Charlotte Gainsbourg und Katie Melua am Blue Balls

Wenn die begehrteste Französin Luzern bezirzt

Herbe und natürliche Schönheit: Charlotte Gainsbourg. (Bild: Marco Masiello)

Der Name ist legendär: Gainsbourg. Serges Tochter Charlotte bezauberte am Blue Balls Festival mit einem entrückten Elektro-Trip. Das pure Gegenteil zur französischen Sängerin und Schauspielerin: die Georgierin Katie Melua. Zwei Abende zwischen Staunen und Trost.

Fünf Musiker im weissen Top schlurfen auf die Bühne, klatschen den Stagemanager ab. Dann kommt Charlotte Gainsbourg, eine der interessantesten Persönlichkeiten in Film und Musik. Mit kleiner Geste setzt sie an zu einem grossen Abend, der nur 70 Minuten dauern wird – aber Emotion pur ist.

Voller Understatement, ohne Glamour, ihre Reduziertheit spiegelt sich im trendigen Look: Dünne Fistelstimme, schlabberige Jeansjacke wie von Papa Serge, aber mit dem nur für Kenneraugen sichtbaren Yves-Saint-Laurent-Logo. Das strähnige Haar kokett verstrubelt und ein natürlich geschminktes Gesicht – Charlotte Gainsbourg lehnt sich ein bisschen an den bei Models beliebten Heroinchic an. Dazu versteckt sich die 48-jährige Sängerin hinter ihren Fransen.

Es ist ein auf den ersten Blick distanziertes Auftreten, man versteht auch ihre Texte kaum, die im magisch pumpenden Elektrosound oft untergehen. Cool steht oder bewegt sich die Künstlertruppe im effekvollen Bühnenbild – lauter Stableuchten, die die sechs Musiker einrahmen – und geben ein kühles Konzert ab. 

«Der Tod meines Vaters war für mich gleichbedeutend mit dem Tod von Musik als solcher.»

Charlotte Gainsbourg

Wenig Kraft hat die fragil wirkende Sängerin bekanntermassen in der Stimme, sie zeugt auch von schweren Zeiten, welche die Gainsbourg hinter sich hat: Ihre Halbschwester Kate Berry kam bei einem Sturz aus dem Fenster ums Leben, Charlotte zog von Paris nach New York. 

Visuelles und Dramaturgisches reduziert: Charlotte Gainsbourg. (Bild: Marco Masiello)

In New York verarbeitete sie die grossen Dramen ihres Lebens und verdichtete sie im düsteren, aber bestechenden Album «Rest». Einmal sagte sie: «Der Tod meines Vaters war für mich gleichbedeutend mit dem Tod von Musik als solcher.» Sie fand Serge als 19-Jährige tot im Bett und legte sich neben ihn. Das neue Lied «Lying with you» zeugt davon. 

In New York ist sie auch näher an Hollywood, wo sie regelmässig verstörende Rollen zwischen Inzest und leidenschaftlicher Liebe wie etwa in «Charlotte for ever» oder «Antichrist» spielt. 

Wie in einem Film legt Charlotte Gainsbourg bei ihren Konzerten nicht nur auf das Visuelle grossen Wert, sondern auch auf die Dramaturgie: Es gab eine grosse Bandbreite im Mix, sie spielte mit den Emotionen. Neben einem ravigen Song «Deadly Valentine», der auf gut 10 Minuten gedehnt wurde und wie ein Rausch wirkte, betörten auch ruhige Momente wie etwa in nur gehauchten Chansons wie «Kate».

Die sechsköpfige Band stellte sich im monochromem Graublauweiss stets in den Dienst von Charlotte. Klar: Die Tochter von Serge Gainsbourg (1928–91) und Jane Birkin (72) ist heute genauso Kult wie ihre Eltern, die mit «Je t’aime (moi non plus)», der 1969er-Hymne für die sexuelle Revolution, gar den Groll des Papstes auf sich zogen. 

Die frankophone Welt liegt ihr zu Füssen 

Fasziniert schaute man der gertenschlanken Frau zu – und begreift, weshalb die frankophone Welt ihr zu Füssen liegt: Bei Umfragen unter Männern, welche Frau sie am liebsten heiraten würde, schwingt «La Gainsbourg» obenaus. Sie bezirzte ihre Luzerner Fans mit einem herben Charme, und nur schon ihr früher Abgang trieb einem Schauer über den Rücken: Wie ein scheues Reh schwebte sie mit einem lächelnden Blick über die Schulter und einer kurzen Handbewegung – «Adieu!» – davon. 

Man spürte trotz ihres schüchternen Lächelns, dass ihr «Schmerz noch lange nicht geheilt ist». Das sagte sie unlängst in einem Interview. Und: «Ich gehe davon aus, dass die Trauer nie vorbeigehen wird.»

Katie Melua: alles für Riesenkarriere 

Wie anders Anfang Woche das georgische Sunnygirl Katie Melua: Sie sorgte gleich zweimal für einen vollen weissen KKL-Saal. Und die 34-jährige Sängerin zeigte einmal mehr, dass sie eigentlich alles für eine Riesenkarriere hat: reine Stimme, feenhaftes Aussehen, ein paar eigene Hits wie «Nine Million Bicycles». 

Old-fashioned: Katie Melua in langer Robe. (Bild: Marco Masiello)

Die ebenfalls grazile Melua überraschte diesmal mit vielen Coversongs – von Leonard Cohen und von Louis Armstrong bis hin zum Bond-Song «Diamonds are Forever». Damit bewies sie ein gutes Händchen für Geschmack – und besang die sonnigen Seiten des Lebens. Standing Ovations gab es bei Katie Melua gleich mehrfach. 

Es ist eine eigenartige Musik, wie ein Kritiker einmal schrieb, Melua macht «schlurfige Popsongs, die nach Kaminfeuer oder wenigstens Kerzenschein schreien». Und ihr Look, ein langes rotes – am Folgeabend blaues – Kleid wirkt old-fashioned, wenn nicht gar leicht verstaubt. Doch Luzern liebt ihren Sound, und Katie Melua bedankte sich auch drei Jahre nach ihrem ersten Auftritt im KKL artig. 

Singender Engel: Katie Melua. (Bild: Marco Masiello)

Und das ist gleich auch ihr Problem: artig und süss, brav und – ja fast bieder wirkt Katie Melua neben der vom Schicksal gebeutelten Charlotte Gainsbourg. 

Bei Melua staunt man und bleibt gerne auf Distanz, der Gainsbourg hingegen möchte man ganz nahe treten: am liebsten sie immer in den Arm nehmen und trösten. Die Ecken und Kanten der Französin packen letztlich unvergleichlich mehr.  

Understatement pur: Charlotte Gainsbourg. (Bild: Marco Masiello)
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