Aussterbende Stammtisch-Kultur

Die letzte Beiz in Hagendorn hält wacker die Stellung

Susanne Herrmann hält im Restaurant Sonne in Hagendorn die Dorfbeiz-Tradition aufrecht. (Bild: cbu / zvg)

In Hagendorn bei Cham gibt es nur noch eine einzige Beiz. Die «Sonne» steht unter der neuen Leitung der 64-jährigen Susanne Herrmann im Zeichen einer alten Tradition.

Nach zig Jahren an einen Ort zurückzukehren, an dem man bedeutende Jahre seines Lebens verbracht hat, bringt immer etwas Nostalgie mit sich. So ging es auch dem Autor, als er für ein Interview nach Hagendorn bei Cham gefahren ist.

An der alten Schule vorbei in die 2000-Seelen-Gemeinde stellt er fest: Die Mühlen mahlen hier langsamer, aber stehen geblieben sind sie nicht. Es gibt jetzt einen Volg, beim Dorfeingang stehen zahlreiche neue Wohnüberbauungen.

Manches ist aber noch gleich. Darunter auch das Restaurant Sonne mitten im Dorf. Einen neuen, grauen Anstrich hat das Lokal in den vergangenen Jahren erhalten – und eine neue Wirtin.

Traditions-Beiz bleibt Hagendorn erhalten

Viel ist an diesem regnerischen Morgen noch nicht los in der «Sonne», als wir das Lokal betreten. In weniger als zwei Stunden werden hier jedoch Arbeiter, Schülerinnen und andere hungrige Mäuler aus der Umgebung speisen.

Wir setzen uns mit Susanne Herrmann (64) an einen Tisch. Seit vergangenem Oktober ist sie die Pächterin der «Sonne». Dies, nachdem die Vorgängerin Raphaela Bind nach rund sieben Jahren aus finanziellen Gründen aufgehört hatte.

Herrmann ist in der Zuger Gastroszene keine Unbekannte. «Ich wirte schon seit etwa 35 Jahren», erzählt sie uns. Die vergangenen 20 Jahre davon im Restaurant Rathus in Steinhausen, davor im «Ebel» in Inwil und in diversen Stationen in Luzern.

Erste Zwischenbilanz ist positiv

Eigentlich wollte Herrmann nach ihrem Dienst im «Rathus» in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Aus persönlichen Gründen entschied sie sich aber dazu, weiterzumachen. «Ich wollte und musste mich beschäftigen», sagt sie. Darum habe sie sich auf die Ausschreibung der «Sonne» beworben. «Mir gefällt, dass die ‹Sonne› eine klassische Dorfbeiz ist. Davon gibt es leider immer weniger.»

«Ich möchte die gelebte Stammtischkultur erhalten.»

Susanne Herrmann, Wirtin «Sonne»

Knapp fünf Monate nach ihrem Dienstantritt kann sie eine positive Zwischenbilanz ziehen: «Unter Berücksichtigung der Pandemie sind wir sehr zufrieden.» Herrmann, die das Restaurant mit nur einer zusätzlichen Hilfskraft betreibt, hat eine klare Vorstellung, wofür die Beiz stehen soll.

In der «Sonne» wird die Stammtischkultur gelebt

«Ich möchte die gelebte Stammtischkultur erhalten», sagt sie. Die «Sonne» präsentiert sich bodenständig, ohne unnötigen Schnickschnack. Die Speisekarte bietet Währschaftes und Gutbürgerliches.

Herrmann, die selbst in der Küche steht, erklärt: «Bei mir gibt es Bratwurst mit Rösti, Pouletflügeli und Steaks. Jeden Mittag biete ich zusätzlich noch zwei, drei Menüs an.» Es sei eine kleine, einfache Karte, aber mehr brauche es nicht. Und wer ausgefallene Küche suche, finde diese an zahlreichen anderen Orten.

Die letzte überlebende Beiz

Die Sonne ist in Hagendorn quasi der letzte Dinosaurier. Ein Lokal mit einer bewegten Geschichte, die bis ins Jahr 1881 zurückgeht und selbst schon mehrmals von der Schliessung bedroht wurde. Heute ist sie das letzte verbleibende Restaurant in der Gemeinde.

Ganz vage erinnert sich der Autor noch an den «Leue» mit der Kegelbahn oder das Restaurant «Rebstock» beim Dorfeingang. Beide existieren heute nicht mehr, wie Susanne Herrmann erklärt. Aus dem «Leue» wurde ein Wohnhaus, der «Rebstock» ist 2014 einer Überbauung gewichen.

«Ende Jahr rechne ich alles durch und schaue, ob sich das gelohnt hat.»

Umso mehr freut es sie, dass das Restaurant Sonne noch immer standhaft im Dorfkern ihren Platz verteidigt. «Wir sind vor allem bei Vereinen sehr beliebt. Aber auch Familien und Arbeiter kommen oft her.» Besondere Highlights seien auch Jassabende, die jeweils gut besucht seien. «Die Leute schätzen das Zusammensein und den unkomplizierten Austausch bei uns.»

Auch die Gäste sind in der Pflicht

Einfach ist es trotzdem nicht. Aber das war und ist sich Herrmann nach 35 Jahren in der Branche bewusst. «Es braucht Durchhaltewillen. Das war vor der Pandemie schon so.» Herrmann nimmt aber auch ihre Gäste in die Pflicht. «Derzeit habe ich am Sonntag geöffnet.» Das sei ursprünglich nicht geplant gewesen, aber immer wieder als Wunsch geäussert worden.

«Ende Jahr rechne ich alles durch und schaue, ob sich das gelohnt hat.» Falls nicht, bleibt der Herd am Sonntag künftig wieder kalt. «Wenn die Gäste den Sonntag haben möchten, müssen sie auch auftauchen», sagt sie schmunzelnd.

Zurück in die Normalität

Dass der Bund am Mittwoch die Masken- und Zertifikatspflicht aufgehoben hat, freut die gebeutelte Gastronomie (zentralplus berichtete). So auch Susanne Herrmann. «Das stimmt uns erstmal natürlich froh», sagt sie. «Es ist schön, wieder etwas Normalität verspüren zu dürfen.» Trotzdem müsse man noch vorsichtig sein und den gesunden Menschenverstand walten lassen.

«Wir wissen nicht, wie es im Herbst aussehen wird.» Aber wenn die erfahrene Wirtin in all ihren Dienstjahren etwas gelernt hat, dann das: «Man sollte das Leben vornewegnehmen und geniessen, solange es geht.»

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Susanne Herrmann
  • Geschichte über die Lokale aus Chamapedia
  • Bericht aus dem GastroJournal
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