Carola Rackete kämpft in Luzern gegen Frontex-Gelder
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Carola Rackete ist vor fast vier Jahren in Lampedusa verhaftet worden, weil sie mit verletzten Geflüchteten unbewilligt in den Hafen einfuhr. Nun tourt sie durch die Innerschweiz und ruft zu einem Nein gegen Frontex auf.
Vor der Hofkirche in Luzern versammeln sich im morgendlichen Schatten fünf Frauen neben leuchtend orangen Plakaten. Hinter ihnen ist der Stacheldraht zu sehen, der als Teil einer Kunstinstallation angebracht ist. Ab Mittwoch wird die Installation am Löwenplatz zu sehen sein.
Carola Rackete sitzt neben Aktivistinnen von «NoFrontex» und der grünen Luzerner Kantonsrätin Laura Spring. Sie alle sprechen über die untragbaren Zustände an den europäischen Aussengrenzen, die durch die Organisation Frontex im Auftrag der Europäischen Union kontrolliert werden.
Für sie ist klar: Sie werden am 15. Mai ein Nein in die Urne werfen. Dann stimmt die Schweiz über die Übernahme der EU-Verordnung über die Grenz- und Küstenwache ab. Es geht um eine enorme Budgeterhöhung der EU und die Schweiz soll ihren Anteil daran zahlen. Das wären ab 2027 ungefähr 61 Millionen Franken jährlich, aktuell sind es 24 Millionen.
Die Schweiz profitiert von Frontex, indem Flüchtende im ersten europäischen Land, in welchem sie ankommen, Asyl beantragen müssen und bei einem negativen Entscheid nicht weiterkommen. Dadurch können Flüchtende gar nicht direkt in der Schweiz Asyl beantragen.
Vom Schiff auf die politische Bühne Europas
Noch vor knapp vier Jahren war Carola Rackete eine freiwillige Schiffskapitänin auf der Sea-Watch 3. Dabei handelt es sich um eines der Schiffe der NGO Sea Watch, die im Mittelmeer Seenotrettung betreiben. Im Sommer 2019 setzte sie im Mittelmeer ein Zeichen gegen die brutale Asylpolitik und wurde dadurch von einem Tag auf den anderen in die Öffentlichkeit katapultiert.
Die damals 30-Jährige hatte gerettete Flüchtende auf dem Schiff, deren gesundheitlicher Zustand kritisch war. Italien, Spanien und Malta verweigerten die Einfahrt in ihre Häfen. Als die Schiffsärztinnen drängten, entschied Rackete, trotz Absage in Lampedusa einzufahren. Medienwirksam wurde sie dort von der italienischen Polizei abgeführt.
Die deutsche Kapitänin wurde daraufhin zu einem Medienstar und zur Heldin jener, die keine angespülten Rettungswesten mehr sehen wollen. Dass die international bekannte Aktivistin nun in Luzern vor der Hofkirche steht und sich für ein Nein zum Ausbau des Schweizer Frontex-Beitrags einsetzt, überrascht.
Im Video: Carola Rackete spricht über die Probleme mit der Grenzschutzorganisation Frontex.
Frontex ausser Kontrolle
Die Grenzschutzorganisation Frontex steht schon seit Jahren in der Kritik. Verschiedene Berichte können Menschenrechtsverletzungen an Grenzen und Küsten Europas nachweisen, die sogenannten «Push-Backs» der nationalen Grenzwache verlaufen oft gewalttätig. Die Absicht dieser Aktionen ist klar: Sie sollen abschrecken.
Rackete und ihre Kolleginnen berichten in Luzern von den vielen dokumentierten Fällen, in denen Frontex bei Misshandlungen bewusst nicht eingegriffen hat. Mahnungen an die lokalen Behörden verlaufen im Nichts.
Frontex rüstet die Grenzwache mit Waffen und Überwachungsgeräten aus. Das aufgestockte Budget soll die Möglichkeiten der Grenzwache noch ausbauen: Die Organisation plant mit neuen Drohnen, Waffen und Fahrzeugen.
Aktivisten und Politikerinnen beklagen europaweit schon länger, dass Frontex keine angemessene Kontrolleinheit habe und nicht genügend sanktioniert werde. Der Organisation wird wiederholt vorgeworfen, Abmachungen mit der libyschen Polizei zum Rücktransport Geflohener in Straflager zu treffen und sexualisierte Gewalt der Grenzwache gegen Frauen zu tolerieren.
Möglichkeiten sind ungewiss
Aus all diesen Gründen steht Carola Rackete nun vor der Hofkirche in Luzern. Sie hat Erfahrung aus erster Hand. Sie weiss, wie es auf den Schiffen und in den Häfen am Mittelmeer zugeht. Und sie kennt die Gründe, wieso Menschen aus Nordafrika flüchten und was sie dabei riskieren.
Das Medieninteresse ist an diesem sonnigen Morgen mässig. Ob Racketes Auftritt für die Gegnerinnen der Vorlage ein Gewinn sein wird, ist unklar. Das scheint sie aber nicht zu entmutigen. In den nächsten Tagen will sie in weiteren Dörfern und Städten der Zentralschweiz sprechen. Es bleibt ja noch Zeit, die Wahlunterlagen sind ja noch nicht zugestellt.
Eines stimmt die Kapitänin allerdings nachdenklich: «Es kann sein, dass für gewisse Leute die Migration zu viel ist. Aber wir sehen bei den ukrainischen Flüchtenden gerade, wie viel möglich ist», sagt sie.
Im Video: Kantonsrätin Laura Spring erklärt, was bei einem Nein an der Urne passieren würde.
- Medienkonferenz von Solinetz Luzern
- Interview mit Carola Rackete und Laura Spring
- Stellungnahme von humanrights
- Recherche von ARD und correctiv
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