Zentralschweizer Biker in besonderer Mission

Harte Jungs im Einsatz für missbrauchte Kinder

Der Luzerner «The Viking» (links) und «Glatze» (rechts): Krasse Klamotten und weiche Herzen. (Bild: nat)

Seit Kurzem gibt es die gemeinnützige Biker-Organisation B.A.C.A. in der Schweiz. In Zukunft könnten missbrauchte Kinder auf ihre Biker-Freunde zählen, wenn sie Angst haben oder vor Gericht aussagen müssen. Zwei harte Jungs sprechen über ihren weichen Kern.

Die beiden Männer erfüllen jede Menge Biker-Klischees: Sie sind gross und stattlich, tätowiert und tragen ihre schwarze Biker-Kluft. Doch entgegen der gängigen Vorstellung sind Glatze (44) und The Viking (38) – sie sprechen sich nur mit ihren Road-Namen an – nicht nur friedliche und freundliche Zeitgenossen, sondern auch in einem ganz speziellen Verein in der Motorradszene engagiert: Bikers Against Child Abuse (B.A.C.A, siehe Box).

«Es geht uns um das Kind, nie um den Täter.»

Biker «Glatze»

Wie entstand B.A.C.A.?

Bikers Against Child Abuse (B.A.C.A.) wurde vom amerikanischen Biker John Paul Lilly 1995 gegründet. Der Sozialarbeiter und Spieltherapeut entdeckte in seiner Arbeit gewisse Lücken, wenn es um den Schutz misshandelter Kinder ging. «Die Polizei kann nicht 24 Stunden tagelang ein Kind beschützen, wenn es Angst hat. Oder dem Kind Sicherheit vermitteln, wenn es etwa vor Gericht gegen einen Täter aussagen soll», erklärt Didi «Glatze» Brodbeck, Präsident von B.A.C.A. Schweiz. John Paul Lilly ist selber Biker und hat gesehen, dass er den Kindern Sicherheit vermitteln kann, wenn er sie in seinen Club aufnimmt. So nahm eine Organisation ihren Anfang, die heute in elf Ländern Ableger hat und stetig wächst.

Wer den Namen zum ersten Mal liest, sieht vielleicht vor seinem inneren Auge Bilder von Bikern, die einen Kinderschänder verprügeln. Ganz falsch! «Bei B.A.C.A. geht es uns um das Kind, nie um den Täter», erklärt Glatze, der Präsident von B.A.C.A. Schweiz. Kinder, die nach einem psychischen oder physischen Missbrauch Angst haben, können sich an B.A.C.A. wenden. «Unser oberstes Ziel ist, dass das Kind keine Angst mehr hat», betont The Viking, der als einer von neun Innerschweizern beim Ten Lakes Chapter (Region Zürich) mitmacht.

Schon 80 Mitglieder

In der Schweiz gibt es B.A.C.A. erst seit anderthalb Jahren, trotzdem zählt die Organisation bereits rund 80 Mitglieder, davon ein Drittel Frauen. «Die Frauen sind sehr wichtig. Einerseits im Umgang mit den Kindern, andererseits aber auch, wenn wir zum Beispiel Abklärungen bei Behörden vornehmen müssen», betont Glatze. Bevor B.A.C.A. aber loslegen konnten, durchlief der Verein eine längere Prozedur, die sicherstellen soll, dass das Credo und die Richtlinien des amerikanischen Muttervereins eingehalten werden. «Erst seit einem halben Jahr dürfen wir Kontakt zu Kindern haben», sagt der Basler Glatze.

 

 

Damit sich B.A.C.A.-Mitglieder auf ihr Bike setzen und etwas unternehmen, müssen einige Bedingungen erfüllt sein: Der Fall muss bei einer Behörde gemeldet sein, das Kind muss unter 18 Jahren sein und die Erziehungsberechtigten müssen einverstanden sein. «Im Normalfall meldet sich ein Erziehungsberechtigter über die Hotline beim Child Liaison. Das ist übrigens auch die einzige Person, die die ganze Geschichte des Kindes kennt», betont der State-Präsident. Passt das Kind zu B.A.C.A., werde bei einem ersten Treffen das Level 1 (siehe Box) innerhalb zweier Wochen geplant, so The Viking.

«In Holland ist B.A.C.A. zum Beispiel schon gut etabliert.»

Biker «The Viking»

Ein Teddy voller Liebe

Glatze und der Luzerner The Viking haben bis jetzt vor allem Level-1-Erfahrungen im Ausland gemacht. «In Holland ist B.A.C.A. zum Beispiel schon gut etabliert. Dort findet fast jedes Wochenende ein Level-1-Anlass statt. In Deutschland ein bis zweimal im Monat», erzählt Glatze. Das Aufnahmeritual soll dem Kind Sicherheit vermitteln und es soll die Biker als neue Freunde wahrnehmen. «Da kommen B.A.C.A.-Mitglieder von überall her, 60 bis 100 Biker. Das Kind bekommt eine Weste, ein Emblem, einen Teddybären, den wir vorher alle mit Liebe füllen», beschreibt Glatze.

Die B.A.C.A. Schweiz in voller Zahl.

Die B.A.C.A. Schweiz in voller Zahl.

(Bild: zVg)

Dass die Idee von B.A.C.A. funktioniert, haben die zwei Biker mehrfach erlebt. «Da war zum Beispiel ein Junge, der hat während der ganzen Zeremonie nur auf den Boden geschaut und war niedergeschlagen. Am Schluss machten ein paar von uns mit ihm den Child Ride, eine kleine Ausfahrt mit den Motorrädern. Nach der ersten Runde wollte er nochmal, dann nochmal. Nach der dritten Runde sass der Junge aufrecht und triumphierend hinter dem Fahrer», erinnert sich Glatze. Um den Kindern bei ihrer Aussage vor Gericht zu helfen, setzen sich einige Biker in den Gerichtssaal, damit das Kind nicht allein ist.

«Die Kinder fühlen sich durch unsere Präsenz sehr gestärkt.»

Biker «The Viking»

In der Schweiz gab es erst einmal einen Level-1-Event. «Die zwei Mädchen sind im Schulalter und wohnen in der Region Zürich. Die Kinder fühlen sich durch unsere Präsenz sehr gestärkt. Wir unterstützen sie in Absprache mit der erziehungsberechtigten Person bei Behördengängen oder auch auf dem Schulweg», erzählt Glatze. Die für das Kind verantwortliche Person hat letzten Sommer an einem Schwimmbadfest, das B.A.C.A. durchgeführt hat, von der Organisation erfahren.

«Nicht jeder kann bei B.A.C.A. Mitglied werden.»

Biker «The Viking»

Wer mit missbrauchten Kindern arbeitet, trägt eine hohe Verantwortung. «Nicht jeder kann bei B.A.C.A. Mitglied werden. Es muss schon mal klar sein, dass wir keine Rächer sind, sondern den Kindern unser Augenmerk gilt. Interessenten müssen einen Strafregisterauszug und den Sonderstrafregisterauszug bringen. 80 Prozent der monatlichen Meetings müssen besucht werden. Dann folgt die Ausbildung während eines Jahres in verschiedenen internen Kursen», beschreibt Glatze den Prozess. Gewalt sei ausgeschlossen, Alkohol und Drogen völlig tabu, wenn sie mit den Kindern zusammen sind. «Viele unserer Mitglieder sind früher allein gefahren, weil sie nichts mit den sogenannten Biker-Szenen und den Vorurteilen ihnen gegenüber zu tun haben wollten», erläutert der State-Präsident. Viele hätten eigene Kinder oder eigene Erfahrungen.

Der gemeinnützige Verein finanziert sich durch Spenden von Privaten oder auch Firmen. Das Geld werde aber in keinem Fall für Benzin oder Ähnliches ausgegeben, sondern nur für die Kinder, den Teddy, die Weste oder allenfalls sogar für deren Therapie. In der jetzigen Anfangsphase leisten die Biker aber vor allem Aufbauarbeit, um ihr Angebot bekannt zu machen, auch bei Behörden.

 

Schutz in vier Stufen

Wenn ein Kind über eine Hotline B.A.C.A. gemeldet wird und die Abklärungen ergeben, dass es sich um einen B.A-C.A.-Fall handelt, kann B.A.C.A. auf vier Ebenen helfen:

Level 1: Das Kind wird bei B.A.C.A. als Mitglied aufgenommen und durchläuft eine Aufnahmezeremonie, bei dem es einen Patch, eine Weste und einen Teddybären bekommt. Als neues B.A.C.A.-Kind darf das Kind mit den angereisten Bikern eine Runde drehen. «Die Idee davon ist, dass das Kind in Zukunft, wenn es Angst haben sollte, sich an seine neuen Freunde erinnert und weiss, dass es nicht allein ist. Das Kind hat fortan nämlich auch zwei Bezugspersonen, die mit ihm engen Kontakt halten und auch kommen, wenn das Kind das wünscht», erzählt Didi Brodbeck. Ausserdem gehen die Biker mit, wenn das Kind vor Gericht eine Aussage macht.

Level 2: Wenn Level 1 noch nicht genügt, würden B.A.C.A.-Mitglieder vor dem Zuhause des Kindes Präsenz markieren.

Level 3: Dauert die Bedrohung des Kindes an, würde der Chapter-Präsident über einen Anwalt einen Brief an den Täter senden, dessen Inhalt aufzeigt, wer B.A.C.A. ist, was sie tun, dass das Kind zur B.A.C.A.-Familie gehört und beschützt wird.

Level 4: Nur im äussersten Notfall wird in der Wohngegend des Täters Präsenz gezeigt. Kontakt mit dem Täter werde aber tunlichst vermieden, beteuert der Club.

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