Luzern: Kleinliche Bewilligungspraxis?

Riesiges Theater wegen einer kleinen Tafel

Diese Tafel ist der Stein des Anstosses. Yvonne Prudente ist froh, dass sie das Schild nun wieder stehen lassen darf.

Realsatire oder Regulierungswut? Seit 32 Jahren hat die Bebié-Konditorei ein Schild vor dem Laden stehen – nun ist dies plötzlich illegal. Auch zwei kleine Tischchen mussten verschwinden: Für sie braucht es eine Baubewilligung. Es folgten ein riesiger Papierkrieg und happige Kosten. Die Betreiber der Confiserie können nur noch eines: ungläubig den Kopf schütteln.

Die Bebié-Konditorei an der Bundesstrasse 7 ist eine Institution. Seit 32 Jahren kaufen hier Quartierbewohner und Passanten Brötchen, Törtchen und Kuchen. Seit sieben Jahren befindet sich im Lokal auch noch ein Café, wo man gemütlich an einem Tischchen etwas trinken und essen kann. Zwei Werbetafeln beim Eingang stehen seit vielen Jahren da. Darauf steht mit Kreide, was heute gerade besonders zu empfehlen ist. Zwei kleine Tischchen vor dem Schaufenster mit vier Stühlen werden von rauchenden Stammkunden genutzt. Ein typisches Bäckereilokal, wie es sie vielerorts gibt.

Pro Türe nur eine Tafel

So weit, so gut. Doch nun ist es mit der Idylle vorbei. Yvonne Prudente-Bebié sitzt da und verdreht die Augen, als sie ihre Geschichte zu erzählen beginnt. Die Geschäftsführerin staunte nicht schlecht, als sie Anfang Jahr ein Schreiben von der Stadt Luzern erhielt. «Darin stand, dass die Tafeln vor unserem Geschäft bewilligungs- und kostenpflichtig seien», erzählt sie.

Yvonne Prudente, Geschäftsführerin der Bebié-Konditorei, zeigt, wo früher zwei Tischchen standen.

Yvonne Prudente, Geschäftsführerin der Bebié-Konditorei, zeigt, wo früher zwei Tischchen standen.

Sie konnte es kaum glauben, was sie da las. «Man stelle sich das einmal vor: Für eine Tafel, die seit 32 Jahren hier steht, mussten wir plötzlich ein Gesuch stellen.» Zudem darf sie nicht zwei, sondern nur ein Schild auf das Trottoir stellen. «Hätten wir zwei Eingangstüren, dann dürften es zwei sein. Mit einer Türe wird auch nur ein Schild bewilligt», sagt Yvonne Prudente.

Tische: sofort wegräumen

Sie musste ein Formular ausfüllen, alles genau ausmessen und ein Foto der Tafel machen. «Die Behörden wollten genau wissen, wie viel Platz das Schild in Anspruch nimmt.» Yvonne Prudente mass genau 0,48 Quadratmeter.

«Seit sieben Jahren haben wir draussen diese Sitzgelegenheit – und plötzlich soll das nicht mehr rechtens sein?»

Yvonne Prudente, Geschäftsführerin Bebié-Konditorei

Damit aber nicht genug: Am gleichen Tag kam gleich noch ein Schreiben der Stadt. «Unbewilligte Nutzung von öffentlichem Grund» stand als Überschrift. Gemeint waren zwei kleine Tischchen mit vier Stühlen, welche draussen vor dem Geschäft standen. «Es hiess, dass wir die Tische per sofort wegräumen müssten», sagt Prudente.

Und so sah es aus, als die Tische noch draussen sein durften.

Und so sah es aus, als die Tische noch draussen sein durften.

(Bild: zvg)

Verärgerte Kunden

Die Boulevard-Tische seien illegal, befand die Stadt. Yvonne Prudente ärgert sich: «Seit sieben Jahren haben wir draussen diese Sitzgelegenheit – und plötzlich soll das nicht mehr rechtens sein?» Ja, hiess es von Behördenseite. Das ganze Sommerhalbjahr fehlten die Tischchen auf dem Trottoir. «Ein Kunde fragte, ob wir ihn loshaben wollten», erzählt Prudente. Er sei Raucher und habe immer draussen gesessen. Nun sei das nicht mehr möglich.

Die Stadt begründete ihr Vorgehen damit, dass im Innenraum bereits 25 Quadratmeter für die Tische benutzt würden. Mehr liege nicht drin. Der Konditorei wurde der administrative Aufwand zu gross. «Wir nahmen darauf die Hilfe eines Architekten in Anspruch.» Und der mass nach. Und stellte fest, dass die Stadt den Zwischenraum zwischen den Tischen und der Ladentheke mitgerechnet hat. So stellte sich heraus, dass ihr Café weniger als 25 Quadratmeter Platz braucht – und damit wären die zwei Tische draussen doch möglich. Dafür brauche es aber eine Baubewilligung, erklärt Prudente.

Jeder Blumentopf braucht Bewilligung

Im städtischen «Reglement über die Nutzung des öffentlichen Grundes» vom 28. Oktober 2010 ist festgehalten, was etwa auf Trottoirs sein darf und was nicht. «Jede Benützung, welche über den Gemeingebrauch hinausgeht, ist bewilligungspflichtig», heisst es da. Beispiele von Gemeingebrauch sind etwa: Vorübergehend ein Velo hinstellen, eine Gruppe Menschen steht auf dem Trottoir und diskutiert, eine Frau wartet mit dem Kinderwagen usw.

Das Betreiben eines Boulevardrestaurants oder die Benützung durch Geschäftsauslagen und Pflanzentöpfen ist bewilligungs- und kostenpflichtig. Ein Quadratmeter kostet pro Jahr 90 Franken, zudem gibt es Auflagen: Mindestens 1,50 Meter des Trottoirs muss für Fussgänger frei bleiben. Jedes Gesuch wird einzeln beurteilt und die Situation wird vor Ort überprüft.

Öffentlicher Raum muss also gemietet werden. Seit letztem Jahr hat die Stadt bei Restaurants, Bars und Cafés Grenzen gesetzt. Mit sogenannten «blauen Ecken» markiert sie den Bereich, wo Tische und Stühle auf die Trottoirs gestellt werden dürfen. In Luzern gibt es rund 130 Boulevardbetriebe, die ihren Aussenraum mieten müssen und bei denen die Stadt festlegt, wie gross dieser Raum sein darf.

Grosser Papierkram

Und wieder begann ein Papierkrieg mit Formularen, Plänen, und, und, und. «Der Aufwand für alles ist sehr gross», sagt Prudente. «Der Architekt meinte, dass er für die Formulare gleichviel Zeit benötigt habe wie bei einem Neubau eines Einfamilienhauses.»

Wie viel sie das Ganze kosten wird, weiss sie noch nicht. Das Baugesuch ist noch hängig. Für die Tafel ist schon mal eine Rechnung gekommen: 125 Franken pro Jahr plus 130 Franken Bearbeitungsgebühr.

Die Bebié-Geschäftsführerin hat Verständnis dafür, dass Gesetze sein müssen. «Ich frage mich einfach, ob so ein riesiger bürokratischer Aufwand nötig ist. Wir müssen auch so schon kämpfen, dass wir über die Runden kommen.» Und schliesslich müsse doch auch die Stadt sparen. «Mehrere Personen von der Stadtverwaltung waren hier, um sich das anzuschauen. Auch da frage ich mich, ob sich das tatsächlich lohnt. Schliesslich hat es über all die Jahre ja problemlos funktioniert.»

Schritt für Schritt umsetzen

Prudente fragt sich zudem, warum sie gerade jetzt ins Visier der Behörden geraten ist. Ein nahe gelegener Kiosk etwa habe viel mehr Auslagen auf dem Trottoir und sei nicht belangt worden. Auch andere Läden haben Tafeln und anderes Material draussen aufgestellt. Hingegen haben der benachbarte Parkett-Laden und die nahe gelegene Bäckerei Odermatt ähnliche Schreiben erhalten.

Dass hier Behörden willkürlich Ladenbesitzer mit kleinlichen Verordnungen belangen, stimme nicht, sagt Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen bei der Stadt Luzern. «Seit 2010 haben wir ein überarbeitetes Reglement über die Nutzung des öffentlichen Grundes. Seit 2011 ist die Verordnung dazu in Kraft. Das setzen wir nun Schritt für Schritt um.»

Gesetz ist Gesetz

Mit Willkür oder bürokratischem Unsinn habe das nichts zu tun, versichert Lütolf. «Dahinter steckt der politische Wille. Wir setzen die Vorgaben im Rahmen unserer Möglichkeiten durch.» Dabei werde verhältnismässig vorgegangen. «Wir informieren über die geltenden Regeln und suchen gemeinsam nach Lösungen.» Aber man könne im Interesse der rechtsgleichen Behandlung missbräuchliche Verwendung von öffentlichem Grund nicht tolerieren. Ein Augenmerk hat die Stadt vorerst auf die Kernzonen und die Innenstadt.

Yvonne Prudente hat, wie bereits erwähnt, Verständnis, dass alles seine Ordnung haben muss. Sie kann einfach den grossen administrativen Aufwand nicht nachvollziehen. «Das nervt einfach nur noch», gibt sie zu. Sie hofft, dass sie im nächsten Frühling die Boulevard-Tischchen wieder draussen aufstellen darf.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Leo
    Leo, 20.10.2015, 10:13 Uhr

    Ich würde zwar die Beamt nicht halbieren, aber die Zahl der bewilligten Stellen. Ausser für Polizisten, Krankenpflegende, LehrerInnen in den Schulzimmern. Aber für die Bürojobs in den Verwaltungen aller Departemente und wie die Organisationseinheiten auch heissen mögen. Sei es beim Bund; bei den Kantonen; bei sehr vielen, vor allem grossen Gemeinden der Schweiz.

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  • Profilfoto von digiradio
    digiradio, 16.10.2015, 00:12 Uhr

    Dieser Fall illustriert geradezu exemplarisch, dass wir uns schlicht und einfach zu viele Beamte leisten. Es wäre an der Zeit, laut über eine «Beamtenhalbierungsinitiative» nachzudenken. Ein Teil des eingesparten Verwaltungsaufwands könnte im Gegenzug dem Bildungswesen zur Verfügung gestellt werden. Mit halb so vielen Verwaltungsbeamten würde uns bestimmt so mancher unsinniger Leerlauf erspart bleiben.

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  • Profilfoto von john.casagrande
    john.casagrande, 15.10.2015, 18:36 Uhr

    Es sollte wohl besser heissen: Kleines Theater um grosse Tafel. So klein ist die Tafel dann doch nicht und es geht nicht nur um eine Tafel. Ich beobachte seit Jahren, dass die Vorschriften, Bewilligungsverfahren etc. umfangreicher werden. Kommt auch davon, weil die Politiker wenn sie mal gewählt sind nur so sprudeln von «guten» Ideen und sich selbst verwirklichen wollen. Da der gesunde Menschenverstand ebenfalls in den Hintergrund rückt (dafür sind wir alle verantwortlich!) braucht es eben Gesetze, Regulierungen und Juristen. Und die Verwaltungsangestellten sind auch nicht unglücklich dass sie was zu tun haben, weil ihnen der Computer schon so viel Arbeit geklaut hat. Für viele ist halt Kontrolle schon das halbe Leben. Eben.

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