Seitenbetreiber und Juristin im Gespräch

«Szene esch Luzern»: Instagram-Seite im juristischen Graubereich

Tausendfach geklickter Wackelkamera-Content: Von ihm lebt die Instagram-Seite «Szene esch Luzern». (Bild: Screenshot «Szene esch Lozärn»-Instagram-Seite)

In Hunderten Videos bildet die Instagram-Seite «Szene esch Luzern» die kuriosen, absurden und verstörenden Seiten Luzerns ab. Eine Privatrechtsprofessorin der Universität Luzern erklärt, wie sich in den Videos abgebildete Personen wehren können.

Zwei Luzerner Jugendliche legten im digitalen Coronasommer 2020 den Grundstein für ein Social-Media-Phänomen, das dieser Tage so richtig Schwung aufnimmt. Ihre damals erstellte Instagram-Seite «Szene isch Luzern» hat heute 12’700 Follower. Auch, weil sie zuletzt einen regelrechten Boom erfahren hat: Mehr als 4000 kamen seit August dazu. Rund 75 Prozent sind männlich und unter 35 Jahre alt.

Was die Videos bei der Community auslösen, dürfte vergleichbar sein mit dem Spass, den das Schweizer Fernsehpublikum vor 50 Jahren in der Kultsendung «Teleboy» mit der versteckten Kamera hatte. Doch zwischen dem damaligen Fernsehformat und den Inhalten von «Szene esch Luzern» bestehen zwei gewichtige Unterschiede: Erstens hat heutzutage jeder eine Kamera mit dabei. Und zweitens ist das, was den Personen in den Instagram-Videos widerfährt, nicht inszeniert, sondern in den allermeisten Fällen real.

Diese Inhalte landen auf der Instagram-Seite

Beispiele gefällig? Ein Mann tanzt am helllichten Tag enthemmt und mit entblösstem Oberkörper an einer Kreuzung in Emmenbrücke zu im Video unterlegter Discomusik. Die FCL-Ultragruppierung «Formation Luzern» feiert auf der Langensandbrücke mit viel Feuerwerk ihren Geburtstag. Zwei Personen machen es sich auf dem Plättliboden des öffentlichen WCs auf dem Inseli – es ist nicht das sauberste seiner Art (zentralpus berichtete) – gemütlich, während aus dem Off die filmende Person erst angewidert, dann belustigt vermutet: «Die rauchen dort Crack!»

«Als das ganze ‹Szene isch …› aufkam, bemerkten wir, dass es keinen Account für die schöne Stadt Luzern gab. Daher haben wir beschlossen, diese Seite zu gründen.»

Admins der Instagram-Seite «Szene esch Luzern»

Oder: Ein dunkelhäutiger Mann, offensichtlich in panischem Ausnahmezustand, kreischt sich am Hirschengraben mitten auf der Strasse die Seele aus dem Leib. Das Video verstört, gaffende Passanten beobachten, wie der Mann schliesslich von der Polizei abgeführt wird. Rassistische Kommentare sind unter dem Video zu lesen. «Schickt den nach Hause in den Dschungel», meint eine Userin. «Hat es im Zürich Zoo noch Platz im Affengehege?», fragt ein anderer. Jemand antwortet: «Afrika ist gross genug.» Die teilweise gelöschten Kommentare liegen zentralplus in Form von Screenshots vor.

«Züri» als Inspiration

Jeder juristische Laie erkennt, dass das Verbreiten von Inhalten ohne Zustimmung der abgebildeten Personen juristisch heikel und das Moderieren der Kommentarspalten nicht ganz einfach sein dürfte. Auch die beiden Seitenbetreiber von «Szene esch Luzern» sind sich dessen bewusst. Gegenüber zentralplus nehmen sie anonym Stellung – weil sie nicht als Privatperson das Gesicht der Szene in Luzern repräsentieren möchten. Denn «szene_isch.luzern», so schreibt sich der Benutzername auf Instagram, sei eine Kunstfigur mit Kultstatus.

Dennoch verraten die beiden Admins, 20 beziehungsweise 21 Jahre alt zu sein und aus dem Kanton Luzern zu kommen. Der eine ist Zivildienstler, der andere HSLU-Student. Als Inspiration habe damals das Pendant aus der Limmatstadt gedient: «Szene isch Züri» heisst die Seite mit dem Zehnfachen an Followern.

«Als das ganze ‹Szene isch …› aufkam, bemerkten wir, dass es keinen Account für die schöne Stadt Luzern gab. Daher haben wir beschlossen, diese Seite zu gründen», blicken die Admins von «Szene esch Luzern» zurück.

Finanziell nicht lukrativ

Doch damit die Seite funktioniert, muss sie mit Content gefüllt werden. «Lange Zeit erhielten wir diesen nur sporadisch», erklären die Admins. Seit einigen Monaten sei ihnen aber regelmässig neuer Content zugeschickt worden. Finanziell lukrativ sei das Betreiben der Seite trotz inzwischen 12’700 Followern aber nicht. Tickets zur Verlosung, Gratisprodukte und oder gar Geld für Werbung erhielten sie nur selten.

«Unser Ziel ist es keinesfalls, Leute blosszustellen.»

Admins der Instagram-Seite «Szene esch Luzern»

«Stattdessen besteht unsere Motivation darin, lustige Videos zu posten, um unseren Abonnenten den Tag zu verschönern und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern», sagen die Admins. Was nötig sei im stressigen Schweizer Alltag. «Zudem versuchen wir, mit unserer Reichweite den Leuten etwas zurückzugeben.» Zuletzt posteten die beiden Verlustmeldungen aus der Community.

Nicht alle Videos verwertbar

Die Community, sie ist den beiden Admins von «Szene esch Luzern» offenbar wichtig: «Wir sind unglaublich stolz, eine so tolle und grosse Community aufgebaut zu haben. Damit haben wir nie gerechnet.» Die Community beliefert die Seitenbetreiber mit Videos. Doch nicht alle seien verwertbar. «Wir erhalten oftmals Videos, die zu kurz sind oder nicht wirklich einen Inhalt haben. Und Videos, die definitiv nicht für Instagram geeignet sind.» Oftmals gehe es darin um Gewalt oder Nacktheit.

«Wir haben auch schon Nachrichten von Anwälten, Beamten, Privatpersonen und Angehörigen erhalten.»

Admins der Instagram-Seite «Szene esch Luzern»

Dass in den Videos auf ihrer Seite Menschen teilweise blossgestellt werden, scheinen die beiden nur bedingt einsehen zu wollen. Sie stellen klar: «Unser Ziel ist es keinesfalls, Leute blosszustellen. Wir müssen abwägen, und oftmals werden wir, falls wir falsch entschieden haben, von unseren Followern darauf hingewiesen.» In diesen Fällen würden die entsprechenden Videos gelöscht.

«Können niemals alle Leute nach ihrem Einverständnis fragen»

«Wir sind uns der juristischen Belangbarkeit bestens bewusst», fahren die Admins fort. «Wir sind uns allerdings auch im Klaren darüber, dass wir niemals alle Leute nach ihrem Einverständnis fragen können, da wir 99 Prozent des Contents zugeschickt bekommen.» Mit der steigenden Reichweite würde einhergehen, die Beiträge besser analysieren und mehr acht darauf geben zu müssen, was gepostet würde.

«Bezüglich der Kommentarspalte appellieren wir stark an die Eigenverantwortung der Community.»

Admins der Instagram-Seite «Szene esch Luzern»

In den Story-Highlights würden sie zudem darauf hinweisen, dass jedes Video auf Wunsch entfernt werde. «Wir haben auch schon Nachrichten von Anwälten, Beamten, Privatpersonen und Angehörigen erhalten, die uns meist auf eine anständige und freundliche Art gebeten haben, Videos zu entfernen, was wir dann natürlich auch taten.» Entschuldigung inklusive.

Keine Diskriminierung in den Kommentaren

«Bezüglich der Kommentarspalte möchten wir nicht gross eingreifen und appellieren stark an die Eigenverantwortung der Community», sagen die Admins bezüglich der rassistischen Verfehlungen unter dem Video mit dem schwarzen Mann. Diskriminierung jeglicher Art werde nicht geduldet. Leute, die wiederholt diskriminieren oder beleidigen würden, müssten künftig mit einem «Ban», also einer Blockierung, rechnen.

Diese Fotografie des verstorbenen Luzerner Obdachlosen Felisch ist auf dem Profilbild der Instagram-Seite «Szene esch Luzern» zu sehen. Ob ihm das gefallen hätte? (Bild: Martin Weibel)

Doch reicht das? zentralplus hat bei Regina Aebi–Müller, Privatrechtsprofessorin an der Universität Luzern, nachgefragt. «Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind fotografische Aufnahmen und Videos von Menschen, die erkennbar abgebildet sind, grundsätzlich widerrechtliche Persönlichkeitsverletzungen», sagt Aebi-Müller. Ebenso stelle die gezielte Weiterverbreitung über den Instagram-Kanal eine Persönlichkeitsverletzung dar. Die passende Norm im Schweizerischen Zivilgesetzbuch: Artikel 28.

Liegt ein Rechtfertigungsgrund vor?

Die Persönlichkeitsverletzung sei rechtmässig, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliege. «Bei der Durchsicht der Videos gehe ich davon aus, dass einige der aufgenommenen Personen mit der Aufnahme einverstanden waren, allenfalls auch damit, dass das Video auf Instagram deponiert wird», fährt die Professorin fort. «Liegt eine Einwilligung der betroffenen Personen vor, ist die Abbildung auf Instagram zulässig.»

Doch selbst wenn verpixelt werde, sei nicht automatisch gewährleistet, dass keine Persönlichkeitsverletzung mehr vorliege. Denn unter Umständen seien die betroffenen Personen dennoch erkennbar. Zudem könne sogar die Veröffentlichung einer verpixelten Aufnahme, auf der nur noch der Betroffene selbst sich erkenne, eine Persönlichkeitsverletzung sein. «Umso mehr, wenn dann verletzende Kommentare folgen.»

So können sich Betroffene wehren

Nebst informellen Möglichkeiten, so etwa der Kontaktaufnahme mit dem Betreiber, könne eine Person, die sich gegen eine Persönlichkeitsverletzung wehren wolle, das Zivilgericht anrufen und auf Löschung der Aufnahmen klagen. Allenfalls auch auf Feststellung der widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung, Schadenersatz und Genugtuung. Schliesslich bestehe auch die Möglichkeit einer Strafanzeige, erklärt Aebi-Müller. Das sei einfacher als eine Zivilklage.

«Leider funktioniert das Zivilrecht halt gerade so: Wer nicht selbst die Initiative ergreift, kann sich kaum schützen.»

Regina Aebi-Müller, Privatrechtsprofessorin der Universität Luzern

Ebenso gegen die Kommentarschreiberinnen könnten betroffene Personen zivilrechtlich und gegebenenfalls auch strafrechtlich vorgehen. Doch Aebi-Müller warnt: «Bekanntlich ist das schwierig.»

Zivilrechtlich sei bei Kommentaren ein Vorgehen auch gegen den Inhaber des Accounts zulässig, weil dieser, indem er diese Plattform zur Verfügung stelle, an der Persönlichkeitsverletzung «mitwirke». «Betroffene können daher die Löschung von Kommentaren auch beim Inhaber des Instagram-Accounts verlangen.»

Sucht- und psychisch kranke Menschen

Generell ergeben sich für die auf der Seite «Szene esch Luzern» abgebildeten Personen weitere Probleme: Erstens folgen die allermeisten Menschen aus Luzern der Seite nicht und haben somit auch keine Kenntnis davon, dass Videos von ihnen im Internet kursieren. Zweitens handelt es sich regelmässig um offensichtlich sucht- oder psychisch kranke Menschen, die keinerlei Zugang zu juristischer Beratung, geschweige denn die Fähigkeiten und Ressourcen haben, sich auf juristischem Weg zu wehren.

Wie werden sie geschützt? «Das ist eine sehr gute Frage», antwortet Aebi-Müller. «Leider funktioniert das Zivilrecht halt gerade so: Wer nicht selbst die Initiative ergreift, kann sich kaum schützen.»

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit den Admins von «Szene isch Luzern»
  • Schriftlicher Austausch mit Regina Aebi-Müller, Privatrechtsprofessorin der Universität Luzern
  • Instagram-Seite «Szene esch Luzern»
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Ale
    Ale, 25.09.2023, 17:31 Uhr

    Und nicht vergessen: Die Szene macht auch regelmässig Werbung für das Bordell neben dem Strassenverkehrsamt. Vermutlich gibt es da schon etwas Geld dafür.

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  • Profilfoto von Schoscho
    Schoscho, 25.09.2023, 16:00 Uhr

    Danke für den Bericht Zentralplus… die genannte Insta-Seite ist seit kurzem tatsächlich kontroverses Thema, gerade auch bei Fachpersonen, welche mit Randständigen arbeiten. So geht Lokal-Journalismus, bravo!

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  • Profilfoto von Lindo Anjo
    Lindo Anjo, 25.09.2023, 11:58 Uhr

    Das Internet wurde erfunden, für den Austausch unter Studenten und Professoren, seht euch an was daraus geworden ist.

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