Luzerns verpasste Chance im Fall Villiger

«Der Regierungsrat denkt, er könne es aussitzen»

Licht und Schatten fallen derzeit auf Zugs Sicherheitsdirektor Beat Villiger.

(Bild: woz)

Regierung und Parlament des Kantons Luzern wollen den Fall um den Zuger Regierungsrat Beat Villiger ruhen lassen. Doch Fachpersonen orten ein grundsätzliches Problem.

«Im vorliegenden Fall hat die Fachaufsicht ordnungsgemäss und rechtsstaatlich korrekt funktioniert», schreibt der Luzerner Regierungsrat in seiner Antwort auf ein SP-Postulat, welches im Fall Villiger eine externe Untersuchung verlangt hatte.

«Das Fachaufsichtssystem ist vollständig, weist keine Lücken auf und bedarf auch keiner Ergänzung. Eine externe Einzelfallüberprüfung ist im gesamten Justizwesen systemwidrig und verletzt die Gewaltenteilung.» SP-Kantonsrat David Roth hatte in seinem Vorstoss geschrieben: «Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung, umso wichtiger ist, dass sämtliche Zweifel ausgeräumt werden.» Der Luzerner Kantonsrat lehnte – ganz im Sinne der Regierung –  den Vorschlag der SP vor Kurzem deutlich ab (zentralplus berichtete).

Die Machtkonzentration bei der Staatsanwaltschaft

Strafrechtsprofessor Andreas Eicker von der Universität Luzern stützt die Sicht der Luzerner Regierung: «Die Staatsanwaltschaft hat in der Strafprozessordnung eine sehr zentrale Stellung bekommen. Diese Machtkonzentration mag man kritisieren, ist aber vom Gesetzgeber so gewollt gewesen.» Wichtig sei, dass dieser Kompetenzkonzentration korrigierende Elemente gegenüberstehen. Dazu gehöre zum Beispiel, dass eine Einstellungsverfügung der untersuchenden Staatsanwaltschaft durch die Oberstaatsanwaltschaft zu genehmigen ist.

Es sei auch aus gutem Grund richtig, dass man nur dann eine Beschwerde machen könne, wenn man ein rechtlich geschütztes Interesse an der Änderung eines Entscheides habe: «Dafür reicht der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck, dass bei einer rechtlichen Entscheidung etwas nicht stimmen könnte, nicht aus.»

Es geht gar nicht um eine «laufende Untersuchung»

Markus Mohler aber, früherer Staatsanwalt und Polizeichef in Basel, ist anderer Ansicht als die Luzerner Regierung. «Die Antwort des Regierungsrates enthält einen Zirkelschluss, der letztlich die wichtige Frage der Oberaufsicht über die Staatsanwaltschaft in letzter Konsequenz unberücksichtigt lässt.»

Mohler wundert sich, warum der Luzerner Regierungsrat von «Weisungen in einer laufenden Untersuchung» spricht. Die Luzerner Regierung schreibt nämlich, dass das Luzerner Justizgesetz aufsichtsrechtliche Weisungen zu «einer laufenden Strafuntersuchung» ausschliesse. Darum gehe es hier gar nicht. Vorliegend handle es sich klarerweise um ein abgeschlossenes Verfahren.

«Das Vier-Augen-Prinzip ist eine oberflächliche Prüfung»

Natürlich würden Verfahrensentscheidungen im Rahmen eines strafrechtlichen Berufungsverfahrens überprüft. Aber der Regierungsrat gehe vorliegend auf die besondere Konstellation nicht ein: Im konkreten Fall Villiger sei von den Verfahrensparteien niemand an einer Berufung interessiert.

Eine Fachaufsicht durch die Oberstaatsanwaltschaft finde in diesem Fall demnach eben gerade nicht statt, da sie es war, welche den Einstellungsbeschluss genehmigt hat.

Auch das Argument, wonach die Einstellungsverfügung bei der Staatsanwaltschaft im «Vier-Augen-Prinzip» ergangen sei, hält Mohler für «nicht wasserdicht»: «Das Vier-Augen-Prinzip entspricht in solchen Fällen eben nur einer oberflächlichen Prüfung. Wäre es anders, müsste die Oberstaatsanwaltschaft die Akten von A bis Z studieren und allenfalls gar Einvernahmen selber nochmals durchführen.»

«Der vorliegende Fall beweist das exakte Gegenteil»

Mohler ist der Meinung, dass auch die Machtbefugnisse der Staatsanwaltschaft ihre Grenzen haben müssen. Wenn der Regierungsrat ausführe, dass das Fachaufsichtssystem vollständig sei, keine Lücken aufweise und keiner Ergänzung bedürfe, so beweise der vorliegende Fall das exakte Gegenteil. Und mit der regierungsrätlichen Antwort werde eine Vorschrift der Kantonsverfassung übersehen: Artikel 29 Absatz 2 der Kantonsverfassung bestimme nämlich: «Keine Behörde übt ihre Macht unbegrenzt und unkontrolliert aus.» Darum wäre es wichtig, dass hier eine effektive Kontrolle stattfindet.

Eigentlich könne man nur zu zwei Schlüssen gelangen: «Entweder legen die Luzerner Behörden das Justizgesetz zu eng aus, oder es liegt, falls der Gesetzgeber die entsprechenden Gesetzesnormen damals so beabsichtigte, wie diese heute von der Luzerner Regierung interpretiert werden, eben eine Gesetzeslücke vor.»

Die Einsetzung eines ausserordentlichen Staatsanwaltes

So oder so führe dies aber in der Rechtsanwendung zur Möglichkeit unkontrollierbarer Beschlüsse durch die Oberstaatsanwaltschaft, was nicht sein dürfe und könne.

Im Übrigen sei auf § 62 des Justizgesetzes hinzuweisen, wonach das Kantonsgericht für bestimmte Fälle einen ausserordentlichen Staatsanwalt oder eine ausserordentliche Staatsanwältin bestimmen könne: «Ein solcher Fall dürfte für das Kantonsgericht vorliegen, wenn von ihm vertreten wird, es könne ausserhalb strafrechtlicher Beschwerden einen Einstellungsbeschluss nicht überprüfen, obwohl in der breiten Öffentlichkeit an dessen Rechtmässigkeit begründet erhebliche Zweifel geäussert worden sind.»

«Das trifft den Kern nicht»

Auch der Solothurner Strafrechts-Fachanwalt Konrad Jeker ortet im vorliegenden Fall ein grundsätzliches Problem: Einstellungen durch die Staatsanwaltschaft seien immer dann «gefährlich», wenn keine Privatkläger vorhanden sind, welche die Einstellungsverfügung anfechten können. «Wird ein solches Verfahren eingestellt, dann kann das von der Justiz nicht überprüft werden.»

«Dies zu verhindern ist meiner Ansicht nach schon deshalb ungeschickt, weil die Medien keine Ruhe geben werden.»

Konrad Jeker, Strafrechts-Fachanwalt

Was der Regierungsrat in seiner Antwort schreibe, sei sachlich seiner Ansicht nach zwar richtig, treffe aber den Kern nicht. Es gehe doch darum zu klären, ob die zuständigen Personen bei der Staatsanwaltschaft, beziehungsweise der Oberstaatsanwaltschaft, eine Straftat begangen haben. «Dies zu verhindern ist meiner Ansicht nach schon deshalb ungeschickt, weil die Medien keine Ruhe geben werden, bis die Sache geklärt ist.»

«Kantonsrat hat eine Chance verpasst»

Es könne ja durchaus sein, dass sich niemand strafbar gemacht hat. «Aber solange das nicht unabhängig untersucht ist, wird der Druck bleiben. Der Regierungsrat denkt, er könne es aussitzen. Ob das gut geht?»

Abschliessend fragt Jeker nochmals: «Warum macht nicht einfach jemand eine Strafanzeige?» Der grüne Luzerner Kantonsrat Hans Stutz meint dazu: «Ich weiss von Diskussionen, nicht aber von Entscheiden, eine Strafanzeige einzureichen.» SP-Kantonsrat David Roth ergänzt: «Ob das jemand machen wird, weiss ich nicht. Inhaltlich käme es auf das Gleiche heraus, wie wenn das Parlament unserem Vorstoss zugestimmt hätte. Aus meiner Sicht hat der Luzerner Kantonsrat eine Chance verpasst, hier den saubereren, selbstverantwortlichen Weg zu gehen.»

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