Zwangsmedikation in der Zuger Psychiatrie

Wieder unterläuft der Klinik Zugersee ein fataler Fehler

Durch Entscheide des Zuger Verwaltungsgerichts wurde publik, dass die Klinik Zugersee, Oberwil, in zwei Fällen die formellen Vorgaben für eine Zwangsmedikation nicht einhielt. (Bild: Andreas Busslinger)

Die grösste Psychiatrie im Kanton Zug hat wiederholt gegen gesetzliche Vorgaben für eine Zwangsmedikation verstossen. Das rührt an den Grundrechten der Patienten.

Zwangsjacken, Elektroschocks, im schlimmsten Fall Hirnoperationen. Die Psychiatrie hat eine düstere Geschichte. Bis heute beflügelt dies die Horrorfantasien von Bestsellerautoren wie Sebastian Fitzek.

Das bekannteste Werk dürfte «Einer flog über das Kuckucksnest» von Ken Kesey sein. 1975 mit Jack Nicholson verfilmt, schildert es eindrücklich, was passieren kann, wenn einzelne Ärzte über den Willen ihrer Patienten hinweg medizinische Behandlungen anordnen dürfen.

Die moderne Psychiatrie ist davon weit entfernt. Und hat doch immer noch mit entsprechenden Vorurteilen zu kämpfen. Diese lassen sich nur schwer aus den Köpfen der Menschen vertreiben.

Zwangsmedikation in der Psychiatrie ist erlaubt – unter strengen Bedingungen

Heute sind die Ärztinnen keine «Götter in Weiss» mehr, die Patienten nach eigenem Gutdünken Medikamente verabreichen können. Es gibt strikte Regeln. Eine Zwangsbehandlung ist in der Psychiatrie nur unter sehr strengen Bedingungen erlaubt.

Es braucht dafür zunächst einen schriftlichen Behandlungsplan. Darin sind der Grund, der Zweck, die Art und Bedingungen, die Risiken und die Nebenwirkungen aufgeführt. Erfolgt die Behandlung gegen den Willen des Patienten, so muss dies zusätzlich von der Chefärztin angeordnet werden. Und nicht nur vom behandelnden Arzt allein. Es gilt das Vier-Augen-Prinzip, das sicherstellen soll, dass die drei zwingenden Bedingungen erfüllt sind:

  • Es besteht ohne die Behandlung ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden oder das Leben Dritter wird gefährdet.
  • Die Patientin ist urteilsunfähig.
  • Es gibt keine Alternative, die weniger einschneidend wäre.

Die Bevölkerung vertraut darauf, dass diese gesetzlichen Vorgaben von den Kliniken eingehalten werden, die Menschen mit psychischen Krankheiten behandeln. Schliesslich handelt es sich in aller Regel um Menschen, die sich in einer verzweifelten Situation befinden und besonders schutzbedürftig sind.

Urteile des Zuger Verwaltungsgerichts zeigen nun aber, dass ausgerechnet die grösste psychiatrische Einrichtung im Kanton diese Regeln in zwei Fällen nicht eingehalten hat.

Ein schwerer Grundrechtseingriff

Wie erwähnt gilt in solchen Fällen das Vier-Augen-Prinzip. Die Anordnung der Zwangsmedikation muss von zwei Ärztinnen unterschrieben werden. Im ersten Fall, der durch die Berichterstattung von zentralplus publik wurde, hat es die Klinik Zugersee in Oberwil bei einer telefonischen Konsultation des Oberarztes bewenden lassen (zentralplus berichtete).

Das Verwaltungsgericht haute der Zuger Psychiatrie auf die Finger. Bei einer Zwangsmedikation handle es sich um einen «schweren Grundrechtseingriff» – und die Formalitäten müssten zwingend eingehalten werden. Heisst: Es braucht zwei Unterschriften auf der Anordnung. Die Klinik versicherte auf Anfrage von zentralplus, dass es sich um einen Einzelfall handle.

Klinik ignoriert Grundvoraussetzung für Zwangsmedikation

Jetzt hat das Verwaltungsgericht Zug aber wieder einen Entscheid veröffentlicht, der ein ganz schlechtes Licht auf die Klinik Zugersee wirft. Und erneut geht es um eine Zwangsmedikation.

Ein 51-Jähriger war im September 2021 wegen akuter Selbst- und Fremdgefährdung in die Klinik eingewiesen worden. Es handelte sich um eine sogenannte fürsorgerische Unterbringung. Heisst: Der Mann war nicht freiwillig dort.

Der Patient leidet an einer schweren schizoaffektiven Erkrankung. Das bedeutet, dass er sowohl unter schizophrenen als auch unter manischen oder depressiven Symptomen leidet. Er wurde gegen seinen Willen medikamentös behandelt. Und dies, ohne dass sich jemand die Mühe gemacht hätte, den gesetzlich vorgeschriebenen schriftlichen Behandlungsplan zu erstellen.

«Die Klinik hat sich nicht an die klaren gesetzlichen Vorgaben gehalten.»

Aus dem Urteil

Ans Licht kam das erst gut einen Monat später, als sich der Mann beim Verwaltungsgericht gegen die Medikamente wehrte. «Die Klinik hat es unterlassen (...) einen schriftlichen Behandlungsplan zu erstellen, obwohl der Beschwerdeführer seit mehreren Wochen hospitalisiert war», hält das Verwaltungsgericht fest. «Die Klinik hat sich damit nicht an die klaren gesetzlichen Vorgaben gehalten und die Zwangsmedikationen ohne den unerlässlichen Behandlungsplan angeordnet und auch durchgeführt.»

Patient entlassen, Problem erledigt

Für die Klinik Zugersee geht der Fall glimpflich aus. Nachdem sich der Zustand des Patienten gebessert hatte, trat der Mann auf eigenen Wunsch aus der Klinik aus. Das Gericht hat das Verfahren daraufhin für gegenstandslos erklärt, weil dem Betroffenen zum Zeitpunkt des Entscheids keine Medikamente mehr zwangsweise verabreicht wurden.

Trotzdem: Wie kann es sein, dass so etwas überhaupt passiert? Und welche Konsequenzen hat ein solcher unrechtmässiger Eingriff in die Grundrechte eines Patienten für die Verantwortlichen? Das wollte zentralplus von der Klinikleitung wissen. Für eine konkrete Beantwortung fehlte der Klinik bislang allerdings die Zeit. Sie liess der Redaktion aber eine allgemeine Stellungnahme zukommen.

Das sagt die Klinik Zugersee

«Diese beiden Fälle sind nicht miteinander vergleichbar», schreibt die Medienstelle Triaplus in einer schriftlichen Stellungnahme. «In dem einen Fall ging es um eine fehlende zweite Unterschrift der Anordnung einer Zwangsmassnahme und nicht um einen fehlenden Behandlungsplan. Dieser lag, wie bestätigt, vor und war korrekt unterschrieben», heisst es darin.

Der im anderen Fall bemängelte fehlende schriftliche Behandlungsplan habe dazu geführt, dass nachfolgend «konsequent auf das Vorhandensein eines solchen Plans geachtet wird». «Diese zusätzliche Qualitätssteigerung spiegelt sich unter anderem im Rahmen regelmässig wiederkehrender interner und externer Audits wider, innerhalb deren auch weitere Punkte der Qualitätssicherung Platz finden», wie die Medienstelle schreibt.

Konkret heisst das: Die Klinik Zugersee verfügt über ein umfangreiches elektronisches Qualitätsmanagement-System mit verschiedenen Instrumenten wie etwa dem Critical Incident Reporting System (CIRS). Die Klinik ist nach der ISO Norm zertifiziert. «Das Überwachsungsaudit im letzten Jahr wurde mit einem sehr guten Resultat bestanden», betont die Klinik.

Verwendete Quellen
  • Urteil F 2021 43 des Verwaltungsgerichts Zug
  • Urteil F 2022 9 des Verwaltungsgerichts Zug
  • ICD-10 Eintrag zu schizoaffektiven Störungen

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