Das klösterliche Leben befindet sich im Umbruch. Die Luzerner Kapuziner passen sich der Zeit an. Innerhalb der Klostermauern ticken die Uhren aber noch immer ganz anders. zentral+ hat sich 24 Stunden lang die Mönchskutte übergeworfen.
Montagmorgen in der Stadt Luzern. Rush Hour. Der Bus Richtung Wesemlin ist rammelvoll. Lehrlinge auf dem Weg in die Berufsschule, es geht lebhaft zu und her. Langsam schlängelt sich der Bus die kurvige und steile Dreilindenstrasse hinauf. Nach und nach steigen die Fahrgäste aus. Er ist schon vor der Haltestelle «Kloster» leer.
Mönche inkognito
Inzwischen ist es kurz nach acht. Eine moderne Fernsprechanlage macht der alten Türglocke über der Klosterpforte Konkurrenz. Bruder Paul, der Pförtner, öffnet die schwere Holztür und streckt seine Hand entgegen. «Hallo. Ich bin Bruder Paul. Kommen Sie nur rein.» Überraschenderweise trägt er nicht die braune Kutte mit der typischen Kapuze, die der Gemeinschaft Ihren Namen gab, sondern ganz normale Alltagskleidung.
Im Sitzungszimmer riecht es nach frischer Farbe und neuen Teppichen. Auf der alten Holzkommode stehen Blumen. Der Hausobere Thomas Egger ist als Guardian Chef des Klosters und der Bruderschaft. Auch er trägt kein Ordensgewand. Ein jüngerer Mitbruder wird später erzählen, dass die Älteren einst für eine liberalere Kleiderordnung gekämpft haben.
Am Pfingstsonntag Abend im Jahre 1531 soll Mauritz von Mettenwyl, Ratsherr und Spitalmeister der Stadt Luzern, bei der zerstörten Kapelle auf dem Wesemlin Maria erschienen sein.
Daraufhin schenkte der Luzerner Patrizier und Ratsherr Kaspar Pfyffer den Kapuzinern sein Grundstück auf dem Wesemlin zur Errichtung des Klosters. Zudem übernahm er die Kosten für den 1584 begonnenen Bau der Klosterkirche.
Aus dieser Zeit stammen noch die Kirche, die Pforte und der Kreuzgang. Das ursprünglich niedrige, einstöckige Kloster wurde im Verlaufe der Jahrhunderte immer wieder aus- und umgebaut. Das Kapuzinerkloster Luzern befindet sich ausserhalb der Stadt, oben auf dem Wesemlinhügel.
Ein Kloster für die Zukunft
Draussen auf dem provisorischen Parkplatz herrscht ein reges Kommen und Gehen von Bauarbeitern und Handwerkern. Seit Sommer 2013 wird das 400-jährige Wesemlin-Kloster saniert und unter dem Label «Oase-W» fit für die Zukunft gemacht. Das Kloster will sich öffnen, ein Ort der Begegnung sein, klosternahes Wohnen anbieten und die weitläufige Gartenanlage der Öffentlichkeit zugänglich machen (zentral+ berichtete).
Wer als Besucher eine enge karge Zelle erwartet, wird enttäuscht. Zur grossen Überraschung haben die hellen und geräumigen Zimmer alle ein modernes eigenes Bad. Die Möblierung ist einfach, aber zweckmässig. Auf dem Schreibtisch liegt keine Bibel, sondern weisse Frotteewäsche bereit. «Herzlich willkommen.»
Die Hausführung nimmt einige Zeit in Anspruch. Die alten Gemäuer sind weitläufig und verwinkelt – und die Gänge leer. Es ist ruhig. Ab und zu durchdringen leise Geräusche die Stille. Hektik ist ein Fremdwort, hier nimmt man’s gemütlich. In einer Ecke steht ein Rollator.
Gemeinschaft ist überaltert
Aus noch lediglich 18 Brüdern besteht die Gemeinschaft. Das Durchschnittsalter beträgt rund 75 Jahre. «Wir sind alle im Unruhestand», meint Guardian Thomas Egger freundlich lächelnd. Bruder Octavian macht auch noch mit seinen 88 Jahren das Tagesprogramm mit.
«Stereo ist es etwas abwechslungsreicher.»
Ein Bruder über die Art und Weise des Betens
Im Refektorium tischt Bruder Meinhard gerade für das Mittagessen auf. «Der Speisesaal ist das Herz des Hauses, hier kommt die ganze Gemeinschaft zusammen.» Zwei Mitbrüder bereiten die Mahlzeit vor. Die moderne Grossküche will irgendwie nicht so recht zur familiären Atmosphäre passen. Um die überalterte Gemeinschaft zu entlasten, hat man für die Essenszubereitung einen Koch engagiert. Der hat aber gerade Urlaub, weshalb sich die älteren Herren selbst helfen. Es gibt Salat, Käsetoast und Risotto.
Mono und Stereo
Um viertel vor zwölf wird zum Mittagsgebet im Chor gerufen. Ein Knick vor dem Altarbildnis und schon sitzt man mit zwei Gebetsbüchern in der Hand auf der modernen Holzbank. Monoton murmeln sich die Mönche abwechselnd die Strophen zu. «Stereo ist es etwas abwechslungsreicher», erklärt ein Bruder schmunzelnd. Lesung, erneutes Beten, dann läutet ein Bruder zu Mittag. Mit ruhiger Hand zieht er fest am Glockenseil.
Pünktlich um zwölf gibt’s Essen. Noch kurz eine Einführung in die Tischrituale. «Ich gebe Ihnen eine kurze Regieanweisung», lacht Bruder Josef. Auf das Tischgebet folgt eine kurze Vorstellungsrunde. Neugierige Blicke. Da ein Lächeln, dort ein Nicken. «Grüezi.» Nach und nach schreiten die Mönche zum Buffet. Jeder bedient sich selbst, man ist unkompliziert.
«Wir müssen diese alten Gemäuer mit neuem Leben füllen.»
Bruder Fridolin, Leiter der Spendenkampangne
Stumme und andächtige Nahrungsaufnahme? Die Stimmung am Tisch ist locker. Die Gemeinschaft wirkt verschworen, aber nicht verschlossen. Man möchte wissen, wer und woher der Gast ist. Nicht alle scheinen weltlichen Besuch schon gewohnt.
Nachwuchs ist weltoffen
Beim anschliessenden Kaffee mit Kuchen erzählt der erst 30-jährige Bruder Marc von seinem kürzlich beendeten Noviziat. Bruder George aus Indien, der an der Universität Luzern Kulturwissenschaften studiert, von seiner Fahrprüfung. Bruder Fridolin von seiner Aufgabe als Fundraiser im Mönchsgewand.
Der ehemalige Wirtschaftsförderer der Stadt Luzern führt am Nachmittag zwei Spender durch die zahlreichen Baustellen, die den Westflügel des Klosters derzeit noch im Griff haben. «Wir müssen diese alten Gemäuer wiederbeleben, mit neuem Inhalt füllen. Nur so hat das Kloster hier eine Zukunft», erklärt er. Im Garten spielen Kinder der Krippe, die in der ehemaligen Klosterschreinerei untergebracht ist.
Ein anderer Rhythmus
Um viertel vor fünf rufen die «Engel des Herrn». Man trifft sich im Gebetsraum oder der Kapelle. Meditation ist angesagt, jeder für sich. Die Stille lädt zur Besinnung ein. Eine halbe Stunde später löst sich die Ruhe auf. Für die Vesper, das kirchliche Abendgebet, werden Psalmen mit abendlichen Motiven gelesen. Laien mag der Sinn der ganzen Beterei irgendwie schleierhaft bleiben, beruhigend wirkt die Monotonie aber allemal. Die Zeit tritt in den Hintergrund. Hier tickt man anders.
«Eine warme Mahlzeit wird sehr geschätzt.»
Bruder Marc, Leiter der Suppenstube
Der Bettelorden verzichtet konsequent auf Luxus. Und setzt sich auch heute noch für die Armen ein. Angrenzend an die Klosterküche befindet sich die Suppenstube. Obdachlose und Randständige erhalten hier zweimal am Tag eine warme Mahlzeit. «Das wird sehr geschätzt», sagt der zuständige Bruder Marc. Künftig wolle man auch eine Notschlafstelle anbieten.
Nach dem Nachtessen wird’s im Kloster jeweils schnell ruhig. Die Mönche ziehen sich in ihre Zimmer zurück. Im Fernseh-Raum läuft die Tagesschau.
Nach dem Gebet ist vor dem Gebet
Dienstagmorgen, kurz nach sechs. Die Nacht war so still wie der Tag. Auf die Meditation folgt die heilige Messe. Obwohl es noch nicht einmal sieben Uhr ist, sind doch schon ein paar Fromme in die Kirche gekommen. Die hinteren Reihen sind leer.
Morgenessen, Abschied, Auschecken. Die Zeit vergeht auch im Kloster schnell. Durch die Klosterpforte dringt der Alltag. So richtig will einem die Ruhe des Ortes nicht loslassen. Vom Wesemlin-Hügel führt der alte Kapuzinerweg hinunter zur Hofkirche. Bildstöcklein säumen die idyllische Route. Ab und zu nochmal die schöne Aussicht geniessen. Kurz innehalten. Weitergehen. Hinab durch den alten Friedhof hinter der Hofkirche – mitten in den pulsierenden städtischen Morgenverkehr.
Mehr Bilder vom Kapuzinerkloster Wesemlin finden Sie hier in unserer Slideshow:
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