Luzerner Rapper sagt, warum Corona ihm hilft

Freeze: «Ich habe jetzt Kunden vis-à-vis, die nicht mal wissen, dass ich im Rollstuhl bin»

«Auch schon habe ich mich im Gespräch mit meinem Chef gehört: Corona hilft mir», sagt Philippe Fries. (Bild: ida)

So brutal das Coronavirus ist – es bringt auch etwas Gutes mit sich. Für den Luzerner Philippe Fries, der nach einer Krankheit im Rollstuhl sitzt, bedeuten Homeoffice und Onlinemeetings einen barrierefreien Zugang zum Arbeitsmarkt.

Wir treffen Philippe Fries da, wo gemischte Gefühle in ihm aufkommen. Beim Paraplegikerzentrum, in der Bar, wo er bereits mit einem Glas Wasser wartet. Als Master of Ceremony stürmte er früher mit seiner Hip-Hop-Band Schweizer Konzertbühnen. Als Freeze rappt er auch heute noch (zentralplus berichtete). Und doch ist alles anders.

Hier im SPZ hat Fries gelernt, ein Leben zu führen, so selbständig es geht. Wegen der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose sitzt er heute im Rollstuhl. Es sei seit Ausbruch der Krankheit nicht schlimmer, aber auch nicht besser geworden, sagt Fries.

Bei seinem heutigen Arbeitgeber, der IOZ AG in Sursee, ging er sich zu Fuss vorstellen. Er wurde als Projektleiter angestellt, verbunden mit viel Kundenkontakt und Firmenbesuchen. Dann kam die Krankheit und der Rollstuhl – noch vor seinem Stellenantritt.

Firmenbesuche werden im Rollstuhl schwierig

Ein-, zweimal probierte es Fries mit den Firmenbesuchen. Doch es war schwierig. Die Anreise, die knappe Zeit in einem 50-Prozent-Pensum, die Infrastruktur. «Bei vielen Firmen komme ich in meinem Rollstuhl erst gar nicht rein», sagt Fries. Und wenn er reinkam, tauchte bereits wenig später im Sitzungszimmer das nächste Problem auf: Das Whiteboard war zu weit oben.

«Ich habe mich im Gespräch mit meinem Chef schon mal sagen gehört: Corona hilft mir.»

«Ich habe mir mal selbst vor Augen geführt, was ich alles brauche, bis ich eine Firma besuchen kann», sagt Fries. Es waren zu viele Hürden. So kam es, dass er nun bei der IOZ im Backoffice arbeitet, im Büro, im Hintergrund und nicht beim Kunden vor Ort.

Durch das Homeoffice und Online-Meetings öffneten sich für Fries Türen

Das alles änderte sich mit Corona. Ein Lead-Projektleiter übernimmt den Kick-off bei einer Firma vor Ort, stellt die Connections her. Dank Online-Meetings kann Fries heute Firmen beratend zur Seite stehen und ist für zwei, drei Projekte verantwortlich.

«Ich habe mich im Gespräch mit meinem Chef schon mal sagen gehört: Corona hilft mir», so Fries. Damit möchte er das Virus nicht kleinreden. Möchte niemanden verletzen, der durch Corona einen Menschen verloren hat oder selbst daran erkrankt ist. «Aber das, was Corona mit der Arbeitswelt macht – die Digitalisierungswelle, die über viele Firmen gerollt ist – öffnet mir als Rollstuhlfahrer neue Türen.»

Besseres Selbstwertgefühl

Fries spricht von einer «Komplettinklusion». Von einer Welt, in der Behinderte nicht von Fussgängern unterschieden werden. «Ich glaube, ich habe in den Online-Meetings Leute vis-à-vis, die nicht einmal wissen, dass ich im Rollstuhl sitze», sagt Fries, der regelmässig in seinem Blog über sein Leben im Rollstuhl schreibt.

«Alles, was ich mir als Querschnittgelähmter zurückholen kann, alles was ich wieder selbst erledigen kannst, in dem fühle ich mich wieder normal und nicht mehr behindert.»

Seinen Alltag zu bestreiten, hat Fries im Paraplegikerzentrum gelernt. Im ersten Moment war er nach dem plötzlichen Krankheitsausbruch ein Pflegefall und wurde rundum betreut. Danach musste er Schritt für Schritt lernen, Dinge im Alltag wieder selbstständig zu erledigen. So gut es eben geht.

«Alles, was ich mir als Querschnittgelähmter zurückholen kann, alles, was ich wieder selbst erledigen kannst, in dem fühle ich mich wieder normal und nicht mehr behindert», sagt Fries. Das ist wichtig. Diese Erfolge geben ihm nicht nur Freiheiten, sondern pushen auch sein Selbstwertgefühl.

Durch Homeoffice kann Fries seinem Körper mehr Pausen gönnen

Auch das Homeoffice erlaubt es Fries, seinen Alltag besser zu meistern. Er kann mehr auf seinen Körper hören, ihm Ruhe geben, eine Pause gönnen, die Arbeit über den Tag verteilen.

Fries ist in der letzten Phase der beruflichen Wiedereingliederung durch die IV und testet seine Grenzen in einem 50-Prozent-Pensum, vier Stunden täglich. «Früher war ich danach immer völlig erschöpft. Und teils hatte ich Schmerzen.» Wenn er sich nicht bewegen kann, kommen die Spastiken, die Muskeln verhärten sich. Auch während des Gesprächs rutscht Fries mehrmals auf seinem Rollstuhl herum. Er stützt sich auf den Armen ab und hebt seinen Körper.

Der Lockdown habe nicht nur die technischen Möglichkeiten verändert, sondern auch die Mentalität. «Er hat vielen Firmen gezeigt, dass es möglich ist, von zu Hause aus zu arbeiten und einen Grossteil der Kommunikation über Online-Meetings zu erledigen.»

Für viele sei es normal geworden. Auch für seinen Arbeitgeber, der nun einen Meetingtag vor Ort pro Woche hat. Ansonsten steht es den Mitarbeitenden frei, ob sie im Büro oder von zu Hause aus arbeiten. 

Barrierefrei und motiviert

Für Fries bedeutet die zunehmende Digitalisierung, die sich durch Corona und den Lockdown bei den meisten Firmen beschleunigt hat, den barrierefreien Zugang zum Arbeitsmarkt.

«Die IOZ hat mich keinen Tag fallen gelassen. Dafür bin ich ihnen extrem dankbar.» Wenn ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden Vertrauen gebe, zahle sich das aus. «Dankbare und motivierte Mitarbeiter sind bereit, für die Bude was zu geben. Sie schaffen nicht nur, weil sie müssen.»

Mehr über Philippe Fries alias Freeze liest du hier:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von paul
    paul, 11.10.2020, 17:08 Uhr

    besch eifach en guete typ!
    weiter so! respekt!

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