Gleisarbeiten am «Nadelöhr Luzern»

Der SBB-Warnton nervt die Stadt Luzern – und das noch lange

Im März wurde der Bahnhof Luzern für die Bauarbeiten drei Tage gesperrt. (Bild: cbu)

Die SBB bauen für 46 Millionen Franken am Schienensystem der Stadt Luzern. Die lauten Warntöne für Bauarbeiter erschallen im Fünf-Minuten-Takt. Gäbe es nicht weniger laute Varianten?

Ein schrilles Warnsignal ist auf dem Stollberg zu hören, dann wird es für einen Moment ruhig, bevor das Rattern eines Zuges die Stille durchbricht. Mindestens einen ganzen Tag pro Woche werde das Quartier nahe der Bernstrasse beschallt, teils auch nachts, schreibt ein Anwohner an zentralplus. «Das bedeutet für diese stark befahrene Strecke, dass es im Fünf-Minuten-Takt bimmelt.»

Der Ton drücke auf seine Konzentration und die Erholungsqualität – er durchdringe selbst geräuschschluckende Kopfhörer. Auch seine Nachbarn würden sich gestört fühlen, hätten die Warnsignale aber als «Gegebenheit des Quartiers» akzeptiert. Doch er meint: «Ich frage mich, ob es wirklich keine angenehmere Lösung gibt – mitten in der Stadt.»

46 Millionen Franken für neue Infrastruktur in Luzern

Der Stollberg liegt auf der Zugstrecke zwischen Luzern und Emmenbrücke. Hier bauen die SBB an den Gleisen, Arbeiten an allen Zulaufstrecken nach Luzern sind im Gange oder geplant. «Die Zufahrt zum Bahnhof Luzern gehört zu den meistbefahrenen Streckenabschnitten auf dem Bahnnetz in der Schweiz», schreibt das Unternehmen auf seiner Website.

Die geplanten Arbeiten der SBB bis August 2023 in der Stadt Luzern. (Bild: SBB)

Für 46 Millionen Franken erneuern die SBB daher Signal- und Gleisanlagen, bauen neue Weichenverbindungen und erstellen im Gütsch ein neues Bahntechnikgebäude. Von September 2022 bis Oktober 2024 soll das Projekt laufen. In Babel, St. Karli und der Neustadt wird der Warnton also mindestens noch 16 Monate zu hören sein.

Die SBB müssen unter laufendem Betrieb bauen

«Die akustische Warnanlage dient der Sicherheit der Bauarbeiter und Bauarbeiterinnen. Diese werden rechtzeitig gewarnt, wenn auf einem nicht gesperrten Nebengleis ein Zug vorbeifährt», erklären die SBB auf Anfrage von zentralplus.

Ob es den Warnton braucht, liegt also auch daran, wie gebaut wird. «Die Warnanlagen kommen immer und überall zum Einsatz, wenn ein Streckenabschnitt nicht komplett gesperrt wird», bestätigen die SBB.

«Ein beträchtlicher Teil der Arbeiten muss bei laufendem Betrieb vorgenommen werden.»

Gregor Schmid, Projektleiter bei der Stadt Luzern

In Luzern sei das noch häufig der Fall, erklärt Projektleiter Gregor Schmid von der Stadt auf Anfrage. Nur «zum Teil» werden Arbeiten auf gesperrten Gleisen durchgeführt. «Ein beträchtlicher Teil muss bei laufendem Betrieb vorgenommen werden.» Das wiederum bedeutet: Die Arbeiter müssen oft vor Zügen gewarnt werden.

Die Anzahl an Verunfallten ist im Eisenbahnverkehr seit 1970 zwar stark zurückgegangen, doch noch immer sterben Gleisbauarbeiter auf den Schienen. Allein im Jahr 2018 kamen fünf Arbeiter in der Schweiz zu Tode – ein tragischer Rekord.

Luzern ist von Baulärm der SBB stark betroffen

Dass die lauten Signaltöne für einige Anwohner störend sind, kann auch Urs Huber nachvollziehen. Als Leiter des Bereichs Infrastruktur bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) stehen für ihn aber die Gleisarbeiter im Zentrum: «Aus unserer Sicht hat natürlich die Sicherheit der Arbeiter absolute Priorität.»

«Die Stadt ist wie ein Nadelöhr mit sehr wenig Gleisen und ohne Ausweichmöglichkeiten.»

Urs Huber, Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV)

Könnte man für Bauarbeiten Gleise sperren, wäre das nicht nur für Anwohner wünschenswert, sondern auch für die Gewerkschaft, meint Huber. «Aus Sicht der Arbeitssicherheit wären längere Totalsperren das Optimum, weil dann auch mehr am Tag gearbeitet werden könnte.»

Doch in Luzern ist das kaum möglich. Daher sei Luzern «besonders stark» von den Warntönen und von Baulärm betroffen, erklärt Huber. «Die Stadt ist wie ein Nadelöhr mit sehr wenig Gleisen und ohne Ausweichmöglichkeiten.» Das sei auch für Gleisbauarbeiten herausfordernd. «Die Arbeiten müssen häufig während des laufenden Betriebs an Randzeiten stattfinden.»

Die Gleise beim «Nadelöhr» lassen sich für Bauarbeiten nicht tagelang blockieren. (Bild: cbu)

Neue Technologien sind nicht zweckdienlich  

Geräuschärmere Alternative, um Arbeiter zu warnen, nennt Huber keine. Die Warnanlagen seien aktuell nötig und nicht ersetzbar, erklärt er stattdessen. Es gebe zwar Projekte, einige Warnsysteme zu digitalisieren. «Ob das den Anwohnern viel mehr Ruhe bei solchen Arbeiten bringt, muss sich aber weisen», so der Gewerkschafter.

«Für Baustellen, die lange in Betrieb sind, sind fest installierte akustische Warnanlagen der aktuelle Standard, welcher die Sicherheit der Arbeiter und Arbeiterinnen gewährleistet.»

SBB Medienstelle

Auch die Stadt schreibt, dass Abstriche am Warnsystem nicht möglich seien. Sie erwarte von der Bauherrschaft lediglich, die Anwohner über den Lärm vorgängig zu informieren. Wie die SBB gegenüber zentralplus nachweisen, hat das Unternehmen einen Brief an die Bewohner der betroffenen Quartiere versandt.

Angesprochen auf den Einsatz von alternativen Technologien zur Warnung, erklären die SBB, die «technischen Entwicklungen» im Auge zu haben. Doch noch sieht es nicht nach Veränderung aus. «Für Baustellen, die lange in Betrieb sind, sind fest installierte akustische Warnanlagen der aktuelle Standard, welcher die Sicherheit der Arbeiter und Arbeiterinnen gewährleistet.»

Verwendete Quellen
  • Website der SBB zu Bauarbeiten in Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit einem Anwohner
  • Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der SBB
  • Schriftlicher Austausch mit Gregor Schmid, Projektleiter Energie, Klima, nichtionisierende Strahlung bei der Stadt Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Urs Huber, Leiter des Bereichs Infrastruktur bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV)
  • Website des Bundesamts für Statistik zu Unfällen im Eisenbahnnetz
  • Artikel im «Blick»
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11 Kommentare
  • Profilfoto von Andreas Lärcher
    Andreas Lärcher, 29.06.2023, 09:33 Uhr

    Ich bin erstaunt, wie viele Personen scheinbar der Meinung sind, dass Städter allen Lärm ertragen müssen. Es beschwert sich kaum jemand, der am Gleis wohnt über Zuglärm. Das ist die Konsequenz der Lage. Hier geht’s um Warnsignale, die von hoher Lautstärke und Häufigkeit sind.

    Die Sicherheit der Arbeitenden geht vor! Das ist nachvollziehbar und wichtig. Spannend finde ich den Kommentar vom Gleisarbeiter (vielen Dank an dieser Stelle), der schreibt, dass es auch Alternativen gibt. Es geht also nicht bloss um die Sicherheit, sondern auch um die Kosten.

    Ich verstehe die Anwohnerschaft, dass dies nicht goutiert wird. Mich hat es fast vom Fahrrad geworfen als ich gemütlich am Xylophonweg entlang radelte und plötzlich die Sirene losging. Ein wahrer Schreck.

    In Zeiten vom bewussteren Umgang mit Lärm (oder dem Einfluss vom Lärm auf die Gesundheit) erwarte ich von der SBB mehr Lösungsbereitschaft. Nicht um Abstriche bei der Sicherheit zu machen sondern um die Einflüsse auf das Umfeld zu reduzieren.

    Und ja, ich sympatisiere auch mit der Bevölkerung Emmens. Der Fluglärm (vor allem der unnütze Fluglärm mit Paraden und Formationen fliegen) ist eine Zumutung.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 29.06.2023, 14:12 Uhr

      Guter Punkt, da müsste man direkt mal da ansetzen wo Lärm risikofrei und kostenneutral eliminiert werden kann; Feuerwerke prinzipiell verbieten. Diese dienen ja schliesslich nicht der Sicherheit einer Personengruppe.

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    • Profilfoto von marsumarsu
      marsumarsu, 29.06.2023, 15:45 Uhr

      Na sicher…..
      Städte, Dörfer und Weiler sind gleichermassen vom Lärm der festinstallierten-, temporären- oder Minimelanlagen betroffen.
      Sie berücksichtigen dabei aber nicht, dass das Rollmaterial in den letzten Jahrzehnten immer leiser wurde, die Arbeiter entlang der Geleise immer grösserem Arbeitsstress ausgesetzt sind, die zusätzlich eingesetzten Sicherheitswärter mit, je nach Streckenverlauf, Vorwarnern, jedes Jahr meisten auf Grund menschlichen Versagens, trotzdem tödlich Verletzte fordert. Jeder Tote ist einer zuviel.
      Die Helme welche sie bejahen, sind zusätzliche Folter in der Hitze im Schotterbett, von der sie bestimmt wenig Ahnung haben.
      Daher und mit vielen Gegenargumenten kann ich den Gleisbauer nicht verstehen.

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    • Profilfoto von Rocco Tronado
      Rocco Tronado, 30.06.2023, 11:09 Uhr

      Wenn Sie so schreckhaft sind, dann sollten Sie vielleicht das Fahrradfahren sein lassen. Sie gefährden auch andere!

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    Barbara, 28.06.2023, 21:47 Uhr

    Entweder Stadt und Betrieb oder Stille und Beschaulichkeit auf dem Land. Man hat ja die Wahl oder?

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    Else, 28.06.2023, 16:00 Uhr

    Ach die SBB und was ist mit den Nervtötenden Flugis über Emmen das sag niemand was der Baulärm, ,,auf dem Balkon hält man es in Emmen(brücke nicht aus,

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  • Profilfoto von Peter
    Peter, 28.06.2023, 13:39 Uhr

    Ich als Gleisbauer lese das und denk mir so meinen Teil. Sie haben sich eine Wohnung gesucht an einer Bahnlinie und beschweren sich über Lärm. Augen auf bei der Wohnungswahl… Der «Lärm» ist unsere Lebensversicherung und klar kommt er durch Kopfhörer da wir diese auch bei div. arbeiten tragen müssen aber dennoch das Warnsignal hören müssen. Ich kenne nicht die Baustelle aber was die SBB in dem Artikel verschweigt, es gibt für genau solche Baustellen mobile Lärmschutzmatten die Recht gut Lärm schlucken können, die BLS hatte diese zb in Spiez im Einsatz es gibt auch Systeme die direkt auf die Kopfhörer gehen aber das kostet alles Geld und bis das BAV ja dazu sagt ist es schon wieder veraltet.

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    • Profilfoto von Marsumarsu
      Marsumarsu, 28.06.2023, 22:43 Uhr

      Als Geleisebauer müssten Sie wissen, dass beim Bau oder Umbau eines Streckennetzes oder Teile davon, die Sicherheit der Beschäftigten immer vor Lärmemissionen zu priorisieren ist.

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      • Profilfoto von Roli Greter
        Roli Greter, 29.06.2023, 06:23 Uhr

        Aus seinem Kommentar geht eindeutig hervor dass er das weiss.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 29.06.2023, 06:21 Uhr

      Es ist beschämend dass ihr Kommentar mehr dislikes als likes generiert. Die Diskussion mit den Dilslikern wäre spannend. Anyone?

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  • Profilfoto von Manjaro
    Manjaro, 28.06.2023, 09:13 Uhr

    Und genau die Jammersi wollen einen Tiefbahnhof?
    Es gibt sicher eine leisere Variante, aber dafür mehr tote Gleisarbeiter.

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