Exotik und TV steigern Begeisterung fürs Schwingen

Warum wir alle so sein wollen wie die «Bösen»

Helden von heute: Elsener Peter und Reichmuth Pirmin kleben an der Fassade einer Zuger-KB-Filiale.

(Bild: mam)

Ums Schwingen gibts seit rund einem Jahrzehnt einen Euphorie, die nicht enden will. Immer teurer werden die «Eidgenössischen», immer mehr Zuschauer verfolgen sie vor Ort. Auch in Zug wird das im kommenden August nicht anders sein. Woran das liegt, versucht ein Volkskundler zu erklären.

Am kommenden Sonntag ist wieder Schwingen Trumpf beim Schweizer Fernsehen. SRF parkiert seine Übertragungswagen in Flüelen, wo das Innerschweizer Teilverbandfest über die Bühne geht. Eine Woche darauf folgt sogleich der nächste Streich: Das Bergkranzfest auf der Rigi wird im Livestream übertragen, zeitweise läuft die Berichterstattung auch im Fernsehen.

So geht es auch nachher munter weiter, denn SRF macht heuer nicht nur aus dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) ein Medienereignis. Nein, das Schweizer Fernsehen überträgt erstmals alle Bergkranz- und Teilverbandsfeste.

Fernsehpublikum liebt Schwingfeste

Schwingen sei schon immer Teil des Programms gewesen, sagt Daniel Bolliger, Bereichsleiter Live bei SRF Sport. Erste Live-Übertragungen habe es schon in den 1990er-Jahren im Fernsehen gegeben. Seither wurde das Angebot stetig ausgebaut. Im letzten Jahr waren erstmals acht Schwingfeste online und im TV zu sehen, heuer werden es insgesamt 12 Wettkämpfe sein.

«Die Aktion im vergangenen Jahr ist beim Publikum sehr gut angekommen, der neuerliche Ausbau auf alle Teilverbands- und Bergkranzfeste ist der nächste logische Schritt», sagt Bolliger, der fürs ESAF in Zug eine zweitägige Direktübertragung plant.

Im Fokus der Hipster

Die steigende mediale Aufmerksamkeit ist die Folge der Inszenierung des ESAF als grosses Volksfest. Ein erstes Mal geschah dies 2004 in Luzern, wo es eine Partymeile und einen Zeltplatz gab. Der grosse Quantensprung erfolgte 2007 in Aarau, als sich das Budget mehr als verdoppelte und erstmals mehr als 200’000 Besucher gezählt wurden. Seither ist es der grösste Sportanlass des Landes.

«Schwingen ist ein Kulturgut, das Fairness und Bodenständigkeit widerspiegelt.»

Daniel Bolliger, Schweizer Fernsehen SRF

2011 lief in den Schweizer Kinos der Dokumentarfilm «Hoselupf – oder wie man ein Böser wird». Darin macht sich der Zürcher Komiker und Hipster Beat Schlatter auf zu einer höchst ernsthaften Suche nach dem Gehalt des Schwingens und stieg dafür auch selber ins Sägemehl. Seitdem ist klar: Der Sport der Hirten wird auch in der Grossstadt geschätzt – von einer urbanen und intellektuellen Klientel.

Suche nach Halt

Traditionen würden allgemein wieder populärer, meint der Kulturanthropologe Walter Leimgruber, Professor an der Universität Basel. Die Menschen seien durch den raschen Wandel der Welt mit Globalisierung, Digitalisierung, Veränderung in der Arbeitswelt, Mobilität und Migration verunsichert. «Dies führt dazu, dass sich die Leute nach Stabilität, nach Überschaubarkeit, nach Sicherheit sehnen. Da bieten sich Traditionen an», so Leimgruber.

Auch in den Städten habe sich das Verhältnis zu Traditionen entkrampft.  Man finde sie cool oder interessant. «Für Städter ist es eine andere, exotische Welt mit Anziehungskraft», so Leimgruber.

Aufrichtig und bodenständig

Zumal diese Welt für edle Werte steht. «Schwingen ist ein Kulturgut, das zum Beispiel Fairness, Bodenständigkeit und Durchsetzungswillen widerspiegelt», glaubt der Fernsehmann Daniel Bolliger.

«Viele Menschen übertragen das Bild von sich selbst auf die Schwinger.»

Walter Leimgruber, Kulturanthropologe

Der Volkskundler Walter Leimgruber zweifelt indes daran, dass diese Werte, zu denen auch Ehrlichkeit und Respekt zählen, die Schwinger speziell auszeichnen. «Natürlich gelten Sportarten, bei denen von Mann zu Mann gekämpft wird, ohne dass technische Hilfsmittel zum Einsatz kommen, als besonders ehrlich, da weniger manipuliert werden kann», sagt er. «Kommt Dopingverdacht auf, sieht es allerdings anders aus.»

Projektion von Tugenden

Auf der andern Seite schreiben sich auch viele Mannschaftssportarten, in denen es nicht um das grosse Geld geht – Landhockey oder anderes – in der Regel spezielle Ehrlichkeit zu.

Die Frage sei, ob sie das auch gegenüber der Öffentlichkeit glauben machen können, sagt Leimgruber. Hier sei es dem Schwingen sicherlich gelungen, «eine besondere Aura aufzubauen», da es «stark mit als typisch geltenden schweizerischen Werten in Verbindung gebracht wird». «In diesem Sinne übertragen viele Menschen das Bild von sich selbst und von unserer Gesellschaft auf die Schwinger», so Leimgruber.

Kritik an Kommerz

Seit alle Welt Schwingen cool findet, wird aber auch Kritik laut. 2011 meldete sich der Appenzeller Ernst Schläpfer, zweifacher Schwingerkönig in den 1980er-Jahren, zu Wort. Das «Eidgenössische» in Frauenfeld sei zu gross geraten, Kommerz gefährde die Seele des Sports, meinte er damals, obwohl er gleichzeitig auch Verbandsobmann war. Immerhin hatte er als solcher durchgesetzt, dass die Spitzenschwinger einen Teil ihrer Sponsorengelder dem Verband zur Nachwuchsförderung abtreten müssen.

Schläpfer wirkt immer noch im Schwingverband mit und ist auch als Kritiker nicht verstummt. Er dient  dem Sportjournalisten und Autor Thomas Renggli als Kronzeuge, der vergangene Woche in der Buchhandlung Balmer in Zug sein neustes Buch «Königstreffen» vorstellte.

«Das Fest ist wichtiger als das Schwingen geworden.»

Ernst Schläpfer, Schwingerkönig

Schläpfer sagt, dass beim ESAF die «Chilbi und Festwiese» mittlerweile wichtiger als das Schwingen selber sei. Auch am ESAF in Zug würden viele Zuschauer keinen Schwinger von Nahem sehen. Tatsächlich rechnen die Organisatoren jeweils mit der gleichen Menge an Gästen in der Festmeile wie im Stadion – jeweils gut 50’000 Menschen.

Wo bleiben die jungen Athleten?

Das Stadion in Zug wird so viele Zuschauer fassen wie noch nie – 56’500. Dies hängt laut OK-Chef Heinz Tännler auch damit zusammen, dass die Sponsoren des Anlasses eigene Ticketkontingente bekommen. Und wegen der immer wichtigeren Sponsoren sowie des Weiterverkaufs von Gaben können einige wenige Spitzenschwinger mittlerweile ein Einkommen von gegen 100’000 Franken erzielen – theoretisch also als Profis leben.

Auf der anderen Seite wird von Schwingern darauf hingewiesen, dass die Begeisterung für ihren Sport keineswegs bedeutet, dass Heerscharen von junge Athleten in den Sägemehlring steigen würden. «Seit Jahren gibt es rund 6’000 Schwinger» sagt Rolf Gasser, Geschäftsführer des Eidgenössichen Schwingverbands, «3000 Aktive und 3000 Jungschwinger». Die Zahl sei relativ stabil. «Aber es wird nicht eicht sein, diesen Bestand in Zukunft zu halten», meint er und verweist auf die geringe Geburtenzahl in der Schweiz.

Ab in die Städte

Deswegen sei man darauf angewiesen, in anderen Milieus Athleten zu rekrutieren – «etwa in den städtischen Gebieten, oder bei den Secondos». Laut Gasser beschäftige das gleiche Problem auch anderen Sportarten und damit etwa den Skiverband oder den Hockeyverband. «Wer es sehr gut löst , ist der Fussballverband», urteilt Gasser.

Indes sei nicht nur eine breite Basis vonnöten, um den Sport am Leben zu erhalten. «Es braucht auch die Spitze», so Gasser. «Wenn ein Club einen Spitzenschwinger in den eigenen Reihen hat, wie etwa Joel Wicki, dann zieht dies viele aus der Umgebung mit.»

Gesetz der Aufmerksamkeitsökonomie

Die Kritik am Rummel zeige, dass auch eine Sportart, die als ehrlich und integer gilt, sofort anders rezipiert werde, wenn sie zum Hype wird, meint Walter Leimgruber dazu. «Dann kommen eben nicht nur die eingefleischten Fans, sondern auch diejenigen, die den Anlass cool finden, die sich zeigen möchten, die einfach etwas erleben wollen.»

Walter Leimgruber, hier bei einer Diskussion im Schweizer Fernsehen.
Walter Leimgruber, hier bei einer Diskussion im Schweizer Fernsehen.

(Bild: Screenshot SRF)

Eventisierung und Festivalisierung seien als Beschreibung gesellschaftlicher Tendenzen in den letzten Jahren wichtig geworden. Und mit dem Schwingen sei genau das in den letzten Jahren passiert. «Die Medien unterstützen dies mit einer breiten Berichterstattung, Liveübertragungen, Homestories mit den wichtigen Schwingern und anderem», beobachtet Leimgruber.

Populäre Sachen werden zu Riesenevents

«Man kann nicht etwas propagieren und dann erstaunt sein, wenn solche Anlässe den Gesetzen des Marktes und der Aufmerksamkeitsökonomie folgen», sagt Leimgruber, der früher zu kultureller Vielfalt und nationaler Identität der Schweiz geforscht hat. «Würden die Schwingfeste klein und bescheiden bleiben, wäre umgekehrt sofort die Klage zu hören, die Leute hätten kein Verständnis mehr für solche Traditionen.»

Die Entwicklung des Schwingens zeige daher, dass auch spezielle Sportarten sich den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen nicht entziehen könnten. «Sie werden zu Riesenevents mit ebensolchen Budgets, wie das unsere Gesellschaft mit allen populären Dingen macht», so Leimgruber.

Was man kriegt, das will man auch

Sich dem zu entziehen, sei schwierig – aber von den meisten Beteiligten wahrscheinlich auch gar nicht gewollt. Das Geld aus den Einnahmen des Festes wie auch der Werbung, aber auch die grosse Aufmerksamkeit «werden wohl von der überwiegenden Mehrheit gerne angenommen», glaubt der Basler. «Wenn dem nicht so wäre, würde man keine Arenen bauen, sondern auf der höchsten, unzugänglichsten Alp schwingen.»

Helden von heute: Kranzschwinger zieren die Schaufenster der Zuger KB.
Helden von heute: Kranzschwinger zieren die Schaufenster der Zuger KB.

(Bild: mam)

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Joseph de Mol
    Joseph de Mol, 02.07.2019, 19:44 Uhr

    Giger Samuel wird der neue Schwingerkönig!

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