Zöliakie

Erste Luzerner Speisekarte für Gluten-Allergiker

Das Restaurant Hof des Hotels Waldstätterhof neben dem Bahnhof Luzern: V.l. Chef de Service Charles Perrey, der stellvertretende Küchenchef Kay Kriester und Susanne Graber-Ulrich. (Bild: Marc Benedetti)

Menschen, die an Zöliakie leiden, sind in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt. In Luzern gibt es jetzt ein Restaurant, in dem sich die Betroffenen durch eine glutenfreie Speisekarte durchschlemmen können. Ermöglicht hat das die Direktorin des Hotels Waldstätterhof, Susanne Graber-Ulrich. Sie ist selber eine Betroffene.

Ein Prozent der Bevölkerung oder 79’000 Personen in der Schweiz leiden an Zöliakie. Sie entwickeln beim Konsum von Gluten chronische Entzündungen im Dünndarm. Gluten ist ein Protein, das in Getreidegattungen wie Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel vorkommt. Die einzige bisher bekannte «Therapie» ist der konsequente Verzicht auf alle Getreideprodukte. Also beispielsweise kein Brot, kein Gebäck, keine Pasta oder kein Bier. Die Diagnose bedeutet für Betroffenen eine grosse Einschränkung ihrer Lebensqualität.

Für das Kochen zuhause finden sie mittlerweile viele Ersatzprodukte: Brot oder Nudeln aus Mais- oder Reismehl, glutenfreie Bouillon, Guetzli oder Haferflocken und sogar Bier, dem das Gluten entzogen wurde. Die Spezial-Erzeugnisse sind allerdings wegen der aufwendigen Produktion und der kleinen Mengen oft doppelt so teuer wie normale Produkte.

Unsicherheit isst mit

Das Auswärtsessen ist für die Betroffenen komplizierter. Manche Restaurants führen zwar inzwischen ein paar glutenfreie Gerichte auf der Karte. Doch Gluten versteckt sich auch an Orten, wo man es nicht vermutet: in Salatsaucen, Suppen und sogar in gewissen Glaces. So müssen Betroffene sich die Informationen erfragen und fühlen sich doch nicht vollkommen sicher.

Jetzt geht eine Gaststätte weiter als andere und schafft in Luzern eine «Oase» für alle Zöliakie-Betroffenen. Zentral gelegen, direkt neben dem Bahnhof, können diese sich ohne Angst durch die ganze Speisekarte schlemmen. Im Restaurant Hof des Hotels Waldstätterhof an der Zentralstrasse 4 finden sie seit Mitte Juni das weitherum grösste Angebot an glutenfreien Gerichten.

«Wir bieten bis auf zwei Ausnahmen alle normalen Gerichte auch glutenfrei an», erklärt Susanne Graber-Ulrich. Sie führt mit ihrem Mann Patric das Hotel Waldstätterhof und das öffentliche Restaurant Hof. An diesem Tag gibts zum Beispiel Gurkencrèmesuppe als Vorspeise sowie ein Fleisch-, ein Vegi- und ein Fischmenü. Auch bei den Beilagen wie Rösti, Kartoffelstock, Reiskroketten können die Zöliakie-Betroffenen bedenkenlos zuschlagen.

Beim Salatbuffet ebenso. «Wir machen die Saucen selber, und es gibt keine Salate mit Gluten wie zum Beispiel Nudelsalat», sagt die Direktorin. Auch beim Tagesdessert, einem hausgemachten Erdbeerparfait mit Schoko-Physalis, braucht der Zöliakie-Gast nicht zu verzichten. Im Restaurant Hof gibt es sogar Wienerschnitzel – mit einer Panade aus glutenfreien Brotbröseln.

Selber betroffen und gut informiert

Es ist kein Zufall, dass gerade Susanne Graber-Ulrich auf eine glutefreie Karte setzt: Sie leidet selber an Zöliakie. «Ich habe im November eine Zöliakie-Diagnose erhalten und weiss aus eigener Erfahrung, wie mühsam es sein kann, wenn wir auswärts essen gehen wollen. Man muss immer Angst haben. Wenn man doch Gluten erwischt, braucht der Körper lange, um sich wieder davon zu erholen.»

Die Umsetzung dieses Konzepts hat rund ein halbes Jahr gedauert, erklärt die Chefin. Zuerst durchlief das Personal von Küche und Service eine intensive Schulung bei einer Ernährungsberaterin.

«Wir waren sehr erstaunt, wo überall Gluten drin ist», sagt der stellvertretende Küchenchef Kay Kriester. Am meisten überraschte ihn Gluten in Smarties, Schleckstengeln, Frucht- und Schokoladensaucen, aber auch in Würzsaucen wie Maggi, Worcester und in manchen Sojasaucen; in letzteren würde Weizen zugesetzt, weil er günstiger sei als Soja.

Der deutsche Koch hat Feuer gefangen für das Thema und ist in der Küche verantwortlich für die glutenfreien Speisen. Der neue Aufgabenbereich ist selbst für einen erfahrenen Koch wie Kriester eine Herausforderung. Denn es darf in der Küche unter keinen Umständen zu Verwechslungen mit gluthaltigen Speisen kommen. «Im ganzen Prozess von der Bestellung bis zum Gast muss man aufmerksam sein», sagt er. Dafür gibt es nun einen Schrank für die Spezialprodukte sowie separate Küchengeräte und eine eigene Fritteuse.

Was auf der Karte mit Leichtigkeit daherkommt, benötigte eine intensive Vorarbeit. Bevor das Angebot im Juni eingeführt wurde, haben  Susanne Graber-Ulrich und ihr stellvertretender Küchenchef Tests durchgeführt. Graber: «Wir haben zum Beispiel Spätzli aus glutenfreiem Mehl hergestellt. Sie schmeckten den Gästen und sie merkten keinen Unterschied.»

Ein Problem bei glutenfreiem Mehl ist die weniger starke Konsistenz. Das Gluten, auch Klebereiweiss genannt, hat neben seinen problematischen eben auch nützliche Seiten: Es bindet die Mehlteile zusammen. Fehlt Gluten, fehlt die Bindung. «Einen glutenfreien Blätterteig haben wir deshalb noch nicht hingekriegt», sagt Graber.

Restaurants sensibilisiert auf Problem

Betroffene Menschen in der Region freuen sich über das neue Angebot. Die Luzernerin Silvana Haag hat vor 24 Jahren die Diagnose Zöliakie erhalten. «Ich muss das Angebot unbedingt ausprobieren», sagt sie. Andere Restaurants machten aber auch Fortschritte, fügt sie hinzu. «Unsere Lobbyarbeit zeigt langsam Wirkung. Manchen Köchen muss man aber immer noch deutlich sagen, dass Zöliakie zu Unterernährung führt und lebensbedrohend ist.»

Silvana Haag leitete früher die Regionalgruppe Luzern/Innerschweiz der Patientenorganisation IG Zöliakie. Die Mitglieder tauschten vor allem Erfahrungen und Tipps untereinander aus. Inzwischen ist die Gruppe inaktiv. Haag: «Es gibt heute viel mehr Produkte und Beratungsangebote, sodass es uns weniger braucht.» Sehr aktiv sei immer noch die Kindergruppe «Zölikids». «Kinder mit Zöliakie setzen sich schon früh mit den Lebensmitteln auseinander und lernen den Alltag mit ihrer Essensvorgabe zu meistern.»

In der IG Zöliakie der deutschen Schweiz haben sich Betroffene organisiert. Die IG wächst permanent: Hatte sie 1995 600 Mitglieder, kletterte die Zahl in den letzen Jahren kontinuierlich an und beträgt aktuell 3700 Mitglieder. Dazu kommen 1200 Mitglieder in der Romandie und 500 im Tessin.

Die IG Zöliakie ist Lizenzgeberin für das Glutenfrei-Symbol, eine durchgestrichene rote Ähre im Kreis, die glutenfreie Produkte kennzeichnet. Ausserdem hat sie eine Art Gastronomie-Logo geschaffen. Restaurants können der IG Zöliakie beitreten und verpflichten sich zur Einhaltung bestimmter Grundsätze.

In Luzern ist die Trattoria Della Nonna an der Spitalstrasse 21 bereits Mitglied – sie bietet laut Allergikern die beste glutenfreie Pizza in der Stadt an. Weitere Mitglieder sind das Restaurant Nix in der Laterne am Reusssteg 9 und seit kurzem die Stiftung Café Sowieso am Wesemlinrain 3a. Das Restaurant Hof des Hotels Waldstätterhof ist ebenfalls frisch beigetreten.

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