Massnahmen gegen Polit-Faule Luzerner

Löst 1 Franken das Wahl-Problem?

Gratis-Couverts, E-Voting oder doch gleich Wahlpflicht? Die rekordtiefe Wahlbeteiligung löst bei der Politik Hektik aus.

An den Regierungs- und Kantonsratswahlen vom 29. März nahm nur jeder dritte Stadtluzerner sein Wahlrecht wahr. Auch im Kanton Luzern sah es nicht anders aus: Noch nie in der Geschichte des Kantons Luzern gab es an Wahlen eine derart tiefe Stimmbeteiligung. Nur noch 38,7 Prozent der 265’505 Stimmberechtigten warfen ihre Wahlzettel in den Briefkasten oder die Urne (zentral+ berichtete).

«Die tiefe Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen im Kanton Luzern hat uns aufgeschreckt», sagt Noëlle Bucher, Grossstadträtin der Grünen. «Das dürfen wir nicht einfach so hinnehmen.» Nun wollen die Grünen Stadt Luzern − ihrerseits die Verlierer der letzten Wahlen − wissen, warum die Stimm- und Wahlbeteiligung in der Stadt Luzern auf einem Rekordtief liegt. Sie schlagen dem Stadtrat in einem Postulat die Prüfung von verschiedenen Massnahmen vor, die dem Trend entgegenwirken sollen. «Wir wollen Anreize schaffen, damit die Luzerner in Zukunft wieder vermehrt an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen», so Bucher. «Unser System − die direkte Demokratie − funktioniert nur, wenn Herr und Frau Schweizer aktiv abstimmen und wählen.»

«Dass die briefliche Abstimmung kostenpflichtig ist, kann für die Stimmberechtigten eine Hürde sein.»
Noëlle Bucher, Grossstadträtin Grüne Luzern

Antwortcouverts sollen vorfranktiert werden

Beim letzten Wahlgang gingen in der Stadt Luzern 18’111 Wahlzettel ein − lediglich 85 davon wurden in einem der Urnenlokale eingeworfen. Die grosse Mehrheit nahm ihr Stimm- und Wahlrecht somit per Post wahr. Bei den früheren Urnengängen dürfte das Verhältnis etwa ähnlich gewesen sein, wie Stadtschreiber Toni Göpfert auf Anfrage sagt.

Bei den Grünen glaubt man, dass mehr Stadtluzerner stimmen oder wählen würden, wenn sie dies gratis tun könnten: «Dass die briefliche Abstimmung kostenpflichtig ist, kann für die Stimmberechtigten eine Hürde sein − wenn auch nur eine Kleine», sagt Bucher. Denn: «Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden sind die Antwortcouverts in der Stadt Luzern nicht vorfrankiert.»

Die Gemeinde Horw hat die portofreie Stimmabgabe bereits vor einigen Jahren eingeführt. «In erster Linie als Dienstleistung der Gemeinde gegenüber den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern», erklärt Gemeindeschreiberin Irene Arnold. «Man erhoffte sich aber auch eine höhere Stimmbeteiligung und einen höheren Anteil an brieflichen Stimmabgaben.» Ob dies tatsächlich erreicht werden konnte, wurde jedoch nie überprüft. Im Allgemeinen sei die Stimmbeteiligung in der Gemeinde Horw durchwegs hoch, variiere jedoch je nach Geschäft. Am 29. März gaben in Horw 37 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme ab − in der Stadt Luzern waren 34 Prozent.

92’000 Franken pro Jahr

Das Beispiel Horw zeigt, dass die Wirkung von vorfrankierten Antwortcouverts wohl eher bescheiden ist. Bei den Grünen ist man zumindest von der Signalwirkung dieser Massnahme überzeugt. «Die Stadt zeigt: ‹Hey, uns ist es wichtig, dass ihr abstimmt, wir unterstützen euch sogar dabei›», meint Bucher.

Was eine solche Vorfrankierung kosten würde, kann Göpfert wegen des hängigen politischen Vorstosses nicht sagen. Eine einfache Rechnung zeigt jedoch: Stimmen 23’000 Personen per A-Post ab, entstehen Kosten von rund 23’000 Franken. Bei vier Urnengängen pro Jahr müsste die Stadt somit mit 92’000 Franken jährlich rechnen.

E-Voting für alle

Des Weiteren fordern die Grünen den Stadtrat auf, sich beim Kanton Luzern dafür einzusetzen, dass dieser künftig allen eine Stimmabgabe per E-Voting ermöglichen soll. Seit 2010 ist eine solche elektronische Stimmabgabe für eidgenössische Abstimmungen möglich − allerdings konnten davon bisher nur im Kanton stimmberechtigte Auslandschweizer profitieren. «Auch die fehlende Möglichkeit, die politischen Rechte elektronisch wahrzunehmen, ist eine denkbare Erklärung für die tiefe Wahlbeteiligung in der Stadt Luzern», sagt Bucher. 

Doch ein «E-Voting» für alle ist noch nicht denkbar, wie Edgar Huwiler, Informatikbeauftragter des Kantons Luzern, erklärt. «Es ist im Moment noch nicht möglich, da der Bund für eine Ausweitung auf 100 Prozent der Stimmberechtigten neue Sicherheitsanforderungen verlangt.» Solange diese Anforderungen nicht erfüllt seien, könnten nur maximal 30 Prozent der Stimmberechtigten das E-Voting nutzen. Der Kanton Luzern wolle zuerst noch mehr Erfahrungen mit E-Voting sammeln. «Die Auslandschweizer haben sich diesbezüglich als ideal angeboten», so Huwiler.

Sinnvolle Massnahmen − trotz geringer Effektivität

Der Kanton Luzern nutzt dafür das System des Kantons Genf. «Der Kanton Genf erarbeitet mit den Kantonen ein neues Finanzierungsmodell für die Umsetzung der erweiterten Sicherheitsanforderungen», sagt Huwiler. Erste Planrechnungen hätten gezeigt, dass der Kanton Luzern mit höheren Kosten rechnen muss, um das E-Voting für alle zugänglich zu machen. «Wir planen, ab Ende 2015 ein Projekt zu starten, um abzuklären, wie hoch die finanziellen und organisatorischen Auswirkungen durch das E-Voting genau sein würden», so Huwiler.

«Weder vorfrankierte Couverts noch das E-Voting würden zu einem entscheidenden Anstieg der Stimmbeteiligung führen.»
Andreas Balthasar, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern 

«Damit die Demokratie funktioniert braucht es einen repräsentativen Teil der Bevölkerung, der mitmacht», sagt Andreas Balthasar, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern. Insofern begrüsst er Massnahmen, welche die Hürden zur Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen abbauen. «Jedoch würden weder vorfrankierte Couverts noch das E-Voting zu einem entscheidenden Anstieg der Stimmbeteiligung führen.» Trotzdem hält er die vorgeschlagenen Massnahmen für sinnvoll: «Bei Jugendlichen ist die Stimmbeteiligung besonders tief. Gerade für sie wäre das E-Voting besonders attraktiv.»

Stimm- und Wahlpflicht als letzte Lösung?

Des Weiteren schlagen die Grünen auch mobile Urnen, die politische Sensibilisierung von Jugendlichen und die Bereitstellung von Informationen für Neuzuzüger vor. «Diese Massnahmen werden immer wieder diskutiert», so Balthasar. Jedoch dürfe man auch hier nicht zu hohe Erwartungen haben. So werden beispielsweise Jugendliche im schulpflichtigen Alter zwar im Unterricht über politische Themen aufgeklärt, sind jedoch noch gar nicht stimmberechtigt. Insofern schlägt der Politikwissenschaftler vor, dass in diesem Zusammenhang auch ein Stimmrecht bereits ab dem Alter von 16 Jahren diskutiert werden sollte.

«Je häufiger man wählt oder abstimmt, desto mehr politische Kompetenzen entwickelt man.»
Andreas Balthasar, Politikwissenschaftler

Nicht zuletzt soll auch die Einführung einer allgemeinen Stimm- und Wahlpflicht geprüft werden. «Betrachtet man die Demokratie als öffentliches Gut, so kann die Einführung einer solchen Pflicht durchaus Sinn machen», meint Balthasar und betont, dass staatlicher Zwang zwar oft abgelehnt, aber nicht per se etwas Schlechtes sein muss. «Es wehrt sich ja auch niemand gegen die Schulpflicht oder die Pflicht zur Absolvierung einer Autofahrprüfung.»

Doch, soll man möglicherweise inkompetente Leute dazu zwingen, ihre Stimme abzugeben? Untersuchungen hätten gezeigt, dass ein kleiner Schubs manchmal sehr sinnvoll sein kann, so Balthasar. «Je häufiger man wählt oder abstimmt, desto mehr politische Kompetenzen entwickelt man.» Das heisst, dass die bei zunehmender Stimm- und Wahlbeteiligung die Qualität der Abstimmungsresultate nicht abnehmen würden.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Ani_A
    Ani_A, 16.04.2015, 10:18 Uhr

    In Luzern sind die Antwortcouverts nicht vorfrankiert? Ich wäre schon mehrfach nicht zur Urne gegangen, weil ich schlichtweg zu faul wäre, um mir eine Briefmarke zu besorgen! Zudem würde ich mir denken, dass dafür gefälligst meine Steuergelder einzusetzen seien.
    Grüsse aus Zug, wo man vorfrankierte Antwortcouverts verschickt!

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