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Zu Ehren des 1. August

Feste feiern, wie sie fallen – oder auch nicht?

Yvette Estermann an der 1.-August-Ansprache in Horn TG.

(Bild: zvg.)

Yvette Estermann staunte über die Feiern zum 1. August, als sie diese in der Schweiz zum ersten Mal erlebte. Sie erinnert sich in ihrem Beitrag an die «verordnete Fröhlichkeit» der ehemaligen Tschechoslowakei und schildert ihre Erlebnisse der 1.-Mai-Feier.

Wir feiern hier, wenn uns etwas wichtig und lieb ist. Ein Ereignis oder eine Person. Bei einer Familienfeier kommt man zusammen und erfreut sich an der Gemeinschaft. Man geniesst bei guter Laune ein schmackhaftes Essen und trinkt ein Glas Wein.

Aus meiner Schulzeit in der ehemaligen Tschechoslowakei habe ich aber auch noch Erinnerungen an ganz andere Feiern: staatlich verordnete Fröhlichkeit, obligatorische Präsenz und künstlich angeheizte «gute Laune». Das alles von oben, von der Partei organisiert und geplant. Vorgeschriebene Kleidung gehörte selbstverständlich dazu. Für Mädchen ein dunkelblauer Jupe, für Jungs die Hose. Dazu ein hellblaues Hemd und ein rotes Tüchlein um den Hals. Ob kalt oder warm, da gab es kein Pardon. Alle mussten präsent sein, alle mussten gemeinsam feiern. Ganz oben auf der Skala der Genossen war dabei der 1. Mai – der Tag der Arbeit.

Wenn eine Krankheit zum Segen wird …

An diesem Feiertag gab es keine Möglichkeit, dass die Eltern eine Entschuldigung für ihr Kind schreiben konnten, wie es im Schulalltag ab und zu vorkam. Da half nur ein Arztzeugnis, wenn man nicht an dieser Feier dabei sein wollte. Da ich damals längere Zeit an einer chronischen Mandelentzündung litt, war es für mich einfach, ein solches zu besorgen. Ich musste beim Arzt nur den Mund aufmachen und die Sache war klar.

In solchen Momenten war ich meinem Körper ehrlich dankbar, nicht genug widerstandsfähig zu sein! Ich machte aber nur bei den «Zwangsfeiern» von dieser Methode Gebrauch, denn mit zunehmendem Alter gab mir die Sache auf die Nerven. Eine letzte Anwendung dieser Methode hat sich später als besonders vorteilhaft für mich erwiesen. Es war am 26. April 1986, als die Tschernobyl-Wolke über unser Land hinwegging! Ich lag zu dieser Zeit im Bett und ging gar nie aus dem Haus. Anders erging es einem älteren Kollegen von mir, der sich beim Skifahren in der Hohen Tatra aufhielt. Er kam total verbrannt nach Hause und keiner wusste, warum. Aber das ist eine andere Geschichte …

Immer schön winken und lächeln!

Zurück zu den staatlichen Feiern. Die über und über mit Orden geschmückten Funktionäre der kommunistischen Partei standen auf feierlich herausgeputzten, gedeckten Tribünen. Nach Lust und Laune winkten sie der versammelten Menge zu, welche in geordneten Reihen, skandierend und im Gleichschritt vorbeilief. Mitgeführt wurden bunte Transparente mit grossartigen Aufschriften, welche die Erfolge des politischen Systems bestätigen sollten. Dazu Fotos von Genossen und der aktuellen «Machthaber». Fotos von Genossinnen waren selten. Als Ausnahme vielleicht Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. Dafür Lenin, Engels, Marx und Breschnew. Unser grosser Bruder, die Sowjetunion!

«Das Schönste an solchen Feiern war der Weg zurück nach Hause.»

Die Präsenz beim «Marsch vor den Tribünen» war das Wichtigste. Eine Präsenzliste über die Anwesenden wurde erstellt. Jetzt nur noch schön lächeln und professionell winken. Dann ab nach Hause! Das Schönste an solchen Feiern – sofern das Wetter mitmachte – war der Weg zurück nach Hause. Da der gesamte Verkehr wegen der Polit-Prominenz gestoppt war, mussten alle zu Fuss gehen.

Warum ich das alles schreibe? Wegen den 1.-August-Feiern in der Schweiz. Wir feiern an diesem Tag den Geburtstag unseres Landes. Ich kann mich noch sehr gut an meinen ersten 1. August hier erinnern. Es war für mich schön, die entsprechenden Vorbereitungen zu sehen. Die Fahnen an den Häusern, in den Dörfern und auf den Bergen. Die verschiedenen «Fanartikel» in den Geschäften: Raketen, Heuler, Kracher. Meine Erwartungen waren gross. Wie wird es wohl an diesem Tag sein? Ein grosses Fest, eine Manifestation der Freiheit und des Lebens in Wohlstand? Ein Ausdruck der Dankbarkeit der älteren Generationen gegenüber all dem, was wir heute erleben dürfen …

Es kam anders, als ich dachte. Die Gemeinde organisierte ein «Fast Fest», mit Standardreden, welche je nach politischer Richtung des Vortragenden entsprechend gefärbt waren. Man klatschte und ein «Einmannorchester» stimmte ein Lied an.

«Die in der Schweiz erlebte Feier war eher ein unterkühlter Anlass der Staatsorgane.»

Warum das Fest nicht mit der Landeshymne begann, war für mich damals das grösste Rätsel. Wann, wenn nicht jetzt, wäre diese angesagt? «Na ja, andere Länder, andere Sitten», dachte ich mir, etwas enttäuscht. Aber okay. Die anfangs beschriebene Feier aus meiner Schul- und Jugendzeit war eine übertriebene Form der Machtausübung eines totalitären Staates. Die in der Schweiz erlebte Feier war eher ein unterkühlter Anlass der Staatsorgane. Kein Patriotismus, keine Begeisterung, keine Freude und keine Perspektiven! Mangelt es den zuständigen Behörden an Selbstvertrauen oder ist diese Art der Feier gewollt? Schön dagegen war für mich zu beobachten, wie in vielen Häusern eine Familienfeier stattfand. Ein geschmückter Garten, eine Terrasse oder ein Balkon zeugten von ehrlicher Freude am 1. August.

Feiern Sie mit – aber richtig!

Ja, an solchen Feiern darf man neben der Freude sicher auch etwas stolz sein. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass wir in diesem wunderschönen Land immer noch in Frieden und Wohlstand leben können. Und damit es auch so bleibt, muss jeder von uns seinen Beitrag leisten. Auch eine Feier kann unsere Dankbarkeit und Freude über das ausdrücken, was uns jeden Tag begegnet. Wir freuen uns, dass wir immer noch in einem freien Land mit einem demokratischen System leben dürfen. Das ist mehr, als einige Erdenbürger in ihrem Land erleben können …

Wachsam sein, nichts unterschätzen und in Dankbarkeit die Zukunft gestalten. Nicht für sich selber, sondern für alle, die nach uns kommen. Auch eine würdige 1.-August-Feier trägt dazu bei!

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Die Luzerner Nationalrätin schlägt eine Brücke aus ihrem früheren Leben in der Tschechoslowakei und ihrem heutigen Leben. Dabei gibt Yvette Estermann Einblicke in das Leben hinter dem «Eisernen Vorhang». Dass es dabei auch mal politisch wird, verspricht sich von selbst. Ihre Meinung muss nicht mit derjenigen der Redaktion übereinstimmen.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Heinz Gadient
    Heinz Gadient, 31.07.2018, 17:31 Uhr

    Nichts gegen einen Nationalfeiertag Frau Estermann, aber der 1.August hat mit dem Geburtstag unseres Landes hinten und vorne nichts zu tun, so wenig wie 1291, der Rütlischwur, Wilhelm Tell, der Bundesbrief oder die Hohle Gasse. Vielleicht wäre etwas Geschichtsunterricht von Nöten. Ich empfehle ihnen das eben erschienene Buch des Historikers Dr. Kurt Messmer – «Die Kunst des Möglichen – über die Entstehung der Eidgenossenschaft im 15!!!! Jahrhundert.

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