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Barbara Gysel, Präsidentin SP Kanton Zug, bloggt über Privilegien der Topverdiener

«Wer hat, dem wird gegeben»: das Zuger Matthäus-Prinzip

«Personen mit winzigem Portemonnaie werden gegenüber Superreichen überproportional belastet.»

(Bild: Pixabay)

«Wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben.» Was der Philosoph Kant im 18. Jahrhundert dramatisierte, sollte dennoch bis heute wirken. Erst recht im Zugerland: Betuchte geniessen zahlreiche Privilegien, weil sie zuweilen nur gleichviel zahlen wie Nichtreiche. Zum Beispiel bei den Gebühren.

Auf Kosten der öffentlichen Hand

Am 11. April 2017 wurden im städtischen Parlament Gebührenerhöhungen im Bau- und Planungsbereich diskutiert, doch die Mehrheit des Rates schickte die Vorlage mit dem Auftrag einer Erhöhung von allerhöchstens 10 Prozent an den Absender zurück. Mir scheint es unverständlich, wie sehr etwa potenzielle GrossinvestorInnen vor erhöhten Abgaben verschont werden sollen.

Der stadträtlichen Medienmitteilung vom 23. Dezember 2016 konnte man zuvor entnehmen, dass viele Gebühren nicht kostendeckend bzw. zu günstig seien und teilweise seit Jahrzehnten weder der Teuerung noch veränderten Umständen angepasst wurden. Wem nützt das? Zum Beispiel private Mega-Investoren können für ihre Bauvorhaben Sonderleistungen der Verwaltung beanspruchen – und das auf Kosten der öffentlichen Hand.

Das soziale Credo lautet üblicherweise: «Keine Gebührenerhöhungen, weil sie degressiv wirken.» Der degressive Meccano bedeutet: Je mehr man hat, desto weniger gibt man ab. Die Degression benachteiligt in der Regel Nichtreiche und Wenigverdienende, weil sie im Verhältnis mehr beisteuern. Das zeigt sich analog auch bei der Mehrwertsteuer: Beim Bund ist für 2016 die Mehrwertsteuer, die auf einem Einheitssteuersatz für die Konsumierenden basiert, mit 33 % die wichtigste Einnahmequelle überhaupt. Daraus folgt: Personen mit winzigem Portemonnaie werden gegenüber Superreichen überproportional belastet. Um ebendiese soziale Ungleichheit und deren Vermeidung, oder wenigstens Minderung, geht es mir. Es ist aber ein differenzierter Blick notwendig.

«Je mehr man hat, desto mehr gibt man ab.»

Sie mögen zu Recht einwerfen, dass Steuern und Gebühren grundsätzlich einen unterschiedlichen Charakter haben. Stimmt. Das sind zwei Paar Schuhe. Bei der Steuerpolitik bildet das Leistungsfähigkeitsprinzip die zentrale ethische Leitlinie; bei den Gebühren stehen das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip im Vordergrund. Gleichwohl sollen auch bei den Gebühren gemäss HRM2-Richtlinie soziale und wirtschaftliche Leistungsfähigkeiten berücksichtigt werden. Warum sollten Vermögende gleich viel als Elternbeitrag für die schulergänzende Betreuung ihrer Kinder zahlen wie Nichtreiche? Aus sozialer Sicht müsste man eigentlich progressive Abgaben fordern.

Zudem: Letztlich muss es immer auch darum gehen, welche Zielgruppe ganz genau von einer Anpassung profitiert oder eben belastet wird. Und das macht die Sache herausfordernd, aber auch aufregend. Mit der Brille von «sozialer Ungleichheit» hiesse das: Erhöhte Gebühren lassen sich am einen Ort befürworten, so beispielsweise im Liegenschaftsbereich, am anderen verurteilen, wie zum Beispiel für Mittelstandsfamilien.

 «Schlaraffenland Zug»

Nehmen wir den Vorschlag aus dem GGR nochmals genauer unter die Lupe, die Gebührenordnung für das Planungs- und Baubewilligungsverfahren. Bisher waren die Gebühren bei uns in diesem Segment in Zug auch im schweizweiten Vergleich unverschämt tief, als «Schlaraffenland Zug» hat es der SP-Stadtpräsident Dolfi Müller gar bezeichnet. Dabei pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern: Sehr vermögende Eigentümer stossen in Zug auf zahlreiche Privilegien, nicht nur bei den Gebühren.

Ein exemplarischer Beleg dazu: Vor ein paar Jahren schon habe ich im Kantonsrat eine Interpellation eingereicht, die nach der Wirkung von Steuerabzügen fragte. Die umfassende und gründliche Analyse durch die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) brachte 2011 für den Kanton Zug zutage, dass die Abzüge für Liegenschaftskosten den vierten Rang belegen, was das Ausmass anbelangt: die kantonalen Steuereinnahmen werden wegen den Liegenschaftsabzügen um 6,4 % gesenkt, was damals in absoluten Zahlen 15 Millionen Franken ausmachte.

Topverdiener profitieren

Die Liegenschaftsabzüge schaffen aber auch individuellen Profit. Die Betrachtung der höchsten Abzüge überhaupt belegt: Werden die Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen untersucht (also jene über 200’000 Franken Bruttoeinkommen), zeigt sich, dass diese rund 3’500 Steuerpflichtigen im Kanton einen effektiven Steuersatz von 0 bis 6,55 % des Bruttoeinkommens hatten.

Und noch verrückter: Insgesamt weisen 73 Topverdienende einen effektiven Steuersatz von weniger als 1 % auf.

Diese Topverdiener haben also mindestens 200’000 Franken Bruttoeinkommen – und bezahlen weniger als 2’000 Franken Kantonssteuern. Resultat der Abzüge für Liegenschaftskosten und Schuldzinsen. Neben dem persönlichen Steuerabzug, der von allen genutzt werden kann, sind es also vor allem Abzüge, die von Immobilienbesitzenden gemacht werden können, die einschenken. Das ist irritierend. Allein die drei Abzüge für Schuldzinsen, für Liegenschaftskosten und für die Vermögensverwaltung zusammen machen in der Summe einen Viertel aller Abzüge aus (25,04 %). Übrigens: Als eigentlich sozial gedachter Abzug findet sich unter den 12 wichtigsten Abzugskategorien der Mietzinsabzug gerade mal auf Platz 12 und macht somit 1,2 % am Total der Abzüge aus. Punkto Zuger Wohnungsmarkt bietet das also kaum eine nennenswerte Entlastung.

Land der Mietenden

Das wäre insofern wichtig, weil die Schweiz seit sehr Langem ein Land der Mietenden ist. Auch deshalb, weil die Boden- und Immobilienpreise hier sogar bei einem anständigen Lohn praktisch unerschwinglich sind, wenn man nicht gerade ein Erbe in Aussicht hat. Jetzt nimmt die Eigentumsquote langsam zu, vor allem dank Stockwerkeigentum. Das Bundesamt für Statistik hat Ende März 2017 den schweizweiten Vergleich der Wohneigentumsquoten veröffentlicht: In Zug besitzt nur ein Drittel der Bevölkerung Wohnraum. Mit diesen gut 34 % stehen wir gerade mal auf dem 21. Rang aller 26 Kantone.

Quote an Wohneigentum – Zug im schweizweiten Vergleich. (Grafik: Barbara Gysel)

Quote an Wohneigentum – Zug im schweizweiten Vergleich. (Grafik: Barbara Gysel)

Der Bericht der Regierung hält im Weiteren fest, dass die Abzüge vor allem den mittleren Einkommen nützen. Und dass sie den Steuerbetrag der unteren Einkommen im Verhältnis stärker reduzieren als bei den oberen Einkommen. Nun, wäre dem nicht so, wäre das ein Skandal. Schliesslich sollen Steuerabzüge individuelle Härten mildern und den jeweiligen Lebenslagen entgegenkommen.

Gemäss Seite 5 des regierungsrätlichen Berichts, respektive Seite 46 in der erwähnten ESTV-Studie zu den Steuerabzügen, tendieren die Abzüge dazu, die Progressivität der Steuern bei tiefen und mittleren Einkommen zu lindern, bei den hohen Einkommen hingegen zu erhöhen. Das ist beruhigend. Der Bericht besagt allerdings weiter, dass «nur» vier Abzüge die Progressivität tendenziell mindern. Das betrifft den Abzug für Schuldzinsen, für Liegenschaftskosten und auch den Abzug für Vermögensverwaltungskosten und die «anderen Abzüge».

«Nur» vier Abzüge gemäss Bericht, das lese ich anders: Es bedeutet, dass ganze vier Abzüge die Degression verstärken, das ist mehr als bedenklich!

Die Mehrheit leidet

Mit anderen Worten: Superreiche Eigentümer stossen in Zug auf zahlreiche Privilegien. Wenn wir Eigentum aber auch einem breiteren Teil der Bevölkerung ermöglichen wollen, braucht es entsprechende Massnahmen. Insofern geht es um einen sinnvollen Schutz der kleineren und mittleren Eigentümer. Wenn wir exemplarisch die Gebührenerhöhungen im Bau- und Immobilienbereich ansehen, dann hiesse das für mich: Ja, höchste Zeit, dass der Stadtrat diese erhöht; sie basieren unter anderem auf dem Kostenverursacher-Prinzip. Aber: Er muss es differenziert tun. Wer baut und plant, ist nicht «mausarm». Daher soll die Gebührenordnung nicht so (degressiv) ausgerichtet sein, dass sehr Vermögende und Reiche übers Hintertürchen von proportional höheren Nicht-Gebühren profitieren.

Die volle Deckung der Kosten, die durch die Sonderleistung der Verwaltung beansprucht werden (Kostendeckungsprinzip), ist sowieso noch nicht erreicht – und was wir nicht über Gebühren einnehmen, müssen wir einfach aus den steuerlichen Einnahmen decken, das heisst, die Allgemeinheit trägt’s. Daher ist es richtig und gut, die Gebühren in diesem spezifischen Bereich grundsätzlich anzuheben. Wer Gebühren für Einzelne umgekehrt ablehnt, müsste konsequenterweise die Steuern bereitwillig erhöhen. Ansonsten leidet die grosse Mehrheit der Bevölkerung.

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