Zweite Himmelrich-Zwischennutzung steht an

Luzerner Abbruchwohnungen warten auf kreative und schräge Ideen

Bringt Leben in die Claridenstrasse: Der Verein «Pro Tempore+» organisiert die Zwischennutzung der Abbruchhäuser links.

(Bild: zvg/Stefano Schröter)

Vier Jahre nach dem legendären «Zwischenrich» steht an der Claridenstrasse die nächste Zwischennutzung vor der Tür: Während acht Wochen soll eine Akademie auf Zeit entstehen, in der fast alles möglich ist. Statt eines Riesengemäldes soll es diesmal eine Pyro-Show geben.

Es geht Schlag auf Schlag bei der neuen Genossenschaftssiedlung Himmelrich 3: Die ersten Mieterinnen sind eingezogen, das angrenzende Bleichergärtli wurde umgepflügt, der letzte Feinschliff am Bau ist im Gange. Und nun formiert sich nebenan bereits die nächste Zwischennutzung.

Die zweite Bauetappe der Siedlung startet erst im Herbst, ab September wird der Gebäuderiegel an der Claridenstrasse 1 bis 6 entlang der Bahnschneise abgerissen. Bis dahin bleibt Platz für eine erneute Zwischennutzung der Wohnungen ab 1. August bis Ende September. Dafür hat sich der Verein «Pro Tempore+» formiert, der aus einem Workshop Anfang Jahr hervorgegangen ist (zentralplus berichtete).

Keine Kopie des Zwischenrichs

«Brennpunkt Claridenstrasse» heisst das Projekt und wird zwar kleiner und auch etwas weniger wild werden als die legendäre Zwischennutzung von 2015, von der man noch heute spricht. «Es soll kein Abklatsch von damals sein, es soll etwas Eigenes entstehen», sagt Marcello Pirrone vom Vereinsvorstand. Auch Benno Zgraggen von der Allgemeinen Baugenossenschaft (ABL) betonte beim Workshop: «Es soll keine Kopie des Zwischenrichs werden, das kann man gar nicht wiederholen.»

Neben Pirrone sind im Vorstand Roswitha Lüthi (Präsidentin), Magda​ Herova, Lukas Vorkauf, Anna Annor, Niklaus Lenherr und Martin Solèr dabei.

Die Häuserzeile zwischen Claridenstrasse und Bahnschneise wird vor dem Abbruch zwischengenutzt.
Die Häuserzeile zwischen Claridenstrasse und Bahnschneise wird vor dem Abbruch zwischengenutzt.

(Bild: jwy)

Akademie auf Zeit

Der Verein hat seine «Kommandozentrale» bereits in einer freien Wohnung in der Claridenstrasse 4 eingerichtet, koordiniert von dort die anstehende Zwischennutzung und bespricht neue Gesuche. Der Gruppe schwebt eine Kultur-Akademie auf Zeit vor, welche die Räume für Interessierte jeglicher Couleur erlebbar macht. «Du bietest dein Wissen an und lässt andere daran teilhaben», fasst er zusammen.

Kollaborateure gesucht

Der Verein «Pro Tempore+» sucht für die offene und kreative Zwischennutzung zwischen 1. August und 28. September an der Claridenstrasse 1 bis 6 noch Ideen und Projekte. Infos und Kontakt unter Brennpunktclaridenstrasse.ch

Was passiert denn konkret während der gut acht Wochen in den abbruchreifen Wohnungen? «Austausch und Entfaltung sind das Herz des Projekts», so Marcello Pirrone. Während man sich bei der ersten Zwischennutzung noch selbst verwirklichen konnte, stehe nun der partizipative Gedanke im Vordergrund: «Man muss für andere etwas bieten und sie teilhaben lassen», sagt er.

Pflanzen, lernen, kochen

Erste Projekte stehen: So etwa ein feministischer Raum der vier Künstlerinnen Shannon Zwicker, Maura Wittmer, Mirjam Steffen und Nicole Küttel. Sie alle verfolgen feministische Themen und entwerfen an der Claridenstrasse eine «thematische Ausstellung, die mit dem Raum interagiert».

«Vielleicht ein fiktives Amt für Veredelung?»

Marcello Pirrone

Weitere Beispiele sind ein «Make-Tank», eine Umpflanzungsaktion für alle Pflanzen des Gebäudes, ein Druck-Kurs, eine Bilderausstellung von Martha Krucker und Rosmarie Giger oder ein Italienisch-Kurs mit gemeinsamem Kochen. Bald schon beginnt auch die sogenannte «Quings-Akademie»: ein innovatives Lernmodell für eine vernetzte Gesellschaft.

Weitere Ideen sind willkommen

Das ist erst der Anfang, der Verein sucht jetzt weitere «Kollaborateure», also «Menschen, die in verschiedenen Innen- und Aussenräumen wirken, entdecken, organisieren, anbieten und Räume beleben wollen» (siehe Box).

Es würden laufend neue Ideen eingereicht, aber es dürften noch mehr sein, so Pirrone. «Es werden laufend Wohnungen frei, die man bespielen kann», sagt er. Viel Platz auf einmal wird es geben, wenn Ende August die ABL ihre Geschäftsräume von der Claridenstrasse 1 ins Himmelrich 3 zügelt.

Der Kreativität und dem Ideenreichtum seien kaum Grenzen gesetzt. Nur zu laut darf es nicht werden, weil parallel zur Zwischennutzung einzelne Wohnungen bis zuletzt noch bewohnt sein werden. Einzelne Konzerte mit Barbetrieb sind trotzdem denkbar – Interessenten haben schon angeklopft.

In dieser Häuserzeile an der Claridenstrasse findet die Zwischennutzung statt, bevor sie abgerissen wird.
In dieser Häuserzeile an der Claridenstrasse findet die Zwischennutzung statt, bevor sie abgerissen wird.

(Bild: Google Maps)

Amt für Veredelung?

Ob Künstlerinnen, Theaterschaffende, Musiker, Handwerkerinnen oder Hobbyköche – vieles ist denkbar in den alten Wohnungen. Und sei die Idee noch so schräg: «Das Ganze soll schliesslich nicht bierernst werden», sagt Pirrone. Er denkt an einen Hol-und-Bringservice, den er aber anders nennen würde. «Vielleicht ein fiktives Amt für Veredelung», sagt er und lacht.

Die Bereitschaft, mit anderen Projekten zusammenzuarbeiten, ist eine Voraussetzung. Das Angebot soll zudem nicht auf Profit ausgerichtet sein. «Ansonsten sollen alle Bereiche Platz haben», sagt Pirrone. Seien es sich wiederholende, durchgehende oder punktuelle Angebote.

Nun brauche es noch mehr engagierte Leute, so Pirrone. «Ich finde es schade, dass sich in Luzern nicht mehr Leute die Freiheit nehmen, initiativer zu sein.» Für ihn selber sei es eine Notwendigkeit, auch wenn das Engagement kein Geld bringt. «Dafür macht es enorm Spass.»

Pyro-Show an der Fassade

Das erste «Zwischenrich» erlangte auch durch das riesige Fassadengemälde von QueenKong Aufmerksamkeit. Ist wieder etwas Ähnliches geplant? Kann sein, denn explizit sollen nicht nur die Innenräume, sondern auch das Äussere des Gebäudes genutzt werden.

Marcello Pirrone selbst hat schon eine Idee: Er wird einen Pyro-Workshop anbieten, mit dem Ziel, danach die Fassade zu bespielen. «Kein Feuerwerk, das laut knallt, sondern eher etwas Poetisches, das sich über die Fassade bewegt.» Er denkt an das legendäre Werk «Der Lauf der Dinge» von Fischli/Weiss – «eine Art Domino aus Feuer».

Das ist noch Zukunftsmusik, aber er wünscht sich die Show vor möglichst viel Publikum – etwa am Eröffnungsfest der Himmelrich-3-Siedlung am 7. September.

… und dieses Dreieck ist stattdessen geplant. Links verläuft die Bundesstrasse, rechts neben dem Neubau das Bleichergärtli.  (Bild: zvg/Stefano Schröter)
So sieht die Himmelrich-Überbauung dereinst aus, wenn sie fertig ist.

(Bild: zvg/Stefano Schröter)

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