Unfallursache Nummer eins

So kontrolliert die Zuger Polizei Ablenkungen im Verkehr

Eine Polizistin weist einen Autofahrer auf die Gefahr von Ablenkungen im Strassenverkehr hin. (Bild: ewi)

Ablenkungen und Unachtsamkeiten sind die häufigste Unfallursache im Schweizer Strassenverkehr. Mit einer spezifischen Kampagne will die Zuger Polizei auf das Problem aufmerksam machen. zentralplus war beim Einsatz mit dabei.

«Ablenkung», «Fokus auf die Strasse» und «Aufmerksamkeit» steht in dicken Lettern auf Plakaten am Rand der Artherstrasse bei Oberwil geschrieben. Gestaltet wie ein Sehtest, sieht die Plakatreihe auf den ersten Blick aus wie die Werbekampagne eines Brillengeschäfts. Auf den zweiten Blick hingegen ...

... ein zweites Mal sollte man gar nicht hinschauen. Das ist die Botschaft der Zuger Polizei, die für diese Plakate verantwortlich ist. Sie will damit auf das Thema Ablenkungen und Unachtsamkeiten im Strassenverkehr aufmerksam machen. So steht gleich hinter den Plakaten – etwas versteckt hinter einer Hecke – ein Polizist, der die vorbeifahrenden Autofahrerinnen beobachtet und kontrolliert, ob diese durch die Plakate, das Panorama über den Zugersee, das Handy oder irgendeine andere Quelle abgelenkt werden.

Abgelenkt? Die Zuger Polizei macht mit Plakaten darauf aufmerksam, wie schnell man unaufmerksam wird. (Bild: ewi)

Falls der Lenker unaufmerksam wirkt, winkt ihn die Polizei dreihundert Meter weiter hinten aus dem Verkehr. Dort marschieren zwei Polizisten zum Auto, stellen sich vor und verlangen den Fahrausweis sowie den Fahrzeugausweis. Für die Person im Auto muss dies jedoch kein Grund sein, schlottrige Knie zu kriegen. Denn der Zuger Polizei geht es an diesem Nachmittag nicht ums Verteilen von Bussen, sondern um die Sensibilisierung.

60 Verkehrstote pro Jahr wegen Ablenkungen

«Uns geht es mit dieser Kampagne um die Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer. Wir wollen auf das Thema aufmerksam machen», sagt Remo Zemp, Leiter Prävention bei der Zuger Polizei. Denn Ablenkung und Unaufmerksamkeit sind in der Schweiz die Unfallursache Nummer eins. 

Die Konsequenzen sind gravierend: Gemäss Beratungsstelle für Unfallverhütung (Bfu) sterben auf Schweizer Strassen jährlich 60 Personen aufgrund einer Ablenkung oder einer Unaufmerksamkeit. Weitere 1’100 Schwerverletzte ergänzen diese traurige Statistik.

«Als Familienvater weiss ich aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, den Fokus auf der Strasse zu halten, wenn auf der Rückbank zwei Kinder sitzen.»

Remo Zemp, Leiter Prävention Zuger Polizei

Remo Zemp erklärt, wie schnell das gehen kann: «Man kann alles richtig machen und vorschriftsgemäss unterwegs sein – doch nur schon ein Plakat oder ein Anruf können für Ablenkung sorgen und so verheerende Auswirkungen haben.» Diese Herausforderung kennt der Polizist zu gut: «Als Familienvater weiss ich aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, den Fokus auf der Strasse zu halten, wenn auf der Rückbank zwei Kinder sitzen.»

Darum sei die Verkehrskontrolle als Präventionsmassnahme gedacht. Und wie sich an diesem Nachmittag zeigt, haben die meisten Autofahrerinnen Verständnis für das Anliegen der Polizei: «Viele haben im ersten Moment Angst, dass sie etwas falsch gemacht haben. Wenn wir Ihnen dann erklären, dass es uns nicht ums Büssen, sondern um die Sensibilisierung geht, sind viele offen für einen Dialog.» In diesem Gespräch weisen Zemp und seine Kollegen auf die verschiedenen Ablenkungsgefahren im Verkehr hin.

Remo Zemp im Gespräch mit einem unachtsamen Autofahrer. (Bild: ewi)

Diese sind äusserst divers und betreffen nicht nur das Benutzen des Handys, auch wenn diese Ablenkung am einfachsten zu kontrollieren sei, wie Zemp sagt. Das Navi, das Autoradio, die Aussicht, oder seit einigen Monaten der Griff nach einer Hygienemaske – all das erhöht das Unfallrisiko. Besonders das Greifen nach Gegenständen im Auto ist gefährlich: Das Unfallrisiko wird durch die Suche und den Griff nach einem Gegenstand gemäss Bfu verneunfacht!

Steuerungshilfe – keine Hilfe?

Bei den Ablenkungen handelt es sich nicht um ein neues Thema im Strassenverkehr. «Das Thema an sich ist seit vielen Jahren ein Dauerbrenner, aber die Ablenkungsursachen haben sich in den letzten Jahren verändert», sagt Zemp. Darum sei er auch ein wenig skeptisch gegenüber all den technischen Entwicklungen, die den Strassenverkehr sicherer machen sollen. Denn wer zwar eine Steuerungshilfe oder einen Tempomat hat, aber nicht wisse, wie man diesen bediene und sich darum plötzlich darauf konzentriert, ist auch schon wieder abgelenkt.

So ist auch die Verkehrskontrolle der Polizei etwas paradox. Ein älterer Mann wurde durch die Kontrolle so nervös, dass er prompt seinen Fahrausweis nicht mehr fand. Nach längerer Suche tauchte dieser dann doch noch auf. Aber Zemp weist auf die Problematik hin: «Wäre er nun weiter gefahren, hätte er sich bestimmt den Kopf darüber zerbrochen, wo der Ausweis steckt – anstatt auf die Strasse zu schauen.»

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