Was vor 50 Jahren in Zug geschah

Transparente BHs, übersexualisierte Teenies und wann kommt endlich die Kanalisation?

Was bewegte Zug vor 50 Jahren? Neubauten. Ausländer. Und BHs offenbar. (Bild: Montage wia)

Weil wir nicht ganz bereit sind fürs Jahr 2020 reisen wir in die Vergangenheit. 50 Jahre, um genau zu sein. Und schauen, was Zug damals bewegt hat. Die erschreckende Erkenntnis: Mit einigen der damaligen Probleme plagen wir uns noch heute herum.

2020, das klingt gross. Das klingt nach Zukunft, fast ein wenig nach «Futurama» und «Fifth Element». Auch wenn es wohl nicht ganz so aufregend werden dürfte. Weil wir jedoch unmöglich prophezeien können, was in diesem Jahr passiert, blicken wir lieber zurück. 50 Jahre, um genau zu sein.

Wir reisen in den Kanton Zug des Jahres 1970, in eine Zeit, in der die Frau noch ohne Stimmrecht dastand, in der im Winter noch so viel Schnee lag, dass Talabfahrten vom Zugerberg mit den Skiern gang und gäbe waren. Und in der man sich nicht sicher war, ob sexuelle Aufklärung eine gute Sache sei. Und doch: Waren die Zeiten tatsächlich so anders? Damals wie heute dominieren Themen wie Umwelt, Gleichstellung und Ausländer die Schlagzeilen.

Ab ins Staatsarchiv, wir tauchen ein. Zug hatte sich 1970 mit einigen grossen Brocken zu befassen.

Nicht nur musste sich der Kanton mit nationalen Themen herumschlagen wie etwa der sogenannten «Überfremdungsinitiative». – Gemäss dieser hätte der maximale Anteil an Ausländern in der Schweiz 10 Prozent betragen sollen. Das Anliegen scheiterte in dieser ersten Fassung im Juni 1970 mit 54 Prozent Nein-Stimmen. Doch stellte es die erste Initiative zur Begrenzung der Zuwanderung in einer langen Reihe dar, die bis in die heutige Zeit reicht.

Übrigens: Die Redaktion der «Zuger Nachrichten» sprach sich dezidiert für die Initiative aus. In 20 bis 30 Jahren (also im Jahr 2000) würden in den Schweiz 10 bis 12 Millionen Menschen «zusammengepfercht leben müssen! Gesunde Luft, gesunde Gewässer, Ruhe und Erholungsraum wird es dann kaum mehr geben. Dafür aber Rassenfragen, soziale Spannungen, Streiks und Kommunismus. Schöne Schweiz – glückliches Volk!»

Ob man wirklich im Zugersee schwimmen wollte?

Ein weiteres Problem, mit dem sich die Zuger, insbesondere die Regierung, herumschlug, ist eines, das man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann: Im Kanton Zug waren 1970 erst zwischen 50 und 75 Prozent der Haushalte an eine Kläranlage angeschlossen. Der Rest floss in die Gewässer. Damit stand der Kanton sogar noch gut da. Zum Vergleich: Im Kanton Luzern waren weniger als 25 Prozent der Bevölkerung an die Kanalisation angeschlossen.

Weniger als 75 Prozent der Bevölkerung war 1970 an die Kläranlage angeschlossen. (Bild: «Zuger Nachrichten»/ Staatsarchiv)

Auch die Strassen waren 1970 deutlich unsicherer. Von einer «traurigen Bilanz» sprachen die «Zuger Nachrichten», waren doch im Jahr zuvor im Kanton Zug 774 Verkehrsunfälle gemeldet worden. Diese forderten sage und schreibe 20 Todesopfer. Zum Vergleich: 2018 starb in Zug eine Person infolge eines Verkehrsunfalls.

Zahlen des Bundes aus diesen Jahren zeigen, dass schweizweit Anfang der 1970er mit Abstand am meisten Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen. Die Mischung aus bereits ziemlich schnellen Autos und inexistenter Gurtenpflicht (geschweige denn Airbags) war eine toxische.

Überhaupt war man bei der Beschreibung von Unfällen vor 50 Jahren noch deutlich weniger zimperlich. Und auch der Datenschutz spielte damals noch eine untergeordnete Rolle. Dafür durfte sich das Opfer über die Besserungswünsche der Redaktion freuen.

Relativ genau wird hier beschrieben, wie der arme Landwirt «verstümmelt» wird. (Bild: Zuger Nachrichten/ Staatsarchiv)

Gebaut, oder zumindest geplant wurde zünftig. Das Schwimmbad Lättich befand sich mitten in den Bauarbeiten, weiter wurde über den Bau einer neuen Kantonsschule nachgedacht. Damals befand sich das Gymnasium noch in der «Athene» an der Hofstrasse. Auch über den Erweiterungsbau des Theaters Casino Zug wurde damals bereits diskutiert. – Dieser wurde 1981 eingeweiht.

Blättert man durch die «Zuger Nachrichten» aus besagtem Jahr, fällt insbesondere die Werbung auf: Ganz gross im Kurs waren Unterwäschereklamen. Auf beinahe jeder dritten Seite werden die Zugerinnen dazu bewogen, sich doch neckische BHs zuzulegen. Tatsächlich staunt man darüber, wie freizügig gewisse Werbung schon damals war.

Ein Hauch von Nichts. Werbung von 1970. (Bild: Zuger Nachrichten/ Staatsarchiv)

Die Zeit der sexuellen Befreiung war zweifellos auch in der Zentralschweiz angekommen. Auch wenn man sich damals noch jenseits einer tatsächlichen Gleichstellung befand. Die Werber jedenfalls liebten es, Frauen in Bikinis zu zeigen. Auch wenn man über Sinn und Unsinn der Sujets diskutieren kann. Denn was genau haben die unten gezeigten sieben Frauen mit Israel-Ferien zu tun?

Nordmann – heute Manor – machte damals Werbung für Israel-Reisen. (Bild: Zuger Nachrichten)

Nicht allen war diese Tendenz zur Freizügigkeit geheuer. Viele fürchteten sich vor einer «Sexualisierung». Immer wieder liest man über die schlimme Jugend und von «überbordendem Sex- und Drogenkonsum». Im Jahr 1969 unterrichtete der schweizerische Verein für Handarbeit und Schulreform Lehrer erstmals in Sexualpädagogik.

Der Grund liege «in der zunehmenden Sexualisierung aller Lebensbereiche (Film, Literatur, Illustrierte, Werbung)», sowie der körperlichen Frühreife der Kinder und der Gefahr durch Sittlichkeitsdelikte».  

Teenager heben den Mahnfinger

Gottseidank wurde Zucht und Ordnung damals wenigstens bei der Jungwacht noch grossgeschrieben. In der «Führerausbildung» befasste man sich ebenfalls mit dieser Sexualisierung, wie einem Zeitungsartikel zu entnehmen ist: «Es wurden Arbeitsgruppen gebildet, welche die Aufgabe hatten, anhand von Jugendzeitschriften, Klatschblättern, Boulevardblättern, Sex-Illustrierten usw. eine Diskussionsgrundlage zu schaffen.»

Das rigorose Fazit der halbwüchsigen Knaben, welche diese unsittlichen Medien unter die Lupe nahmen: Es gehe nicht um Aufklärung, sondern um ihr Geschäft, um den Geldbeutel. «Geistig haben solche Blätter überhaupt nichts zu bieten.» Im Gegenteil: Der im «Bravo» erschienene Roman «Küsse nach dem Unterricht» könne von Mädchen in der Oberschule als äusserst praktische Anleitung dienen, ihren Lehrer zu erpressen.

Anfang der 70er befasste man sich nicht nur mit den aktuellen Bedrohungen, sondern auch mit künftigen.

Die Zukunft malte man dunkelgrau

Liest man eine Schlagzeile von damals, hatte man zur Zukunft wenig Positives zu sagen: «Ausblick auf eine problemträchtige Zukunft», lautete der Titel des Artikels, in dem Zukunftsforscher Francesco Kneschaurek Prognosen stellte. Bis im Jahr 2000 sollen in der Schweiz 7,5 Millionen Menschen leben, stellte dieser fest. «Die Tendenz zur Überalterung wird sich weiter ausprägen.» So weit, so richtig.

Doch rechnete er auch mit einer Austrocknung des Arbeitsmarktes und mit einer Inflation von bis zu 5 Prozent. Tatsächlich lag diese 2018 bei 0,9 Prozent. Ausserdem prognostizierte Kneschaurek ein geringeres Pro-Kopf-Einkommen. Das Bruttoinlandprodukt pro Person ist in diesen letzten 50 Jahren jedoch von knapp 17’000 auf fast 81’000 Franken gestiegen.

Was sonst noch auffällt

Bereits Anfang der Siebziger findet man englische Stellenanzeigen in der Zeitung. Gesucht wird etwa eine «experienced executive Secretary» für eine internationale Organisation, die mit Panoramasicht, kurzen Arbeitszeiten und «top salary» wirbt.

Und auch der Umweltschutz wird bereits – andeutungsweise –thematisiert und von den Zeitungsmachern sogar als «die grösste Gefahr unserer Zeit» betitelt. Das wohl jedoch nur, weil die Luzerner Demonstrierenden die Umweltverpestung direkt zu riechen bekamen.

So viel zu den fehlenden Anschlüssen an die Kanalisation im Kanton Luzern ... (Bild: Zuger Nachrichten/Staatsarchiv)

Das Wetter jedenfalls spielte in diesem Jahr etwas verrückt. Zum einen fragte man sich im Januar noch, ob es allenfalls zu einer Seegfrörni käme, wie es 1963 das letzte Mal war, denn die Seebucht in Zug trug bereits einen dünnen Eisfilm. – Zu bald kam jedoch das wärmere Wetter und mit ihm der Regen. So viel, wie davor selten ...

Wo ist denn bitte der Schiffssteg hin? (Bild: Zuger Nachrichten 1970/ Staatsarchiv)

Fun Fact: Im Frühjahr 1970 spielte die japanische Eishockeymannschaft in Zug gegen die Schweizer. Und bodigte diese flugs mit 6 zu 1. Heute würden sich die Schweizer wohl besser «metzgen», ist das hiesige Nationalteam doch deutlich besser rangiert (IIHF-Rangliste Nummer 8) als die Kollegen aus Nippon (Rang 23).

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