmodell zu hinterfragen. Zeitgleich suchte die Suva in Luzern einen neuen Hauswart und der Allrounder bewarb sich. Als Hauswart unerfahren, folgt er dabei seinem Motto: «Ich kann nicht alles, aber ich kann alles lernen.»

Gemeinsam Arbeiten und Leben ist eine Herausforderung

Was dann geschah, nennt Waser mit breitem Lächeln einen glücklichen Zufall: Er erhielt den Job. Die Suva wollte, dass der neue Hauswart im Gebäude lebt. Und die alte Abwartwohnung, einige Jahre als IT-Büro genutzt, wurde frei. Also zog Waser ein.

Seither lebt der Hauswart über den Dächern der Stadt Luzern. Er geniesse die Sonnenaufgänge auf der Terrasse und die Nähe zur Stadt, erzählt er bei einem Rundgang. Für seine Wohnung mit efeuumrankter Aussentreppe zahle er keine 2000 Franken Miete im Monat.

Die grosse Terrasse mit Platanen zeigt Richtung Süden. (Bild: kok)
Die Wohnung mit offenem Grundriss ist liebevoll eingerichtet. (Bild: kok)

In der dekorierten 4,5-Zimmer-Wohnung lebt Stefan Waser alleine. Sein Töggelikasten, der Flipperautomat und die Sammlung spanischer Comics seien mehr als Dekor, sagt er. Dabei blättert er durch die bunten Heftchen. Einige Holzmöbel hat Waser im Brocki gekauft. Drei der Lampen im Raum hat er selbst gebaut.

Denn Lampen sind Stefan Wasers Hobby. Für den Bau verwendet er Glas, Metall und Holz. Anfangs wechselte er die Kleidung, bevor er loslegte. «So konnte ich zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden.» Irgendwann hörte er damit auf. Er zeigt auf zwei dicke Platanenäste, die er bereits im Auge hat. Auch sie sollen Lampen werden.

Eine seiner Lampen. (Bild: kok)
Einer der Äste, die Stefan Waser ausgesucht hat. (Bild: kok)

Während er für die Ferag in Spanien arbeitete, lernte er eine Frau kennen, heiratete und wurde Vater. Die Beziehung ging auseinander. Doch seinen Sohn holte Waser später in die Schweiz. Ein paar Jahre wohnte er gemeinsam mit dem «Junior» in seiner Wohnung bei der Suva.

Heute lebt sein erwachsener Sohn in Ennetbürgen. Eigentlich könnte Stefan Waser von seiner Wohnung die Nidwaldner Gemeinde sehen – wenn nicht der Bürgenstock dazwischenläge. Zum Glück komme sein «Junior» gelegentlich zu Besuch. Dann spielen sie Dart auf der Terrasse.

Sein nächstes Lebenskapitel führt ihn nach Spanien

Wenn Stefan Waser in fünf Jahren in Rente geht, zieht er zurück nach Spanien. Sein Haus in der Nähe von Alicante warte bereits, erzählt er beiläufig. Ein Relikt aus seiner Zeit bei der Ferag.

Doch bis dahin wird Waser weiter das grosse, gelbe Suva-Gebäude hüten. Besonders gern steigt der Hauswart hoch in die mächtige Holzkuppel. Dreimal im Jahr hisst er dort die Flagge. Je einmal, wenn der Suva-Verwaltungsrat tagt. Und einmal zum ersten August. Nicht viele Menschen dürfen in die Spitze der Suva.

Stefan Waser darf in die Kuppel steigen. (Bild: kok)

Die Zeit im Suva-Gebäude hinter sich zu lassen, werde ihm trotzdem nicht schwerfallen, sagt er. Denn ein spannendes neues Kapitel warte auf ihn. Er lächelt, wenn er das sagt.

Nach Jahren des Nomadentums und Jahren unter den Platanen der Suva ist sein Abenteuergeist ungestillt. Der 59-Jährige kann sich weiter begeistern, für einen Comic, für einen Ast, der zur Lampe wird – oder für einen neuen Lebensabschnitt.

Ganz verlassen wird Stefan Waser die Suva ohnehin nicht. Denn seit Kurzem steht vor dem Suva-Hauptgebäude ein kleiner Nussbaum, der irgendwann alt und knorrig sein wird. Er hat ihn gepflanzt.

Verwendete Quellen
  • Website von Suva
  • Treffen mit Stefan Waser
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