Einer Person aus Luzern wird vorgeworfen, ein schweres Sexualdelikt begangen zu haben. Eine linke Gruppierung veröffentlicht nun in einem Artikel Bild und Namen – und ruft zum Boykott der Person auf. Eine Rechtsprofessorin verurteilt diese Aktion scharf.
Es ist Herbst, 2022. Regelmässig trifft sich eine Gruppe um eine Person aus Luzern, nennen wir sie B. Die Mission hinter diesen Treffen: B zum Nachdenken zu bringen. Dazu zu bringen, Reue zu zeigen – und sich zu verändern. Denn das, was sich zwei Jahre zuvor ereignet haben soll, soll sich nicht mehr wiederholen.
Was ist geschehen? B, dessen Namen und Geschlecht zentralplus nicht erwähnen will, war mit jemandem zusammen. Beide lebten in Luzern, bewegen sich im politisch linken Spektrum. Die eine Person wollte sich zurückziehen, B habe mehr Druck ausgeübt – bis es zu einem schweren Sexualdelikt gekommen sein soll.
Zwei Jahre danach formierte sich eine Gruppe, um mit B die Tat aufzuarbeiten. Doch dieses Vorhaben scheiterte, weil B zu wenig einsichtig gewesen sei.
Das alles steht in einem Artikel, der auf einer linken Web-Plattform publiziert wurde. Auf dieser kann jeder publizieren – und das komplett anonym. So bleiben auch die Verfasserinnen jenes Artikels anonym, die vor B warnen wollen. Dazu führen sie Bs vollständigen Namen auf und schreiben, wo B wohnt und arbeitet. Auch ein Bild von B veröffentlichen sie. Die Verfasser schreiben, dass sie andere vor B warnen möchten. Person B habe selbst gesagt, dass sie jederzeit wieder übergriffig werden könne.
Weitere Details, auch darüber, wo genau was erschienen ist, gibt zentralplus hier nicht wieder, um nicht noch mehr Leser auf den Artikel zu lotsen.
Linke rufen Arbeitgeber dazu auf, der Person zu kündigen
Der Artikel ist aus mehreren Gründen problematisch: Die Verfasser veröffentlichen neben dem Foto von B den vollständigen Namen, Arbeitgeber und Wohnort. Sie rufen gar dazu auf, dass B aus dem linken Milieu Luzerns ausgeschlossen wird und ihren Job verliert.
Der Arbeitgeber hat Kenntnis des Artikels. «Gespräche haben stattgefunden und sind auch noch im Gang», heisst es auf Anfrage. Man arbeite den Fall intern auf, aus personalrechtlichen Gründen gibt er keine weitere Auskunft.
Eine Strafanzeige hat das mutmassliche Opfer des Sexualdelikts nicht eingereicht (Stand Anfang Januar). Das sagt Simon Kopp, Sprecher der Staatsanwaltschaft Luzern.
Privatrechtsprofessorin: Das ist eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung
Regina Aebi-Müller, ordentliche Professorin für Privatrecht an der Universität Luzern, hat eine klare Haltung: Der Artikel sei «ausgesprochen problematisch». In diesem werde der Person B, die namentlich genannt und mit Porträtbild individualisiert werde, ein klar strafrechtliches Verhalten unterstellt. «Der Artikel verletzt die betroffene Person aus zivilrechtlicher Sicht eindeutig in ihrer rechtlich geschützten Persönlichkeit, insbesondere in ihrer Ehre, in ihrer Privatsphäre und in ihrem Recht am eigenen Bild», so Aebi-Müller. Aus strafrechtlicher Sicht müsste man nun prüfen, welche Ehrverletzungsdelikte genau vorlägen. Dazu müsste man unter anderem wissen, wie es um den Wahrheitsgehalt der ehrverletzenden Äusserungen stehe.
Regina Aebi-Müller, ordentliche Professorin für Privatrecht an der Universität Luzern«Selbst wenn der Vorwurf eines schweren Sexualdelikts zuträfe, würde dies einen medialen Pranger nicht rechtfertigen.»
Zur Schwere der Persönlichkeitsverletzung trage bei, dass der Artikel öffentlich zugänglich ist und «gerade darauf ausgelegt ist», von zahlreichen Leserinnen gelesen zu werden. Ebenfalls erschwerend seien die Boykottaufrufe, unter anderem an die Adresse des Arbeitgebers. «Ein Rechtfertigungsgrund für eine derart gravierende Verletzung der Persönlichkeit liegt offensichtlich nicht vor. Selbst wenn der Vorwurf eines schweren Sexualdelikts zuträfe, würde dies einen medialen Pranger nicht rechtfertigen», hält Aebi-Müller fest.
Selbstjustiz – in der Schweiz verboten
Dass das mutmassliche Opfer des Sexualdelikts keine Strafanzeige gegen B eingereicht hat und nun eine Gruppe B online anprangert, grenzt an Selbstjustiz.
Die Schweiz ist ein Rechtsstaat. Täter werden durch den Staat verfolgt und die Durchsetzung eines (vermeintlichen) Rechts erfolgt ebenfalls durch den Staat. «Selbstjustiz ist daher nicht erlaubt, insbesondere dann nicht, wenn sie – wie hier – ihrerseits ein strafbares Verhalten darstellt und die Persönlichkeitsrechte der beschuldigten Person verletzt», sagt Aebi-Müller dazu.
Es gebe gute Gründe dafür, dass wir die «mittelalterliche Strafe des Schandprangers» nicht mehr kennen. «Sie verunmöglicht auch nach verbüsster Strafe eine Reintegration des Betroffenen in die Gesellschaft – umso schlimmer ist der Pranger, wenn die Schuld gar nicht geklärt beziehungsweise erwiesen ist.»
Wenn aus (mutmasslicher) Tatperson ein Opfer wird
Aus Sicht der Privatrechtsprofessorin sind solche Täter-Outings falsch. Wenn sie auch klarstellt: Sexualstraftaten müssten konsequent geahndet werden. Täterschutz befürworte sie auf keinen Fall. «Besser als ein Täter-Outing hilft es dem Opfer nach meinem Dafürhalten, wenn es den Mut findet, ein Strafverfahren zu initiieren, wenn es sich psychologische Hilfe holt und vielleicht zuerst einmal eine spezialisierte Beratung in Anspruch nimmt.» Sie empfiehlt speziell Opferhilfestellen.
Persönlich könne sie nachvollziehen, wenn ein Opfer einer Straftat – vielleicht auch vor dem Hintergrund eines nur langsam voranschreitenden Strafverfahrens – das Bedürfnis habe, selber die Initiative zu ergreifen. «Das rechtfertigt allerdings nicht, dass dann der Täter oder die Täterin wiederum zum Opfer wird, wie dies hier eben gerade geschieht.»
Persönlichkeitsverletzung: Man kann gegen alle vorgehen, die mitwirken
Was rät die Privatrechtsprofessorin B, die im Artikel als Tatperson angeprangert wird? Aebi-Müller empfiehlt B, eine Strafanzeige zu machen und – falls die Verfasser oder Plattformverantwortliche namentlich bekannt seien – zudem zivilrechtlich vorzugehen. Ein Zivilgericht könnte beispielsweise mit einer superprovisorischen Anordnung dafür sorgen, dass die Website sofort – sogar ohne Anhörung der Beklagten – vom Netz genommen wird. Das Strafverfahren sei insofern langsamer.
Liegt eine zivilrechtliche Persönlichkeitsverletzung vor, kann man gegen jeden gerichtlich vorgehen, der oder die an der Verletzung mitwirkt. Dazu gehören die Autorinnen sowie die Plattformbetreiber, zu denen auch jene gehören, welche die Plattform technisch betreuen.
Plattform ist bekannt für Outings
B ist längst nicht die einzige Person, die auf der Plattform öffentlich angeprangert wurde. So wurden in den letzten Jahren auf der Website von mehreren Menschen vollständige Namen, Bilder und gar Adressen und Handynummern veröffentlicht. Zeitungsberichte zeigen, dass Betroffene im Nachgang bedroht und angegriffen wurden. Bei blossen Worten blieb es jedoch nicht. Von jemandem seien die Bremse eines Autos manipuliert, von einer anderen Person das Haustier verstümmelt worden.
Betreiber zeigen keine Einsicht
Was sagt die Plattform zur vorliegenden widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung? Nicht viel. Erst auf erneutes Nachfragen seitens zentralplus schicken die Betreiber ein sechssätziges Statement. Auf konkret gestellte Fragen gehen sie erst gar nicht ein.
Sie verstünden sich als «öffentliche Informations-Plattform». «Die Site ist für alle Menschen offen, die darauf publizieren wollen, solange die Artikel nicht gegen die Grundsätze von [Name der Plattform] verstossen.» Ein Blick in diese Grundsätze zeigt, dass die Betreiber «keine Formen von Diskriminierung und Unterdrückung» dulden würden.
Die Plattform funktioniert vollkommen anonym. Die Betreiber moderieren die Website. Sie, wie auch die Autorinnen, welche die Artikel schreiben, agieren ohne Namen. Es bleibt somit im Dunkeln, wer den Artikel geschrieben hat. B reagierte auf eine Anfrage von zentralplus nicht.
- Artikel auf Plattform
- Schriftlicher Austausch mit Regina Aebi-Müller, ordentliche Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung, Universität Luzern
- Schriftlicher Austausch mit Simon Kopp, Staatsanwaltschaft Luzern
- Schriftliche Anfrage an Betreiber der Plattform
- Schriftlicher Austausch mit Arbeitgeber der betroffenen Person
- Mail an B (unbeantwortet)
- Website und Infos zur Plattform
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Turi, 29.01.2024, 17:26 Uhr Anzeige, Richter,
Punkt!!👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runterHegard, 29.01.2024, 10:28 Uhr Stalin und lenin passt zu solchen leuten,Sie haben
ja auch dazu mal die Ukrainer traktiert und bis zum Tod genötigt!👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runterHans Hafen, 29.01.2024, 06:14 Uhr Untersuchungsbehörden, Ankläger und Richter in einem. Dazu noch eine eigene Rechtsordnung, welche von politischen Weltanschauungen dominiert und geleitet wird, die Ablehnung der Gewaltenteilung, Reaktionäre Anwendung längst überwundener Schandstrafen und die ostentative Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopoles. Mir wird es ab solch irrlichternder Gestalten mit totalem Hang zur Selbstermächtigung und Freude an mittelalterlicher Methode der Inquisition Angst und Bang!
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Warum sollten es demnach nicht auch alle anderen oder gewisse Gruppen ebenso tun? Die ihre Sache für die einzige Richtige und ideologisch gut genug unterfüttert halten? Diese Kamarilla im vorliegenden Fall müsste
ja dann dies, der eigenen Logik folgend, gar befürworten. Man sieht, die Zivilisation und der Rechtsstaat sind stets bloss eine Steinwurf weit weg von vorzeitlichen Verfahrensweisen willkürlicher Tyrannei. Der demokratisch legitimierte Staat täte gut daran, solch Wirken drakonisch zu bestrafen! Die Strafverfolgung können diese Gutmenschen dann ruhigen Gewissens den dafür legitimierten, staatlichen Organen überlassen.👍4Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Hanswurst, 28.01.2024, 18:02 Uhr Pranger gehört ins Mittelalter und diese Art von Selbstjustiz ist wohl nichts anderes als eine formelle Kaschierung finsterer Kulturen.
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👍6Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎3Daumen runterMichail Alexandrowitsch, 28.01.2024, 13:38 Uhr Das Phänomen der politischen Korrektheit (political correctness), die Kultur der Verbannung (cancel culture) und die Ideologie der Viktimisierung (woke, zum Opfer machen) sind auch und vor allem ein Ausdruck der amerikanischen Zivilisation und zeugen einmal mehr von ihren Wurzeln, die im calvinistischen Glauben, in einem Moralismus und Fundamentalismus liegen und zu Exzeptionalismus ausgeartet sind.
👍11Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runterYannick Hagmann, 28.01.2024, 16:19 Uhr Da suchen Sie auf der falschen Seite des Atlantiks. Der erste sozialistische Staat (Züslis Partei ist die SP, die Idee stammt von der Juso) mit dem Leitgedanken einer moralischen Volkserziehung wurde von Lenin und Trozki nach der Oktoberrevolution von 1917 in Russland gegründet. Wohin es geführt hat, ist bekannt.
Gemäss dem Staftpräsi Züsli wird mit dem anonymen Onlinepranger eine gesellschaftliche Veränderung angestrebt, damit sexistische, queerfeindliche und sexualisierte Gewalt sowie Grenzüberschreitungen im öffentlichen Raum erkannt und bekämpft werden.
Für diesen moralisch aufgeladenen Endzweck sollen gemäss der verinnerlichten sozialistischen Lehre offenbar auch rechtlich fragwürdige Mittel und falsche Zahlenstatistiken zum Einsatz gelangen.
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LD, 28.01.2024, 12:18 Uhr Das Meldetool gegen sexuelle Belästigung der Stadt (linke Regierung) fördert letzlich diese Selbstjustiz, der Online-Pranger einer linken Gruppierung ging diesem Schritt nur voraus. Gemäss Artikel alles Frauen (Autorinnen).
Der Nächste Schritt ist ein Werkzeug für andere «Vergehen», beispielsweise gegen «missliebige» Meinungen, Meinungen, die für eine funktionierende Demokratie noch immer einen offenen Diskurs zur Meinungsbildung als zentral betrachten.
Es kann nicht sein, dass hier einer Blockwartmentalität Vorschub geleistet wird.👍11Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎3Daumen runterBaldo, 28.01.2024, 11:15 Uhr Und solche Gruppierungen werden gewählt. Macht endlich die Augen auf.
👍11Gefällt mir👏1Applaus🤔0Nachdenklich👎5Daumen runterYannick Hagmann, 28.01.2024, 09:47 Uhr Auch der designierte Stadtpräsi Züsli sieht sich neuerdings als Sittenwächter und hat im Verbund mit der woken Juso einen solchen «mittelalterlichen Schandpranger» lanciert, wo jeder und jede anonym imaginierte oder reale Belästigungen oder schlicht Verleumdungen eingeben kann. Die Stadt Luzern will aufgrund dieser offenkundig falschen Zahlen und der unüberprüfbaren Angaben anschliessend Statistiken publizieren, neue Personalbesetzungen und Rechtshandlungen vornehmen und Gelder für Kampagnen sprechen. Gemäss dem Artikel in der LZ über die Pressekonferenz soll zu diesen Rechtshandlungen u.a. das informieren der Polizei gehören. Ob das Datenschutzgesetz dabei gewahrt wird, ist äusserst zweifelhaft.
Dabei hat sich der Staat gemäss dem Legalitätsprinzip ins moralische und sittliche Leben seiner Bürger per Definition nicht einzumischen. Die Schwelle liegt ausdrücklich bei strafbarem Verhalten.
Die Meinung der Rechtsprofessorin zu Züslis Onlinepranger wäre deshalb relevant, ebenso wäre es interessant zu erfahren, auf welche Rechtsgrundlage sich der Stadtpräsi eigentlich beruft, um Geldmittel des Souveräns für die unausgegorene Juso-Idee einer Volkspolizei in den Sand zu setzen.
Besten Dank.
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