Luzerner Theater: Katja Brunners Uraufführung

Rotzfreche Anklage an das Schweizertum

Sofia Elena Borsani als sexualisiertes Heidi mit Blumenkranz auf dem Kopf.

(Bild: David Roethlisberger)

Die Uraufführung von Katja Brunners Stück «Man bleibt wo man hingehört, …» ist eine kritische Politfabel über unsere helvetische Heimat. Aufgeführt in der Box des Luzerner Theaters, rechnet die Inszenierung Christina Rasts mit unbequemen Wahrheiten über das Schweizertum ab.

Nach einer ironischen Begrüssung durch Schauspieler Adrian Furrer, die den intimen Rahmen des Publikums verstärkt, beginnt die Dreierbesetzung mit ihrer zynischen Abhandlung über die Heimat.

Abrechnung mit der Heimat

A wie «kein Adolf Hitler», E wie «Europafrage», D wie «Dagobert Duck wäre in diesem Land ein Durchschnittsbürger». Ein Heimat-ABC führt durch das Stück «Man bleibt, wo man hingehört, und wer nicht bleiben kann, gehört halt nirgends hin oder eine arglose Beisetzung». Dieses lebt von seiner frechen und ungehemmt frischen Sprache. Katja Brunners wortgewandte Abrechnung mit ihrer und unser aller Identität und Verantwortung als Schweizerinnen und Schweizer unterhält und vermag teils auch das Publikum zu ergreifen.

D wie «Dagobert Duck wäre in diesem Land ein Durchschnittsbürger»

Die Handlung der Fabel erzählt von einem Igel, der, für die Schweizer Aussenpolitik stehend, sich abschottet und sich nie aus seinem Bau wagt. «Ich will aus meiner Enge raus», verkündet der Igel, gespielt von Verena Lercher. Als er nach einer heroischen Rede zur wagnisvollen Tat aufbricht, wird er prompt von einem Traktor überfahren.

Unbequeme Fragen ans Publikum

Die konfrontative Thematik des Textes nehmen die Schauspieler in ihrem Spiel auf und bringen das Publikum in eine teils unbequeme Nähe zum Aufgeführten. Sie schütteln Hände, setzen sich auf den Stuhl nebenan und blicken den Zuschauenden lange in die Augen. «Und was hast du für die Berge getan?», fragen sie mich. «Nichts», verbleiben sie mit ihrer eigenen Antwort.

Gegenstand der Empörung ist für Katja Brunner genügend vorhanden: Die Menschen, die, geflohen, als Flüchtlinge wieder aus dem Land vertrieben werden, und die eigenen Schuldgefühle darüber, die Privilegien der Schweiz als das eigene Grundrecht anzusehen.

Der Text bearbeitet persönliche Problematik und politischen Unmut gekonnt mit rotzfrechen Anklagen an unser Schweizertum. So wird mit allen möglichen Klischees gespielt und mit viel Witz und beissend komischen Aussagen über die Politik hergezogen.

«Was war Yussufs Fehler?», fragt der Igel mit einem in den Himmel gerichteten Blick, wo er nicht Gottes Gerechtigkeit, sondern das Ausschaffungsflugzeug vermutet.

Und über «ganze Generationen von Textilarbeitern» wird gesprochen – «Oder klingt das jetzt menschenverachtend?», schiesst es gleich hinterher.

«Weg mit dem selbstgerechten Gedankengut!»

Von dieser kritischen Scharfzüngigkeit wird das Publikum durch das Stück getragen und der politische Grundton kommt klar zum Ausdruck, von der «ach so heiligen Neutralität» hält man hier nichts. Weg mit dem selbstgerechten Gedankengut!

Ferner kommen ein sexualisiertes Heidi, die schmollmündig ihre Unschuld zur Schau stellt, ein alter Zürcher Stadtrat und Anna Göldi, die letzte in der Schweiz verbrannte Hexe, zum Einsatz.

Die drei Schauspieler werden begleitet von Trixa Arnold am Mischpult, altertümliche Volkslieder mischen sich mit Gesängen und Klängen aus Volksmusik verschiedener Kulturen.

Die Angst begraben

Dies beschwört im Raum die nötige mystische Stimmung und gibt dem Stück ein wenig von seiner Ernsthaftigkeit zurück. Doch erst gegen Schluss dringt die eigentliche Tragik dieser im Grunde komödienhaften Fabel durch.

Das Heidi bricht mit piepsiger Stimme in einen Wutanfall aus, reisst sie sich seinen Blumenkranz vom Kopf und kündet seine Rolle als Heimatliebchen. «Schämt euch», schreit sie uns an, «schämt euch, schämt euch, schämt euch!»

Dem Stück gelingt kurz ein Schritt weg von der leichtherzigen Unterhaltungsschau. Das Stück ist nicht mehr bloss ein aufgeführtes Theater, es wird real, denn es betrifft das Hier, das Jetzt und jeden Einzelnen im Raum, egal, ob Schweizer oder von anderswo.

Zum krönenden Abschluss wird nichts weniger als die Angst zu Grabe getragen. Auf den Wimpeln des Grabkranzes steht: «Für immer im Herzen – ruhe sanft.»

Nächste Aufführungen: 6. 12., 8. 12., 16. 12. Am 30. 11., 6. 12., 10. 12. und 16. 12. mit Publikumsgespräch. Luzerner Theater, Box.

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