Betrugsverdacht: Zuger Rohstoffhändler in Schwierigkeiten
Deutsche Strafverfolger ermitteln gegen eine Firma aus Zug, die Schweizer Finanzmarktaufsicht droht mit sechsstelligen Bussen. Die Geschichte eines Börsengangs, den es nie gegeben hat.
Ein bärtiger Mann stösst die Tür auf, brummt ein «Grüezi» und schlurft zu einem der Briefkästen, die rechts und links vom Eingang Spalier stehen. Sie scheinen das Wichtigste am ganzen Haus zu sein; wer sich mit Briefkastenfirmen auf dem Platz Zug beschäftigt, wird eher früher als später vor dem grauen Gebäude am Stadtrand stehen.
Über 160 Firmen haben hier ihren Sitz, bis vor Kurzem auch eine Gesellschaft, deren Anschrift man heute vergebens sucht: Swiss International Commodity AG (SIC AG). Einst eine Cateringfirma, später ein Rohstoffhändler und seit August 2022 mit dem Zusatz «in Liquidation» im Handelsregister geführt. Der Staat hat die Gesellschaft aufgelöst, weil sie keinen Verwaltungsrat mehr gestellt hat.
Firma nahm Geld ohne Bewilligung entgegen
Der Eintrag stammt vom 29. August und ist für Zuger Verhältnisse so aussergewöhnlich wie das Gipfeli zum Kaffee. Das aber gilt nicht für die Notiz, die das Amt wenige Monate davor vermerkt hat: «Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma hat mit superprovisorischer Verfügung vom 26. April 2022 Grossenbacher Rechtsanwälte AG […] als Untersuchungsbeauftragte eingesetzt.» Heisst: Die Aufsichtsbehörde Finma, zuständig für Bewilligungen, Überwachung und Sanktionen im Schweizer Finanzmarkt, hat eine Anwaltskanzlei beauftragt, die untersuchen sollte, ob die Firma unerlaubte Dinge getan hat.
«Als potenzieller Investor […] investieren Sie in Projekte, die bereits erfolgreich angelaufen sind, sich in einer starken Wachstumsphase befinden und die mit dem Engagement jedes neuen Investors weiterhin kräftig Fahrt aufnehmen werden.»
Website der SIC AG im Oktober 2021
Das hat sie, wie die mittlerweile abgeschlossene Untersuchung gezeigt hat. Das Unternehmen hat ohne Bewilligung Kundengelder angenommen und damit das Aufsichtsrecht schwer verletzt. Und: Die Finma droht drei Personen aus dem Umfeld der SIC AG mit einer Busse über 100’000 Franken, sollten sie je wieder ohne Bewilligung auf dem Schweizer Finanzmarkt tätig werden.
Ehemaliger Verwaltungsratspräsident für die Behörden verschwunden
Das geht aus einer Verfügung hervor, welche die Finma unlängst im Bundesblatt veröffentlicht hat, dem Pendant zu den kantonalen Amtsblättern. Eine der drei Personen wurde namentlich genannt, da die Behörde nicht weiss, wo sie sich aufhält: der ehemalige Verwaltungsratspräsident und letzte Verwaltungsrat der SIC AG, ein 41-jähriger Türke, den die Behörden zuletzt in seinem Heimatland vermutet haben.
«Aktuell avisieren und akquirieren wir vor Ort Tankstellen und ganze Tankstellenketten in der Türkei.»
Website der SIC AG im Oktober 2021
Die Verbindung in die Türkei ist kein Zufall, sondern charakteristisch für die Geschichte der Swiss International Commodity AG: Das Unternehmen betrieb gemäss Eigenangaben Dutzende Tankstellen in der Türkei; für seine Expansion suchte es Investorinnen und Investoren. «Aktuell avisieren und akquirieren wir vor Ort Tankstellen und ganze Tankstellenketten in der Türkei», hiess es im Oktober 2021 auf der Website der Firma. Und: «Als potenzieller Investor […] investieren Sie in Projekte, die bereits erfolgreich angelaufen sind, sich in einer starken Wachstumsphase befinden und die mit dem Engagement jedes neuen Investors weiterhin kräftig Fahrt aufnehmen werden.»
Börsengang geplatzt, Anwalt fürchtete Millionenschaden
Nur: Zwei Monate später stoppte die Fahrt abrupt. Ende 2021 teilte die Firma mit, der geplante Börsengang könne nun doch nicht stattfinden. Zu viele «grundlegende Parameter» hätten sich geändert; unter diesen Umständen wäre es zu früh für den nächsten Expansionsschritt. Wenig später wurden angebliche Kaufabsichten einer Konkurrentin bekannt. Daraufhin häuften sich die Meldungen von Anlegern, die Fragen zum Verkauf stellen wollten, bei der SIC AG niemanden erreichten – und fürchteten, ihr Geld nicht wiederzusehen.
Im Internet finden sich zahlreiche Meldungen zur SIC AG, nebst Anwaltskanzleien, Verbraucherschutzportalen und der Finma haben auch die Finanzmarktbehörden Deutschlands und Österreichs vor der Zuger Gesellschaft gewarnt. Gegenüber der «Zuger Zeitung» schilderte ein Anwalt aus Deutschland ein Geschäftsmodell, das darin bestand, per Telefonverkauf und Kaltakquise Investorinnen zu suchen und ihnen gute Konditionen beim Kauf von Aktien zu versprechen, bevor diese an der Börse gehandelt würden. Laut dem Bericht war die Aktie für einen Franken zu haben, die bei Handelsstart zwischen drei und fünf Franken kosten sollte: «Den gesamten Schaden können wir nicht beziffern, aber er dürfte in die Millionen gehen», sagte der Anwalt gegenüber der Zeitung.
Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt wegen Betrugsverdachts
Ob die Vorwürfe stimmen, kann nicht abschliessend gesagt werden, ebenso wenig, was genau es mit der Untersuchung der Finma auf sich hatte. Auf Anfrage macht die Aufsichtsbehörde keine weiteren Angaben.
Jedoch: Nebst der Verwaltung sind auch die Strafverfolgungsbehörden involviert. Nachdem die Zuger Staatsanwaltschaft im Frühling 2022 ein Verfahren an die Staatsanwaltschaft im bayrischen Ingolstadt abgetreten hatte, ist jetzt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main mit der Sache betraut. «Gegenstand des Verfahrens sind Betrugsvorwürfe», heisst es auf Anfrage von einem Sprecher aus der deutschen Bankenmetropole. Weitere Fragen, etwa zur Höhe des vermuteten Schadens oder ob Schweizer Behörden per Rechtshilfeersuchen beigezogen wurden, beantwortet die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht.
«Ich habe niemals nur den kleinsten Verdacht gehabt, dass die Firma unlautere Methoden angewendet hätte. Wäre das der Fall gewesen, wäre ich sofort zurückgetreten.»
Ehemaliger Verwaltungsrat der SIC AG
Derweil heisst es von einem ehemaligen Verwaltungsrat, er habe niemals «nur den kleinsten Verdacht gehabt», dass die Firma unlautere Methoden anwende. Wäre das der Fall gewesen, wäre er «sofort» zurückgetreten, so der Mann, der seinen Namen im Zusammenhang mit der SIC AG nicht öffentlich nennen will. Und weiter: «Aus den bisherigen Informationen und Berichten konnte ich entnehmen, dass die Eingänge wie auch die Ausgänge, welche hier Anlass zu einem Verdacht geben, erst nach meinem Austritt geschehen sind.»
Die letzten Verbliebenen schweigen
Sollte es tatsächlich zu unsauberen Zahlungen gekommen sein, «so wäre die Verantwortung bei den Personen zu suchen, die nach mir im Verwaltungsrat Einsitz hatten».
Nebst dem ehemaligen Verwaltungsratspräsidenten waren das mitunter zwei Männer mit Wohnsitz in der Schweiz. Beide liessen Anfragen von zentralplus auf mehreren Kanälen unbeantwortet. Auch vom türkischen Verwaltungsratspräsidenten ist nichts zu hören. Ein Brief an den ehemaligen Sitz der SIC AG wird nicht beantwortet, eine E-Mail an die Firmenadresse kommt nicht an. Und Nachrichten an zwei Facebook-Profile, die auf den Namen des Mannes lauten, bleiben unerwidert.
Indes steht fest: Die Verfügung der Finma ist nicht rechtskräftig, die Betroffenen können bis Ende Dezember Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen erheben. Ob sie das tun? Je länger man sich mit der SIC AG beschäftigt, desto mehr drängt sich der Eindruck auf: Den Verantwortlichen könnte nichts lieber sein, als wenn die Sache möglichst bald vergessen würde.
- Finma-Verfügung vom 21. November 2023
- Augenschein vor Ort am ehemaligen Firmensitz der SIC AG
- Angaben aus dem Zuger Handelsregister
- Website der SIC AG (Archivversion)
- Artikel in der «Zuger Zeitung»
- Warnungen zur SIC AG (hier, hier und hier)
- Schriftlicher Austausch mit der Finma-Medienstelle
- Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main
- Schriftlicher Austausch mit ehemaligem Verwaltungsratsmitglied der SIC AG
- Mehrere unbeantwortete Anfragen an weitere ehemalige Verwaltungsratsmitglieder