Die Luzerner Theater-Zukunft startet kontrovers

«Wir haben unglaubliche Angst, miteinander zu reden»

Abreissen oder erhalten? Beim Theater soll's nicht nur um die Fassade gehen, sondern auch um Inhalte. (Bild: jwy)

Über Inhalte reden statt über das Gebäude: Das war das Ziel einer hochdotierten und gut besuchten Diskussion über das künftige Luzerner Theater. Dabei wurde deutlich: Die freie Szene fühlt sich ausgeschlossen. Das ist kein gutes Zeichen für die weitere Debatte.

Wenn’s um Kulturhäuser geht, fallen immer wieder die Begriffe «Hülle» und «Inhalte». Das war bei der Salle Modulable so, das war beim Südpol so, das ist auch beim jetzigen Theater-Neubauprojekt so.

Über Inhalte reden, bevor’s um das Gebäude geht, fordern darum die drei städtischen Parteien CVP, FDP und Grüne. Sie haben am Mittwochabend zu einer Diskussion darüber ins Hotel Schweizerhof geladen.

Und es stimmt: Viel zu stark geht es in der bisherigen Debatte um Denkmalschutz, die wertvolle Nordfassade und darum, wie ein durchlässiges Gebäude den Theaterplatz aufwerten könnte. Es sind Architektur- und Stadtplanerfragen.

Viel zu wenig geht es hingegen darum, wie die freie Szene ihren Platz im Stadttheater erhält. Für wen hier überhaupt gespielt werden wird – es wird zu einem grossen Teil nicht mehr das Publikum von heute sein. Wie also kann das Luzerner Theater sich künstlerisch positionieren und relevant bleiben?

110 Prozent Auslastung

Zusätzliche Stühle mussten organisiert werden. «Wären wir ein Theater, hätten wir Auslastung von 110 Prozent», sagt Mitorganisator Gaudenz Zemp von der FDP zu Beginn. Etliche Stadt- und Kantonsparlamentarier waren anwesend, Vertreterinnen von Stadt und Kanton sowie aus der Kulturszene. «Heute wollen wir nicht über Architektur und Fassade reden – sondern über Inhalte des Theaterplatzes Luzern», so Urban Frye von den Grünen.

Ein halbes Dutzend haben die drei Parteien auf die Bühne geholt, darunter für Luzern neue Namen:

  • Elke Hesse, Direktorin des neuen Konzertsaals der Wiener Sängerknaben und Kulturbeauftragte der Pühringer-Gruppe, die in Vitznau einen Kultursaal baut.
  • Franz Patay, Geschäftsführer der Vereinigten Bühnen Wien mit drei Häusern.
  • Michael Boenigk, Dozent an der Luzerner Wirtschafts-Hochschule und Fachmann für Sponsoring.
  • Von Amtes wegen dabei war Birgit Aufterbeck, Stiftungsratspräsidentin des Luzerner Theaters.
  • Als Vertreterinnen der freien Szene kamen die beiden Luzerner Theaterproduzentinnen, Regisseurinnen und Schauspielerinnen Ursula Hildebrand und Annette Windlin.
Theaterdebatte im Schweizerhof-Saal (von links): Elke Hesse, Franz Patay, Michael Boenigk, Birgit Aufterbeck, Annette Windlin und Ursula Hildebrand. (Bild: jwy)

Wie sieht das Theater in 20 Jahren aus?

Die Moderatoren Robert Knobel und Christian Meier (beide «Luzerner Zeitung») fragten zuerst nach einer Theatervision für 2040 – und es blieb noch allgemein.

Vermehrte Kooperationen und neue technische Anforderungen wird es geben, glaubt Elke Hesse. «Das Zwischenmenschliche wird bei aller Technik die Herausforderung bleiben», sagte Franz Patay. Auch für Michael Boenigk wird das Theater auch in 20 Jahren eine «analoge Begegnungsstätte» bleiben.

Für Birgit Aufterbeck wird es das Wichtigste sein, dass die Luzerner das künftig offene Haus ins Herz schliessen. Und Ursula Hildebrand forderte, dass man Geld in Künste statt in Hüllen und Verwaltungsapparate steckt: «Wir müssen einen Theaterplatz schaffen, der für Entwicklungen offen bleibt und reagieren kann.» Und Annette Windlin ergänzte: «Was ich sicher weiss, dass nicht mehr wir dieses Theater machen werden.»

Diskussion nach Drehbuch

Franz Patay stand in Wien selber vor der Herausforderung, ein neues Opernhaus auf die Beine zu stellen – und er kennt die schwierigen und zähen Diskussionen. «Wir müssen offene Häuser bauen, das ist uns in Wien gut gelungen.»

Es ging dann in der nach Drehbuch abgewickelten Diskussion zuerst um Wien, um Ansprüche der heutigen Bühnentechnik, um personelle Ressourcen und den Selbstfinanzierungsgrad von Häusern. Inwiefern die europäische Kulturmetropole Wien mit der Kleinstadt Luzern vergleichbar ist, blieb offen. «Luzern ist konservativ, ich weiss nicht, ob Wien da mithalten kann», brachte es Patay auf den Punkt.

Es ging um Geld und Sponsoring

Aufterbeck lobte die hohen Drittmittel, die das Luzerner Theater generiere. Doch was müsste das Luzerner Theater machen, um in Sachen Sponsoring in der gleichen Liga wie das Lucerne Festival zu spielen, wollte der Moderator wissen.

Zur Erinnerung: Viel erhofft man sich für den Neubau in Luzern von privaten Geldgebern. Die Luzerner Arthur-Waser-Stiftung spendet als Startschuss für den anstehenden Architekturwettbewerb eine Million Franken (zentralplus berichtete).

«Alleine die Tatsache, dass das Theater da ist, verändert das Verhalten der Bürger.»

Franz Patay, Vereinigte Bühnen Wien

«Das Luzerner Theater steht im Wettbewerb zum FCL, aber auch zu Swisscom TV. Kultur hat’s da immens schwer», sagte dazu Michael Boenigk. Und er mahnte: Kunst müsse immer vor Kommerz stehen.

Der interessanteste Beitrag kam hier auch von Franz Patay: Theater leiste einen wesentlichen Beitrag zur Lebensqualität der Stadt. «Auch wenn nicht alle ins Theater gehen, alleine die Tatsache, dass es da ist, verändert das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger.»

Die Angst vor dem Reden

Nun hatten aber die beiden Vertreterinnen der Freien Szene genug von Sponsoring, guter Akustik und Mäzenen. «Mich interessiert Sponsoring überhaupt nicht, wir sind hier, um über Inhalte, Zusammenarbeit und Kooperationen zu reden», mahnte Annette Windlin und setzte zu einem deutlichen Statement an: «Wir haben unglaubliche Angst, miteinander zu reden, als wären wir eine andere Spezies.» Diese Diskussion funktioniere aber nur auf Augenhöhe.

«Plötzlich ist die Freie Szene nur noch Gast.»

Annette Windlin, Regisseurin

Sie erinnerte daran, dass im Zuge der Salle Modulable vor einigen Jahren alle Player zusammenfanden – Lucerne Festival, Sinfonieorchester, Luzerner Theater, Südpol und freie Szene. «Wir haben das Theaterwerk aufgebaut und wir kennen uns, aber plötzlich ist die Freie Szene nur noch Gast.»

Damit spielte Windlin auf die neu gegründete Projektierungsgesellschaft an, die für das Neue Luzerner Theater ihre Arbeit aufgenommen hat. In dieser Gesellschaft unter dem Vorsitz der Stadt sitzen alle relevanten Player. Die freie Szene hat aber nur Gastrecht – und dieser Punkt wurde zum strittigsten des Abends.

So ist die neue Projektierungsgesellschaft organisiert:

(Bild: zvg)

Ursula Hildebrand doppelte nach: «Der Gast-Status ist in dieser Entwicklung schlichtweg nicht haltbar. Im Moment fühlt es sich für mich so an, als seien wir nicht gut genug.»

«Wir reden die ganze Zeit auf Augenhöhe, auch jetzt.»

Birgit Aufterbeck, Luzerner Theater

«Wo sind die jungen Leute am Luzerner Theater? Wer führt das Theater in die Zukunft? Wo findet die gesellschaftsrelevante Auseinandersetzung statt», fragte Hildebrand. Die Entwicklung müsse weg von den etablierten Häusern führen, sonst breche das Publikum weg.

Fehlt die Relevanz?

Hildebrand stellte gar das Intendantenmodell und das institutionalisierte Theatermodell in Frage. Man sah betretene Gesichter auf der Bühne.

Dass die freie Szene ausgeschlossen werde, liess Birgit Aufterbeck nicht auf sich sitzen – auch sie wurde bestimmter und erinnerte daran, was das Luzerner Theater für die freie Szene alles mache und permanent freie Regisseure und Schauspielerinnen verpflichte – ausserhalb des Kernauftrags. «Es ist irre, was im Luzerner Theater abgeht, ich bin sehr stolz darauf, wir reden die ganze Zeit auf Augenhöhe, auch jetzt», wehrte sie sich.

Zwei weitere Termine

Neben dem Parteianlass vom Mittwoch wird es noch zwei offizielle Foren geben zur künftigen Ausrichtung des Neuen Luzerner Theaters: 16. März, 18.30 Uhr, Südpol, Luzern, und 19. Mai, 18.30 Uhr, Stadttheater, Sursee.

«Es gibt einen Unterschied zwischen mit dabei sein dürfen, aber nicht mitgestalten können», entgegnete Hildebrand. Die gesellschaftspolitische Relevanz fehle beim heutigen Luzerner Theater völlig.

Aufterbeck darauf: «Wir kümmern uns jeden Tag um das Ökosystem Theaterlandschaft. Ihr braucht uns genauso wie wir euch.»

Selbstausbeuterische Szene?

Franz Patay hatte dabei ein Déjà-vu: «Diese Diskussionen sind überall, wo es Institutionen und freie Szene gibt.» Er spielte auf das Problem in Wien an, dass die Freien oft selbstausbeuterisch agierten und Arbeitszeiten und Mindestlöhne nicht einhielten. «Wir hingegen sind einem Regelwerk unterworfen.»

Er brachte eine andere Frage zur Zukunft des Theaters fernab der Guckkasten-Bühne ein: «Wie kann das Theater Instagram-fähig werden?» Wie kann man also die Kunstform für die Zukunft retten?

Junge Menschen seien wahnsinnig bereit, sich mit dem Zustand der Welt auseinanderzusetzen. «Sie müssen mit Formaten und Strukturen abgeholt werden, nicht mit Hüllen. Wir haben junge Kollektive, die Säle mit jungen Leuten füllen», sagte Hildebrand.

Immer wieder ging's um Geld: Podium über die Theater-Zukunft. (Bild: jwy)

Und letztlich ging's wieder um die Hülle

Man hatte das Gefühl, dass da das erste Mal seit langem wieder miteinander geredet wird und sich viel Frust angestaut hatte. Es entstand eine brisante Theaterdiskussion, die den Moderatoren zwar etwas entglitt, aber der man gern noch länger zugehört hätte.

Leider landete die Diskussion aber wieder dort, wo sie nicht hin wollte: bei der Hülle und beim Geld. Der Abend war als neutraler Zuhörer keine gute Werbung für den Theaterplatz Luzern – und er lässt nicht auf eine gute Zusammenarbeit hoffen.

Immerhin rief Patay als neutraler Beobachter nochmals den desolaten Zustand des Hauses in Erinnerung: «Ich habe das Luzerner Theater heute angeschaut, und das muss renoviert werden. Ich muss gratulieren, dass das Team unter diesen Bedingungen arbeitet, bei uns wär das so nicht möglich.»

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