150 Mieter gehen, Verbände loben Vorgehen

Betroffener Mieter: «Suva sollte sich schämen»

Hans P. hat diese Woche erfahren, dass er seine Wohnung verlassen muss. (Bild: kok)

Die Suva will 150 Mietparteien in Luzern und Meggen kündigen – wegen Totalsanierungen. Einige Mieter sind geschockt – doch Verbände loben den Versicherer.

Hans P.* hat Angst. Nicht, weil er fürchtet, seine Wohnung verlassen zu müssen – das muss er in jedem Fall. Er hat Angst, dass seine Kritik an der Suva dazu führt, dass er nicht zurück in seine Wohnung kann, in der er seit 20 Jahren lebt. Er will daher anonym sagen, was er denkt.

«Derjenige, der diese Entscheidung getroffen hat, sollte sich schämen, wenn er in den Spiegel schaut». Hans P. wiederholt diesen Satz mehr als einmal, als zentralplus ihn durch die Siedlung beim Matthofring begleitet. Der 50-Jährige ist einer von 129 Luzerner Mietern, der seine Wohnung verlassen muss.

Denn die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva will fünf Gebäude der Siedlung mit Baujahr 1959 totalsanieren. Ebenfalls ihre Wohnung aufgeben müssen 24 Parteien der Siedlung Huobmatt in Meggen. In einer Mitteilung schreibt die Eigentümerin, die zweijährigen, tiefgreifenden Sanierungen seien im bewohnten Zustand unmöglich (zentralplus berichtete).

Durch die Sanierung verändern sich die Grundrisse

Hans P. zweifelt daran. «Die Häuser brauchen eine Renovation, aber die Leute müssen nicht raus», sagt er. Ein Nachbarhaus mit ähnlichem Baujahr sei ebenfalls renoviert worden, ohne dass die Mieter gehen mussten. Er vermutet einen anderen Grund für den Rausschmiss.

«Sie verändern die Grundrisse. Wo heute 4-Zimmer-Wohnungen sind, sollen kleinere Wohnungen entstehen.» Das sei den Mietern bei einer Informationsveranstaltung am Donnerstagabend mitgeteilt worden. Weitere Mieter bestätigen das gegenüber zentralplus. Hans P. kann seine Aussage belegen.

Eines der fünf Gebäude, das totalsaniert wird. (Bild: kok)

In einem 17-seitigen Dokument der Suva, datiert auf den 22. Februar, erklärt die Bauherrin, was geplant ist. Dieses Dokument haben Hans P. und über hundert betroffene Mieter bei der Veranstaltung in der Kantonsschule Alpenquai erhalten. Auch zentralplus hat sich die Unterlagen angeschaut.

Darin heisst es explizit: «Wohnungsgrundrisse werden verändert. Neu gibt es 2,5-, 3,5- und 4,5-Zimmer-Wohnungen». Dazu werden Treppenhäuser, Fassaden und Balkone ersetzt. Sprich: Eine Totalsanierung ist geplant. Per 30. Juni 2024 wird die Suva den Parteien kündigen, bietet danach aber eine «Erstreckung» an.

Betroffener fürchtet nicht zahlbare Mieten

Die zwei Gebäude an der Langensandstrasse sollen zuerst saniert werden. Deren Bewohner dürfen bis Ende März 2026 in den Wohnungen bleiben. Die Bewohner der drei Gebäude am Matthofring haben Zeit bis zum 30. Juni 2027. Ebenfalls bietet die Suva Beratungsgespräche mit der Verwaltung Arlewo AG an, um eine neue Wohnung zu finden. Und die Option, zurückzukehren.

Das geht wie folgt: Interesse anmelden, Wohnung reservieren lassen und vor Baustart eine Reservationsvereinbarung unterzeichnen. Dann sei eine Wohnung garantiert, ein Rückzug aber nur mit «Kostenfolge» möglich. Hans P. hat das Angebot nicht überzeugt.

«Wir können zurückkommen, aber zu welchem Preis?», fragt er. Er ist überzeugt, dass seine 1700-Franken-Wohnung nach dem Umbau über 2000 Franken kosten wird. «Viele Bewohner der Siedlung sind alt, alleinstehend und haben wenig Geld. Sie leben hier seit 30 oder 40 Jahren. Mehr Miete können sie sich nicht leisten.»

Suva wird Mieter frühzeitig über künftige Mietzinse informieren

Die Suva besitzt Immobilien in der ganzen Schweiz. Etwa 25’000 Mietverträge unterhält der Unfallversicherer. Kündigungen wegen Sanierungen sind keine Seltenheit, wie jüngst auch in Sarnen (zentralplus berichtete). Dass nun Mieter in Luzern und Meggen ausziehen müssen, bedauert das Unternehmen gegenüber zentralplus.

«Höhere Mieten sind aufgrund der bevorstehenden Investitionen unumgänglich.»

Suva

Den künftigen Mietzins und die Konditionen will die Suva den Mietern vorlegen, bevor sie eine Reservationsvereinbarung unterschreiben können, versichert die Medienstelle. Zudem seien am Matthofring und der Langensandstrasse nur fünf zusätzliche Wohnungen in den Attikageschossen geplant – eine pro Haus.

Die künftigen Mietzinse werden ansteigen, wie stark, könne die Suva noch nicht sagen. «Diese werden wir erst neu berechnen können, wenn wir die genaue Baukosten kennen», so die Medienstelle. «Höhere Mieten sind aufgrund der bevorstehenden Investitionen unumgänglich». Die Sanierung diene dazu, die Liegenschaften für nachfolgende Generationen zu erhalten.

Hauseigentümer- und Mieterverband loben Suva für das Vorgehen

Lokale Verbände loben die Suva für ihr Vorgehen. Die Mieter hätten viel Zeit, eine neue Wohnung zu finden. Zudem biete die Suva Unterstützung an und gewähre ein Vormietrecht, schreibt Damian Hunkeler, Präsident des Hauseigentümerverbandes Luzern und FDP-Kantonsrat. «Besser kann man es aus meiner Sicht nicht machen.»

«Die Suva ist sicher vorbildlich unterwegs, da könnte sich manch andere Eigentümerschaft eine Scheibe abschneiden», schreibt auch Mario Stübi, Präsident des Luzerner Mieterverbandes. Die Etappierung befürwortet er. «Das treibt nicht aufs Mal so viele Wohnungssuchende auf den Mietwohnungsmarkt.»

Mario Stübi findet, Eigentümer können vom Vorgehen der Suva lernen. (Bild: bic)

«Totalsanierungen werden oft als Vorwand genommen werden, um sämtliche Mietverhältnisse eines Wohnhauses zu kündigen und die Wohnungen danach viel teurer neu zu vermieten», erklärt der SP-Grossstadtrat. Der Suva attestiert er jedoch ein Interesse an «solidarischen, langfristigen Mietverhältnissen». Falls Mieter sich trotzdem wehren wollen, empfiehlt Stübi, die Kündigung bei der kantonalen Schlichtungsbehörde anzufechten. Das sei kostenlos.

Auch Anton Bühlmann, Dozent für Mietrecht an der Universität Luzern, bezeichnet eine Ankündigung zwei bis drei Jahre im Voraus als «vernünftige Zeitspanne». Ebenso sei die Suva nicht gesetzlich verpflichtet, ein Vormietrecht einzuräumen, erklärt der ehemalige Präsident der Kantonalen Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht.

*Echter Name der Redaktion bekannt.

Verwendete Quellen
  • Augenschein vor Ort und Gespräch mit Hans P.
  • Schriftlicher Austausch mit Mario Stübi, Präsident des Luzerner Mieterverbands
  • Telefonat mit Anton Bühlmann, Dozent für Mietrecht an der Universität Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Damian Hunkeler, Präsident des Hauseigentümerverbandes Luzern
  • zentralplus Medienarchiv
  • Medienmitteilung der Suva
  • Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der Suva
  • Beitrag des Schweizerischen Mieterverbands zur Kündigung wegen Sanierung
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