Exkremente, Spritzen und Kondome

Mitten in Luzern: Kirche vertreibt Jugend mit Schallschreckgerät

Der unscheinbare Kasten über der Eingangstür der Lukaskirche ist ein Schallschreckgerät gegen Jugendliche. (Bild: kok)

Die Reformierte Kirche verwendet im Vögeligärtli in Luzern ein Schallschreckgerät, um Jugendliche zu vertreiben. Denn was auf der Kirchentreppe nach der Nacht liegen bleibt, ist unappetitlich. Jetzt kommt Bewegung in die Sache.

Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit ist im Vögeligärtli mitten in Luzern seit drei Jahren ein umstrittenes Gerät im Einsatz. Der kleine Kasten über der Eingangstür der Lukaskirche hat viele Namen: Schallschreckgerät, Mosquito-Gerät oder auch: Jugendschreck.

Das Prinzip hinter solchen Geräten ist simpel: Mit sehr lauten und hohen Tönen vertreiben die kleinen Kästen Jugendliche. Denn der modulierende Ton mit einer Lautstärke von bis zu 94 Dezibel wird nur von unter 30-Jährigen wahrgenommen. Junge werden es nahe einem solchen Kasten nicht lange aushalten.

Potenziell gesundheitsgefährdend

Als Ultraschall-Tierschreck oder auch Marderschreck sind ähnliche Geräte bei Eigenheimbesitzern beliebt. Lästige Nager bleiben so dem Garten fern. Doch der Einsatz gegen den Menschen ist umstritten.

«Der Folgeschaden eines bleibenden Ohrgeräusches (Tinnitus) kann nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.»

Stadt Winterthur in einer lärmrechtlichen Beurteilung von «Swiss-Mosquito»

Im Jahr 2007 führte die Suva eine Untersuchung zu dem Gerät «Mosquito Mk II» durch. Die Ergebnisse zeigten, dass ein solches Gerät nach einer halben Stunde nicht zum Hörverlust führen kann. «Der Folgeschaden eines bleibenden Ohrgeräusches (Tinnitus) kann hingegen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden», zitierte die Stadt Winterthur die Studie in einer lärmrechtlichen Beurteilung eines ähnlichen Störsenders.

Die Lukaskirche im Vögeligärtli Luzern. (Bild: kok)

Politischer Vorstoss wegen Einsatz beim KKL

Im Frühling 2022 sorgte ein Schallschreckgerät in Luzern für Wirbel. Als das KKL einen einmaligen Test auf dem Europaplatz durchführte, gab es deutliche Kritik. Die Stadt erklärte anschliessend, dass solche Geräte wegen ihrer «Emissionen auf den öffentlichen Grund» eine Bewilligung brauchen (zentralplus berichtete).

«Gemäss Ansicht des Bundesrates ist nicht auszuschliessen, dass der Betrieb von Geräten dieser Art verfassungsmässig garantierte Grundrechte tangiert.»

Stadt Winterthur

Der Test am KKL blieb nicht folgenlos. Im Januar 2023 reichten zwei Grünen-Grossstadträte eine Motion mit dem Titel «Schallschreckgeräte – Menschenfeindliche Technik verbieten» beim Stadtrat ein. Das Gerät an der Lukaskirche, welches seit drei Jahren dauerhaft im Einsatz ist, wird in dem Vorstoss nicht erwähnt. Auf Anfrage teilt einer der Motionäre mit, dass er erst im Zuge der zentralplus-Recherchen davon mitbekommen habe.

Schallschreckgeräte können Grundrechte tangieren

Die Politiker argumentieren in ihrem Vorstoss, die Technik verstosse gegen mehrere Grundrechte: das Diskriminierungsverbot, die persönliche Freiheit, den Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und die Versammlungs- und die Meinungsäusserungsfreiheit.

Ähnlich sah es – gemäss einem Dokument der Stadt Winterthur – auch der Bundesrat im Jahr 2007. «Gemäss Ansicht des Bundesrates ist nicht auszuschliessen, dass der Betrieb von Geräten dieser Art verfassungsmässig garantierte Grundrechte tangiert.» Doch ein generelles Verbot von Schallschreckgeräten wäre ebenfalls ein Eingriff in die Grundrechte Wirtschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie.

Stadtrat sagt, Schallschreckgeräte sind «nicht bewilligbar»

Gegenüber zentralplus teilt die Stadt Luzern mit, dass die Motion der beiden Grünen-Grossstadträte derzeit bearbeitet wird. Sie könne daher noch nicht mitteilen, ob solche Geräte künftig verboten werden. Eine erste Einschätzung gibt Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen, trotzdem.

«Auch nach einer Interessenabwägung und über Auflagen in einer Baubewilligung kann nie ausgeschlossen werden, dass Personen durch den Schall beeinträchtigt würden.»

Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen Luzern

Nach intern erfolgten Rücksprachen teilt er mit, die Baudirektion der Stadt Luzern erachte die Installation von Mosquito-Geräten als «nicht bewilligbar». «Auch nach einer Interessenabwägung und über das Anbringen von Auflagen in einer Baubewilligung kann nie ausgeschlossen werden, dass Personen durch den Schall beeinträchtigt würden.»

Die Lukaskirche stoppt den Einsatz des Geräts

Lütolf erklärt ausserdem, dass die Stadt «keine Kenntnis von derartigen Geräteinstallationen» habe: also auch nicht von dem Schallschreckgerät an der Lukaskirche im Vögeligärtli. Selbst der Quartierverein Hirschmatt-Neustadt sei nicht über das Gerät informiert, schreibt Co-Präsident Markus Schulthess.

Auf Anfrage von zentralplus bestätigt die Kirche den Einsatz des Geräts. «Die Reformierte Kirche Luzern hat sich nach der Prüfung von verschiedenen Massnahmen vor etwa drei Jahren dazu entschieden, ein Schallgerät zu installieren», schreibt Geschäftsführerin Nadja Zgraggen. Seitdem sei es zwischen 19 und 6 Uhr aktiv.

«Die Hinterlassenschaften beinhalten unter anderem regelmässig menschliche Exkremente, Flaschen und Scherben, Kondome, Spritzen sowie Essensreste.»

Nadja Zgraggen, Geschäftsführerin Reformierte Kirche Luzern

Die Kirche habe das Gerät installiert, um gegen den Abfall vorzugehen. Seit Jahren müssten die Mitarbeiter vor den Gottesdiensten am Samstag- und Sonntagmorgen eine «intensive Reinigung» des überdachten Eingangsbereichs und der Treppe vornehmen, schreibt Nadja Zgraggen. Diese Reinigung sei zunehmend «unzumutbar» geworden.

Der Treppenbereich und der überdachte Vorraum waren jahrelang sehr beliebt bei Jugendlichen. (Bild: kok)

«Die Hinterlassenschaften beinhalten unter anderem regelmässig menschliche Exkremente, Flaschen und Scherben, Kondome, Spritzen sowie Essensreste», berichtet sie. Das Gerät konnte helfen, das «nächtliche und übermässige Littering» in Grenzen zu halten.

Die Geschäftsführerin schreibt weiter, es sei der Kirche bewusst, dass es sich um keine «optimale Lösung» handle. Angeregt durch die Nachfrage von zentralplus und aufgrund der ausstehenden Beantwortung der Motion durch den Stadtrat habe die Reformierte Kirche Luzern daher einen Stopp beschlossen. «Mindestens bis zur Klärung der Sachlage verzichten wir auf den weiteren Einsatz.»

Doch einige Tage später dreht sich der Wind. Im Gespräch mit zentralplus berichtet Nadja Zgraggen von ihren Sorgen, dass der Pfingstgottesdienst am Sonntagmorgen durch unappetitliche Fundstücke begleitet werden könnte, wenn das Gerät ausgeschaltet bliebe. Und eine Reinigung liesse sich so schnell nicht organisieren. Noch habe die Kirche keine Entscheidung getroffen, aber eine Wiedereinschaltung des Geräts am Samstagabend sei nicht ausgeschlossen, sagt die Geschäftsführerin.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Nadja Zgraggen, Geschäftsführerin Reformierte Kirche Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Stefan Gareis, operativer Leiter Hotel Continental Park
  • Telefonat mit Markus Schulthess, Co-Präsident Quartierverein Hirschmatt
  • Besuch vor Ort
  • Schriftlicher Austausch mit Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen Luzern
  • Motion von Jona Studhalter und Elias Steiner namens der G/JG-Fraktion
  • Website der Vereinigung kantonaler Lärmschutzfachleute
  • Dokument der Stadt Winterthur zur «Lärmrechtlichen Beurteilung Störsender Swiss-Mosquito»
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