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Ein Plädoyer fürs Unperfektsein

Mit dem Kind kommt das schlechte Gewissen

«Ich hab solche Raben-Eltern.»

(Bild: fotolia)

Kaum hat man Nachwuchs produziert, ist das schlechte Gewissen ein ständiger Begleiter. Besonders dem Kind gegenüber. Wenn man wieder mal an sich denkt.

Früher war schlechtes Gewissen eine Reaktion auf eigenes Fehlverhalten.

Auf die dreiste Lüge, die Lehrer hätten heute schulinterne Lehrerfortbildung, um noch eine Runde liegen bleiben zu können, auf das geklaute Figürchen eines ordinären Elefanten im Flippi-Shop, das man eigentlich gar nicht hatte haben wollen, auf den unüberlegten, fiesen Kommentar über den ekligen Lehrer und seine «gekaufte Frau», während deren Tochter am Tisch nebenan ihr Riz Casimir mit Brätkügeli runterwürgt.

Man haute sich dann, in Gedanken, 50er-Jahre-lehrerhaft auf den Hinterkopf, während sich das schlechte Gewissen, berechtigterweise, hart auf den Brustkorb setzte.

Kaum hat man jedoch Nachwuchs produziert, ist schlechtes Gewissen eine Reaktion auf alles Erdenkliche. Auf eigene Wünsche, Bedürfnisse, auf Gefühle und lautstarke Gefühlsäusserungen des Stammhalters, auf Müdigkeit und Gereiztheit, auf genervte Stunden, und auf entspannte.

Hallo alter Freund «Scheisslaune»

Es gibt Tage, es gibt sogar Wochen, in welchen die Laune sich in Grenzen und die Motivation gänzlich versteckt hält. Besonders in den grauen Monaten sind solche Momente keine Seltenheit.

Das ist als Single zwar deprimierend, lässt sich jedoch vor dem Fernseher, in der Badewanne oder mit einer Flasche Wein ganz okay durchstehen. Der Ihr-könnt-mich-alle-mal-kreuzweise-Blick hält Mitmenschen fern, die auf Interaktion aus sind, die eigenen vier Wände im Notfall die ganze Welt.

Es lauert überall

Mit einem Partner werden solche Krisen komplexer, da man sich in einer absolut asozialen Stimmung dazu genötigt sieht, sich sozial zu verhalten und Gefühle zu kommunizieren. Etwas, das in Krisen mehr schlecht als recht funktioniert. Und damit haben wir das erste schlechte Gewissen. Das erste in einer langen Reihe.

Wenn dann auch noch ein Kind auftaucht, schleicht sich das schlechte Gewissen von allen Seiten an …

Dem Besuch gegenüber. Weil man ständig davonrennt und spontan nicht mehr auftischen kann als weichgekochten Kürbis, Maispops und eine halbleere Flasche Wein. Den Nachbarn gegenüber. Wegen dem Geschrei in der Nacht und der ständig besetzten Waschküche. Den Leuten im Bus gegenüber, den Mitarbeitern gegenüber, der Familie und anderen Familien gegenüber.

Hallo neuer Freund «allgegenwärtiges Verantwortungsgefühl»

Und vor allem: dem Kind gegenüber. Wegen dem Wegsein, dem Abstillen, wegen der verlorenen Mütze, dem Schnudder-Absaugen, wegen dem Elternratgeber, der auf dem Nachttisch liegt und Staub ansetzt. Es schleicht sich an, wenn man genervt ist, einen Krampf im Arm hat, Kopfschmerzen, oder einfach mal Zeit für sich braucht.

Ich weiss, ich bin damit nicht alleine. Ständig haben wir das Gefühl, dem Kind nicht alles mitzugeben, was möglich wäre. Und das ist erst der Anfang: Tausende Möglichkeiten, Theorien, Meinungen warten.

Und in dem Moment, in dem einem das bewusst wird, kann man nur eines tun: sich vornehmen, das schlechte Gewissen sofort mit in den hermetisch abgeriegelten Windeleimer zu schmeissen.

Es muss nicht immer alles glänzen, wir dürfen zicken, zweifeln, Trübsal blasen, wir dürfen egoistisch sein und vor allem dürfen wir unsere Krisen (mit-)teilen. Dann entdeckt man nämlich ganz geschwind, dass man gar nicht so alleine ist mit diesen fiesen Gefühlen.

Ein Plädoyer fürs Unperfektsein. Und dafür, es auch zu zeigen.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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