Löwendenkmal Luzern

Die Apparate klicken, der Löwe stirbt

Den Löwen nicht sterben lassen: Experten bepinseln das Denkmal mit Spezialmörtel. (Bild: Adrian Meyer)

Der steinerne Löwe von Luzern liegt im Sterben, seit bald 200 Jahren. Unzählige Touristen fotografieren ihn täglich, doch länger als fünf Minuten bleibt hier kaum jemand stehen. In diesen Tagen wird er dabei noch mehr in seiner Ruhe gestört als üblich: Experten päppeln das Löwendenkmal mit Spezialmörtel auf, weil der Sandstein langsam verwittert.

Er liegt im Sterben, seit über 190 Jahren. Die Spitze eines Speers im Bauch, Taubendreck auf dem Rücken, das Blitzen der Fotoapparate im Gesicht. Unübersehbar liegt der Löwe von Luzern in der Felswand, gleich hinter dem Bourbakimuseum. Er stirbt, doch er hat keine Ruhe. Vor allem nicht jetzt: Seit Tagen pinseln Experten an ihm herum, in roten Overalls hängen sie mit Kletterseilen in der Felswand, streichen den Löwen mit Spezialmörtel ein, befreien ihn vom ätzenden Vogelkot. Der Sandstein verwittert langsam, nun wird geflickt.

Erst fotografieren, dann anschauen

Auf dem Parkplatz hält ein neuer Bus. Slowakisches Kennzeichen, der Fahrer ist aus Ungarn. Eine Gruppe Asiaten steigen aus, die Fotoapparate eingeschaltet. Sie fotografieren alles, was sie sehen: Den Verkehr auf der Zürichstrasse, den Eingang zum Coop, das Anstehen an der Ampel. Und dann diesen Löwen. Erst fotografieren, dann anschauen. Die Reiseleiterin erzählt, die Fotoapparate klicken. Ein Blick auf die Uhr, man muss weiter. In 15 Tagen durch Europa. Zwei halbe Tage in Luzern. Fünf Minuten am Löwendenkmal. Die Busfahrer steigen hier nicht mehr aus.

1792 war die Felswand noch ein Steinbruch, und in Paris starben Schweizer den angeblichen Märtyrertod: 1100 Schweizer Söldner verteidigten im Dienste König Ludwig des Sechzehnten einen leeren Tuilerienpalast. Die Monarchenfamilie war vor dem Tuileriensturm geflüchtet. Das aufständische Volk tötete in seiner Wut 760 Schweizer Soldaten und 26 Offiziere.

Der Schweizergardist Karl Pfyffer von Altishofen hatte Glück: Während des Massakers war er auf Urlaub in seiner Heimat Luzern. Aus Ehrfurcht vor seinen gefallenen Kameraden wollte er ihnen ein würdiges Denkmal setzen. 1818 startete er die Planung, er sammelte Geld, beauftragte einen berühmten Bildhauer. Drei Jahre später war der Löwe in die Wand gemeisselt. HELVETIORUM FIDEI AC VIRTUTI steht seither darüber. Der Treue und Tapferkeit der Schweizer.

Das traurigste Stück Stein der Welt

«Wie alt ist der Löwe», fragt ein Blondschopf namens Kevin. «Phuu, 300 Jahre?» sagt sein Vater, der neben ihm kauert. «Nein, nicht ganz, warte mal, siebzehnhundertirgendöppis.» Kurzes Schweigen. «Willst du dem Löwen einen Namen geben, Kevin? Welche Namen willst du ihm geben?» »Philipp.»

Mark Twain erkor das Löwendenkmal zum «traurigsten Stück Stein der Welt». Für asiatische Gruppentouristen auf der Durchreise dient er heute wohl nur als Belegfoto. Schaut her. Wir waren hier. Fotoapparat vors Gesicht. Einzelfoto. Gruppenfoto. Victory-Zeichen. «Smile». Toilettenbesuch und ab. Fünf Minuten lang blitzt es. Zehn Minuten, wenn der Reiseleiter etwas erklärt. Länger bleibt hier kaum jemand.

«Ohne Geschichte wäre der Löwe nur ein Stück Stein», sagt ein junger Mann aus Taiwan. Die Reiseleiterin habe ihnen aber aber nur kurz etwas über die Schweiz erzählt. Vor dem Denkmal fotografiert er seine Frau. Er trägt Hornbrille, edles Hemd, gelackte Springerstiefel, sie Bobfrisur und Parka. Dann stellt auch er sich hin.«It doesn’t make sense», sagt er. Es ergebe keinen Sinn. Wissen sie, wieso sie hier sind? Schulterzucken. Zu Hause werde er die Geschichte des Löwendenkmals nachgoogeln, sagt er. «Nice to meet you», sagt sie und strahlt. Sie freuen sich, mit Einheimischen zu reden. Noch ein gemeinsames Foto, Händeschütteln, zurück in den Bus, dann nach Giswil, Obwalden. Ins Hotel. Morgen auf den Titlis, übermorgen nach Paris. «It’s our honeymoon.»

Der Teich unterhalb des sterbenden Löwen, in dem jetzt eigentlich die Herbstblätter liegen sollten und die unzähligen Münzen, ist leer: nackter Beton. Dafür haben die Experten, die den Löwen päppeln, ihren Kran dort hingestellt. Eine Pressluftpumpe dröhnt und zischt, der Kran schiebt sich vor das Löwengesicht. Die Touristen schiessen trotzdem ihre Fotos, sie lachen und schwatzen und kommen und gehen im 5-Minuten-Takt. Wie immer.

0 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon