Kolumne

Sober Island: Das hält hier doch niemand nüchtern aus

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

Theoretisch lebt unsere Gesellschafts-Redaktorin Isabelle Dahinden seit einigen Wochen abstinent. Gezwungenermassen. In der Praxis sieht es ein wenig anders aus.

Neulich war ich mal wieder bei meiner Ärztin. Sie erklärte mir, wie das neue Medikament funktioniert. Und ganz beiläufig sagte sie mir, dass für die nächsten Monate Alkohol tabu sei.

Sie streifte das Thema aber nur. Neues Thema: Familienplanung. Lieber diskutierte sie mit mir über eine mögliche, aber in meiner Realität für die nächsten Jahre total inexistente und unerwünschte Familienplanung. Das sei ebenfalls gelinde gesagt semi-kompatibel bis eher äusserst fatal unter diesem Medikament, sagte sie noch. Da müsste ich sie als Ärztin schon involvieren, wenn's ums Kinderkriegen gehe. Das sei nun wirklich gar kein Thema, sagte ich. Nicht die nächsten 10 Jahre.

Babys über Prosecco

Meine Ärztin aus Sober Island sprach weiter über Babys und das Verhüten. Ich fragte mich, was aus diesem Sommer denn jetzt noch werden soll. Wie ich ein Prösi-loses Dasein fristen möchte. Morgens Mimosa. Mittags Aperol Spritz. Abends Dosenbier. Ein Tag mit Freunden im Sommer, mit Brunch, Badi, Grillieren und allem Drum und Dran, mit Frust und Lust, sieht locker mal so aus.

In meinem Kopf ratterte es. «Ich muss da echt einen Moment in mich gehen», dachte ich. «Kann ich das? Will ich das überhaupt? Krieg ich eine Bedenkzeit?»

Aber mir ist schon klar: Alle wollen Babys, alle verteufeln den verdammten Alkohol, diese Volksdroge Nummer 1.

Date bei einem Ingwertee: nie passiert

Mal ehrlich: Wie oft wurde der letzte Negroni schon zum Verhängnis? Wie oft hab ich mir an einem verkaterten Tag nach einer durchzechten Nacht meinem verquollenen Spiegelbild geschworen, das war das letzte Mal? Sicherlich zu oft.

Aber wie soll das gehen, so ganz ohne Alkohol? Ohne Rotwein hätte ich meine damalige Bachelor-Arbeit sicher nicht in der gesetzten Frist geschafft. Ich hätte keine Freunde und wohl noch weniger Dates ausgehalten. Vermutlich wäre ich heute eine einsame Jungfer. Oder hast du mal jemanden bei einem Ingwertee gedatet? Geht das denn? Findet man sich da überhaupt attraktiv?

Schliesslich fragte ich meine Ärztin, wie sie das denn meine. Mit dem Alkohol, nicht den Babys. Eigentlich gleich ganz der Abstinenz verschreiben, zumindest in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren. So lange ich eben auf das Medikament angewiesen sei. Aktuell gerade so unerreichbar wie meine gottverdammte Vorsorgelösung, die seit Jahren auf einer abgespeicherten To-do-Liste auf meinem iPhone herumschwirrt.

Das Problem: Hier trinkt ja jeder

Meine Beziehung zum Alkohol ist eine Hassliebe, die sich keiner wünscht und jeder hat. Jede muss da durch. Verbringt man Zeit mit ihm, mag man ihn. Manchmal wird's dann zu intensiv, tags darauf verteufelt man ihn. Jedenfalls nach den Nächten voller Eskapaden und Filmrissen, von denen es zugegebenermassen in meinen Anfang-20ern sicher einige gab. Andere würden sagen: zu viel. In Massen - oder korrekterweise in Maßen - und mit Vernunft genossen, gibt er mir eine Leichtigkeit, begleitet mich durch tiefgründige Gespräche, eine gute Zeit mit Freunden und Familie. Ich kann zu ihm Nein sagen, Stopp sagen, ich hab da einen guten Umgang gelernt.

Jetzt also müsste ich dem Alkohol abschwören. Ich hab's auch echt versucht. Aber da bringen Arbeitsfreunde ungefragt ein Prösi-Dösli nach Feierabend an dein Pult. Sie kreuzen in der Badi auf und drücken dir vor der Begrüssung einen Aperol Spritz in die Hand. Das Problem beim abstinenten Leben: Es trinkt hier ja jeder um dich herum.

Eine Art Wochenend-Beziehung wäre schön

Dann ging ich feiern. Nüchtern war das echt die totale Katastrophe. Menschen um mich herum jammerten und lallten mich voll, klopften mit ihren Händen viel zu fest auf meine Schultern, spuckten mir beim Reden betrunken ihr Bier mit Spucke ins Gesicht. «Das hält hier ja niemand nüchtern aus», dachte ich. Ich halte niemanden nüchtern aus, vermutlich hält niemand mein nüchternes Ich aus.

Es gab zwei Optionen: Mir selbst die Lampe füllen oder die Flucht ergreifen. Ich entschied mich für Ersteres.

Ich wär ja durchaus für fixe, alkfreie Tage. Alles ein wenig bedachter. Öfters mal Nein sagen. Ich bin für Kompromisse, aber nicht für die totale Verzichtsplanung. Eine Art Fernbeziehung würde ich mir wünschen. Eine lose Wochenend-Beziehung vielleicht.

Forever 28: Die unerwachsene Erwachsene in mir

Theoretisch, wenn es nach meiner Ärztin ginge, nach ihrem medizinischen Wunschdenken jedenfalls, wäre ich jetzt seit 2 Wochen und 2 Tagen abstinent. 16 Tage. Ohne einen Tropfen intus. Die unvernünftige, aber ungelogene Realität: Nicht einmal 24 Stunden ist's her seit meinem letzten Prösi-Dösli.

Ich bin ja noch keine 30 Jahre, ich darf ja wohl noch halbvernünftig sein. Find ich legitim. Dieses unerwachsene Erwachsene.

Verwendete Quellen
  • Prosecco
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