Über die Macht von Schlüsseln

Schlüssel weg: So vagabundiert es sich in Luzern

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

In einer durchzechten Nacht liess Gesellschaft-Redaktorin Isabelle Dahinden ihren Schlüsselbund liegen – und stand vier Tage vor statt in ihrer Wohnung. Ihre neueste Kolumne.

Wohnungslos bin ich nicht. Ich will nicht jammern. Aber schlüssellos bin ich. Mein Schlüsselbund hängt's gerade. In der Garderobe eines Nachtclubs.

Mea culpa, Asche auf mein Haupt. Drei Jahrzehnte Lebenszeit sind nicht genug, das Leben im Griff zu haben. Alles fing an mit einer durchzechten Nacht. Und Unmengen von Gin. Wirklich viel von dieser Nacht weiss ich nicht mehr.

Am nächsten Morgen auf dem Sofa meines Kumpels realisieren wir allmählich, was alles nicht mehr da ist. Mein Handy: weg. Seine Uhr: nicht mehr an seinem Handgelenk. Meine Tasche: verschollen. Inklusive Hausschlüssel, der darin verstaut ist. Sein Portemonnaie: von dannen. Unsere beiden Jacken: unauffindbar. Seine Handkette: irgendwo, nur nicht hier. Jänu: Dumm gelaufen, dafür war es geil.

Unglücklich ist die Sache mit dem Schlüssel. Denn die beiden Ersatzschlüssel liegen in der Wohnung, in die ich nicht mehr komme.

Schlüssellos – Tag 1

Ärgern tu ich mich nicht. Dem zirkulierenden Restgin in meinen Blutbahnen und den versoffenen Hirnsynapsen sei Dank. Ändern kann ich eh nichts. Zudem sollte der Schlüssel nicht verloren sein – sondern in der abgegebenen Tasche in der Garderobe des Technokellers vor sich hin vegetieren.

Stunden später kriege ich das zurück, worauf ich am meisten verzichten könnte: mein Handy. Ein mir unbekannter Typ aus dem Würzenbach hat es bei sich, die Frage nach dem Warum stelle ich mir nach dieser Nacht gar nicht mehr. Immerhin kann ich meine Eltern ansimsen, ob sie ein freies Bett für mich haben.

Der Bus kutschiert mich ins traute Heim nach «Nüderef». Der Geruch von Kühen strömt durchs verlotterte Busfenster, ein mittelschwerer Schwindel überfällt mich. Was, wenn Schlüssel und Tasche gar nicht in der Garderobe sind? Wurden wir etwa überfallen und waren schlicht zu betrunken, das zu raffen? Wundern würde mich gar nichts mehr.

Schlüssellos – Tag 2

Innerlich gefestigt starte ich in den Tag. Mit meinem Ausgangstäschli – bepackt mit ID, Bankkarte, Pfefferminzkaugummis, Handy und rotem Lippenstift – stolziere ich zur Redaktion.

Meine Nacht spricht sich schnell herum. War ja auch lustig. Doch meine Stimmung kippt schnell. Nur drei Telefonate und einen mental breakdown später heule ich leise vor mich hin. Die Verwaltung hat keinen Ersatzschlüssel, bis Ende Woche ist wohl niemand im Nachtclub. Der Schlüssel bleibt, wo er ist.

Auf der Redaktion bombardiert man mich zu: Ob ich einen Schlafsack brauche? Eine Couch zum Pennen? Frische Kleidung? Ob das nicht Nötigung sei, mir den Schlüssel nicht auszuhändigen?

Nach Feierabend decke ich mich mit Zahnbürste, Deo, Wimperntusche und frischer Unterwäsche ein – völlig runtermarkten muss ich mich selbst ja nicht. Abends penne ich bei einer Freundin – eine Flasche Rotwein im Tausch gegen die Couch für eine Nacht.

Schlüssellos – Tag 3

Tag 3 ohne Schlüssel – ich wechsle das Hintergrundbild meines Handys aus. «Que sera, sera.» Was sein wird, wird sein. Mental verabschiede ich mich von meinen Pflanzen, die den Dursttot erleiden. Oder sie sind schon längst versoffen, weil ich den Wasserhahn nicht zugedreht habe. Oder verbrannt. Weil bestimmt noch eine Herdplatte nicht abgeschaltet war.

In den Technobunker darf ich noch immer nicht. Ob die Tasche und der Schlüssel da ist, weiss ich immer noch nicht. Jänu. Que sera, sera. Abends stehe ich wieder auf der Matte bei meinen Eltern. Immerhin ist hier noch alles beim Alten – selbst die pinken Wände in meinem früheren Zimmer. Und ich durfte mir zum Trost bei meiner Mutter ein Menü wünschen – Polenta mit Gemüse.

Schlüssellos – Tag 4

Am Tag 4 plagen mich die philosophischen Fragen. Wahnsinnig, wie viel Macht so ein Schlüssel hat. Er öffnet Türen, wenn du ihn hast – und verwehrt dir Zugang, wenn nicht.

Mein Herz klopft wohl noch nie so schnell wie am Nachmittag des 1. Februars. Endlich öffnet man uns mit einem Schlüssel die Tür des Nachtclubs, endlich steigen wir in den Keller runter. Und in der Garderobe war tatsächlich noch alles da. Mit dem Bund Macht in meiner Hand marschiere ich los. Nichts bleibt mir verwehrt.

Zumindest eine Woche lang. Denn exakt eine Woche später stehe ich wieder schlüssellos vor meiner Wohnungstür. Diesmal dauerte meine Odyssee aber nur eine Stunde. Ich liess den Schlüssel im Büro liegen.

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