Schlottern für die Gesundheit: Ein Selbstversuch

Warum du im November in den Zugersee hüpfen solltest

Claudia Müller ist Ernährungsberaterin, Fitnessinstruktorin und überzeugte Kältebaderin. (Bild: wia)

Während die meisten aktuell dem Impuls folgen, sich zuhause an der Wärme einzuigeln, zieht es andere nicht nur hinaus an die frische Luft, sondern gar ins kühle Wasser. So etwa Claudia Müller, die das Kältetraining für sich entdeckt hat. Zehn Minuten im winterlichen Zugersee ausharren? Für sie kein Problem.

Ein paar Wolken, daneben blauer Himmel, die Sonne steht am Himmel. Ein guter Tag für ein erfrischendes Bad im Zugersee. Das jedenfalls wäre es, wenn wir nicht November hätten und die Lufttemperatur keine garstige 3 Grad aufweisen würde.

Doch für unseren Badezweck sind die Voraussetzungen gut. Claudia Müller möchte nämlich nicht planschen, sondern trainieren. Im Wasser, das an diesem Freitagmorgen knackige 10 Grad kühl ist. Fürs Kältetraining eigentlich recht warm, wie sie lakonisch feststellt, während wir uns auf zur Männerbadi machen.

Claudia Müller ist diplomierte Ernährungsberaterin, Groupfitness- und Pilates-Instruktorin sowie Therapeutin in klinischer Psycho-Neuro-Immunologie (kPNI). Bei letzterem werden, wie es der Name antönt, unter anderem die Kenntnisse aus der Psychologie, der Neurologie und der Immunologie berücksichtigt. «Die kPNI befasst sich mit diesen Zusammenhängen, mit dem Körper als Ganzes, denn gerade etwa das Immunsystem wird von verschiedenen Ebenen beeinflusst.»

Kälte: Ein starker Reiz

Reize, mit denen sich der Mensch evolutionär bedingt stark habe auseinandersetzten müssen, seien Hitze, Hunger, Durst und eben Kälte. «Diese Reize gehen so tief, dass sie quasi das System resetten können», erklärt die 37-Jährige.

Wir bitten um ein konkretes Beispiel. Müller erzählt: «Ich habe letztes Jahr für mich persönlich mit dem Kältetraining angefangen. Jahrelang – ich habe seit meiner Jugend intensiv Rock ’n’ Roll getanzt – plagte mich eine Achillessehnenentzündung. Es kann sich um Einbildung oder einen Zufall handeln, doch seit ich regelmässige Kältetrainings mache, habe ich keine Schmerzen mehr.»

«Das Kältetraining führt zu grosser Entspannung sowie zu einem anderen Körpergefühl.»

Claudia Müller, kPNI-Therapeutin

Das Kältetraining habe noch weitere gesunde Eigenschaften. «Es wirkt sich nicht nur positiv auf unser Immunsystem und das Schmerzempfinden aus, sondern führt auch zu grosser Entspannung sowie zu einem anderen Körpergefühl.»

Ganz geheuer ist es der Badenden nicht bei den 10 Grad Wasser- und 3 Grad Lufttemperatur. (Bild: zvg)

Und last but not least, sagt Claudia Müller: «Erwiesenermassen verändert sich unser Körperfett durch Kältetraining.» Will heissen? «Das weisse Fett wandelt sich in braunes Fett.» Will heissen? «Das weisse Fett hat einzig die Funktion, sich ab- oder aufzubauen und birgt viele negative Eigenschaften. Die meisten Menschen haben mehr als genug weisses Fett. Das braune Fett hingegen enthält eine Menge Mitochondrien. Diese Zellbestandteile sind quasi kleine Energiekraftwerke.» Wer mehr braunes Fett hat, friert etwa weniger schnell.

Kein Wundermittel, aber dennoch sehr empfehlenswert

Trotz der vielen Vorteile, die das Kältetraining mit sich bringe, ist Müller realistisch: «Es handelt sich hier nicht um ein Wundermittel.» Dennoch gefällt ihr das Winterbaden so gut, dass sie mit ihrer eigenen Firma Vitaswing Workshops zum Thema durchführt. Nicht nur Müller ist auf den Geschmack gekommen. Gerade im letzten Winter hat sich das Eisbaden zu einem regelrechten Trend entwickelt.

Was Claudia Müller erzählt, ist spannend, doch letzten Endes reden wir nur um den heissen Brei herum, respektive um den kalten See, der da vor uns liegt und bebadet werden möchte. Irgendwelche Tipps, die es Anfängern einfacher machen? «Es empfiehlt sich, dass man warme Kleider dabei hat, die man später auch mit kalten Fingern rasch wieder anziehen kann. Ausserdem ist es gut, wenn man nicht bereits friert, bevor man ins Wasser steigt.» Wer mag, darf die Mütze selbst im Wasser anbehalten. Zudem sei es eine gute Idee, sich nach dem Bad mit warmem Tee oder einer Suppe aufzuwärmen.

Anfänger sollen nicht übertreiben

Ein weiterer wichtiger Punkt, den Müller betont: «Gerade anfangs soll man es nicht übertreiben und nichts forcieren.» Am besten sei, nicht alleine mit dem Kältetraining zu beginnen, sondern zur Sicherheit jemanden mitzubringen.

Das Ziel: Sich im Wasser trotz der Kälte richtig zu entspannen. Zu diesem Zweck wendet Müller eine Atemtechnik an, die jener des Extremsportlers Wim Hof sehr ähnelt. Dieser ist als «Iceman» bekannt und hält aktuell den Rekord im Eisbaden. Dessen Atemtechnik soll stark anregend auf das vegetative Nervensystem wirken und den Parasympathikus aktivieren. «Dies wiederum führt zu einer grossen Entspannung», sagt Müller.

Wie die Atemtechnik genau funktioniert, erzählt Müller im Video:

Nach der dritten Phase des schnellen Ein- und Ausatmens beginnen wir uns umzuziehen. Nicht hastig, aber auch nicht allzu langsam. Dann geht’s los. Die Treppe runter, und dann rasch abtauchen ins wellige Wasser, denn kalt ist es, besonders für Winterbade-Anfängerinnen, dagegen nützt auch das langsame Annetzen nichts.

Wie bei solchen Wassertemperaturen üblich – Erinnerungen an kurze Planschereien in Bergseen werden wach – beginnt man zunächst nach Luft zu schnappen. Die Lunge will nicht so richtig funktionieren. Wir besinnen uns auf die Wim-Hof-Technik und beginnen bewusster zu atmen. Ist man über den ersten Schock hinweg, wird’s tatsächlich viel leichter. Und so hocken wir im November im Wasser, Claudia Müller mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, die Journalistin deutlich stärker leidend. Bis nach wenigen Minuten der Entschluss fällt, dass nun doch genug sei für’s erste Mal.

Wenn Sockenanziehen zur Tortur wird

Doch: Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern. Der richtig fiese Part folgt erst. Bei diesen Lufttemperaturen spürt man nicht so recht, welche Körperpartien bereits abgetrocknet sind und welche nicht. Egal, rein in die Klamotten. Mit klammen Fingern wird das Anziehen und besonders das Zuknöpfen der Hosen zum Kunststück. Mittlerweile sind die Füsse so richtig kalt. Die Socken über die noch etwas nassen, eisigen Füsse zu ziehen wird zur Tortur.

Irgendwann ist’s geschafft. Dem Kreislauf zuliebe machen wir ein paar Aufwärmübungen, bevor wir uns für eine Tasse dampfenden Tee ins Café begeben. «Wie fühlt sich’s an?», fragt Claudia Müller. Kurzes Hineinhorchen in den Körper. Auf jeden Fall wacher. Noch etwas unterkühlt, doch durchwegs erfrischt. Auch ein wenig seltsam.

«In der Regel bleibt man so lange im Wasser, wie das Wasser in Grad warm ist.»

Was das kalte Wasser mit den eigenen Fettzellen angestellt hat, ist schwierig zu sagen. Auch bleiben die Endorphine aus, welche viele Winterbader prophezeien und die auch Claudia Müller jeweils einholen, wenn sie ihr wöchentliches Winterbad im Weiher nimmt, der nahe ihres Wohnorts liegt.

«Letztes Jahr war dieser einige Male von Eis bedeckt, das ich erst durchbrechen musste», sagt sie beiläufig. Zur Frage, wie lange die Kältetrainings bei ihr jeweils dauern, sagt sie: «Dazu gibt es einen Richtwert: In der Regel bleibt man so lange im Wasser, wie dieses in Grad warm ist.» In unserem Fall wären das zehn Minuten gewesen. Diese haben wir bei Weitem nicht geschafft. Doch erneut betont sie: «Jeder soll das machen, was ihm guttut.»

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