Zu Besuch an der Nutztiermesse Suisse Tier in Luzern

«Im Prinzip ist das Kalb ein Abfallprodukt der Milchwirtschaft»

Streicheln untersagt! Ein Schild, das man sonst eher vom Wandern kennt. (Bild: wia)

Von den perfekten Gummizitzen bis hin zu den Homöopathie-«Chügeli» für die schwangere Kuh. An der Nutztiermesse Suisse Tier in Luzern gibt’s für Laien allerlei Kurioses. zentralplus war zu Besuch an einem Ort, an dem das Tofuschnitzel keine Chance hat.

Das braune Kalb, noch etwas wackelig auf den Beinen, macht sich durchs Stroh auf in Richtung Tränke. Es saugt Milch aus der Gummizitze, bis nichts mehr kommt, stolpert zurück zu seinen Artgenossen und legt sich erschöpft neben ein helles Kälbli. Plötzlich leuchtet sein Halsband rot auf.

Es ist ein Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Oder wäre, wenn der Effekt nicht extra ausgelöst worden wäre. Wir befinden uns an der Nutztiermesse Suisse Tier in Luzern, und werden gerade Zeugin einer neuen Technologie. Mit diesem wird etwa angezeigt, wenn ein Kalb zu wenig schnell trinkt, was wiederum ein Hinweis auf eine Krankheit sein könnte. Via Handy-App können Landwirte kontrollieren, wann und wie oft welches Kalb getrunken hat, ausserdem wie viel und wie schnell.

Wenn die Bauern keine Übersicht mehr haben

«Das ist ideal für Bauern, die keine Übersicht über ihre Kälber haben», sagt einer der Verantwortlichen dazu. So könne sehr schnell ermittelt werden, wenn es einem Tier weniger gut gehe. «Indem man Unregelmässigkeiten schneller erkennt, kann der Gebrauch von Antibiotika verringert werden», sagt der Mann.

Mit solchen Halsbändern sollen Landwirte darauf aufmerksam gemacht werden, wenn etwas nicht stimmt mit dem Kalb. (Bild: wia)

Den Einwand, dass der Landwirt bei weniger Tieren wohl von selber darauf käme, dass etwas mit seinem Jungvieh nicht stimmt, kann der Mann nachvollziehen. Doch appelliert er gleichzeitig an die Verantwortung der Konsumenten. «Nachhaltigkeit wird bei den Konsumenten sehr hoch gewertet. Bis sie vor dem Regal stehen. Dann vergessen das viele flugs wieder und kaufen Prix-Garantie-Fleisch.»

Womit wir wohl bei einem der Hauptprobleme der Landwirtschaftsbranche wären. Denn der Begriff des Tierwohls wird zwar grossgeschrieben und wie ein Mantra repetiert. Doch Tierwohl und Wirtschaftlichkeit gehen nur bis zu einem gewissen Grad zusammen. Und ganz ohne Wirtschaftlichkeit wird aus dem Nutztier ein einfaches Tier, und dann hätte man auch eine Kanarienvogelmesse besuchen können.

Achtung, Kuh!

So schlendern wir denn durch Dutzende von Ständen, die einem das perfekte Kraftfutter für die Masthaltung versprechen, bis wir vor einem Gehege zu stehen kommen. Mutterkuh und Kalb stehen im Stroh, ein friedlicher Anblick. Jedenfalls, bis der Landwirt kurz hineintritt in den Käfig. Sofort geht die Kuh entschlossenen Schrittes auf den Mann zu und versucht diesen mit dem Kopf zu verscheuchen. Nicht ohne Grund steht auf dem Schild vor dem Gehege: «Mutterkühe beschützen ihre Kälber. Bitte Tiere nicht berühren.»

Friedlich mampft die Kuh ihr Futter, während nebenan über gutes Schweizer Fleisch geplaudert wird. (Bild: wia)

An einem Stand über Milchproduktion bekommen wir sehr deutlich zu spüren, wie pragmatisch der ganze Wirtschaftszweig tatsächlich ist. Dort nämlich macht gerade eine Fachperson die folgende Aussage: «Um es hart auszudrücken: Im Prinzip ist das Kalb ein Abfallprodukt der Milchwirtschaft.»

Für das perfekte Melkerlebnis

Bei «Swiss Beef» gibt’s ein Gilet der Vereinigung zu gewinnen, bei den Jungbauern wird zünftig Bier getrunken, an einem Stand für Melkmaschinen wirbt ein Mann für Zitzengummis mit integrierter Vakuumentlastung. «Das ist, als würde tatsächlich ein Kalb an der Zitze saugen.»

Zitzengummi mit Vakuumentlastung? Die Kuh findet: Yes! (Bild: wia)

Wenig später landen wir am Stand von «Suisse Viande» und verheddern uns in einem Gespräch um Tofuschnitzel. Das Verdikt des Vertreters: «Ich geb zu, das hatte ich noch nie. Das interessiert mich aber auch nicht.» Viel mehr interessiert ihn, ob die Qualität des verkauften Fleisches stimme, und ob das, was man in den Restaurants aufgetischt bekommt, tatsächlich aus der Schweiz kommt.

Homöopathie gegen kickende Kühe

Auch ein Homöopathie-Anbieter ist vor Ort. Am selben Stand gibt ein Tierarzt Auskunft. Er sagt: «Es stimmt, wir können statistisch nicht nachweisen, dass homöopathische Mittel wirken. Doch Hunderte Fälle, in denen sie aus meiner Erfahrung schon gewirkt haben, zeigen ein anderes Bild.» Der Schulmediziner zuckt mit den Schultern: «Ich sage immer: Wer heilt, hat Recht.»

Gerade in Sachen Geburtshilfe habe er sehr gute Resultate erzielt mit Homöopathie: «Jemand rief mich an, eine Kuh hatte Probleme beim Kalbern und schlage immer aus mit den Beinen, sodass man ihr nicht helfen konnte. Ich sagte dem Bauer, er soll ihr Chamomilla geben, was er dann tat.» Bei der Ankunft des Tierarztes sei die Kuh ganz ruhig gewesen. «Der Bauer sagte, ich hätte eine beruhigende Wirkung. Ich jedoch war überzeugt, dass es dem Heilmittel zu verdanken war. Das ist doch eine super Lösung, wenn man sich damit viel Ärger ersparen kann.»

Ein Werbespot für Alpakas

In der Halle nebenan versucht eine Frau, den Zuhörern die Haltung von Lamas und Alpakas schmackhaft zu machen. Nicht alle scheinen sich gleich begeistern zu können für die flauschigen Lebewesen. – Wohl nicht zuletzt, weil ihr Nutzen im Vergleich etwa zu einer Kuh doch eher bescheidener Natur ist. Den Ziegenbauer, der extra aus Grindelwald angereist ist, lässt die Präsentation jedenfalls kalt. Sein Herz schlägt vielmehr für seine gehörnten Vierbeiner. Er will sich an der Messe über neue Unterstände und Zäune informieren.

Ob er seine Tiere mit Homöopathie behandelt? «Ja, auch. Gerade bei Geburten ist sie von grossem Nutzen», sagt er.

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