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VodkaZombie-Zucker fürs Volk

Das Debütalbum von Rapper Mimiks aus Luzern.
Musikkonsumenten wollen gute Platten, und Musiker wollen gute Platten. Aber die Definition einer «guten Platte» unterscheidet sich enorm. Eine Analyse.

Es ist immer wieder lehrreich, sich mit szenefremden Menschen (oder, noch idealer, mit reinen Musikkonsumenten) über eine bestimmte Musikrichtung zu unterhalten. Szenefremde Musiker oder Musikkonsumenten haben keine Ahnung von den Regeln und Ansprüchen, die sich praktisch jede Szene oder Musikrichtung selber auferlegt. Szenefremden Menschen ist egal, wie gut Oasis in der Underground-Indie-Szene ankommen, oder ob Bligg aus Sicht der Rapszene noch Rap macht oder gesprochene Chansons. Alles, was die szenefremde Person interessiert, ist das Resultat, die Musik, evtl. sogar nur deren Erfolg. Das ist wahnsinnig befreiend. Und die angesprochenen Regeln wirken für Musiker in sämtlichen Szenen einengend, und für Aussenstehende sind sie sehr befremdlich. Warum tun wir uns das an? 

Zuallererst hilft es, den Werdegang von Musikern zu verstehen, oder besser: den Rahmen, in dem man als Musiker die ersten Schritte macht. Wenn sich ein junger Mensch für – sagen wir – Rap interessiert, dann ist davon auszugehen, dass er sich mit Leuten trifft und abgibt, die dies ebenfalls tun. Es ist weiter davon auszugehen, dass diese Gruppe von Menschen ungefähr denselben (wohl amerikanischen) musikalischen Vorbildern nacheifert. Und es ist ebenso davon auszugehen, dass – sollte einer dieser Jugendlichen auf die Idee kommen, selber mal einige Strophen Rap zu verfassen – die Menschen, die diesen Jugendlichen umgeben, diejenigen sind, die diese Strophen Rap als erstes zu hören kriegen und kritisieren. Die erste «Jury» (oder wie das deutsche Privatfernsehen sagt: «Tschüüry»), vor die der junge Rapper X also tritt, besteht aus Szenis. Nicht aus dem durchschnittlichen Radiopublikum von NRJ und nicht aus einem Querschnitt von «Wetten, dass…?»-Zuschauern, sondern aus einseitig vorgeprägten Menschen mit denselben musikalischen Vorbildern und einem klar definierten Geschmack. Will der junge Rapper X nun seinem Publikum gefallen, so ist davon auszugehen, dass er sich dem Geschmack seiner Kritiker anpassen wird – dass er seiner Szene gefallen will.

Nun ist es aber so, dass in der Schweiz mit szenebezogener Musik kein Blumentopf gewonnen werden kann. Um (eventuell) von Musik leben zu können, muss man dem Mainstream gefallen, und dafür muss die eigene Szene – und deren Geschmack und Regeln – verlassen werden. In Fussballerworten: All die technisch unglaublich komplizierten Jongliertricks, mit denen man auf dem Pausenplatz Eindruck schinden konnte, spielen keine Rolle mehr, denn jetzt müssen Tore geschossen werden. Für Aussenstehende ist das nicht weiter ein Problem – für einen Musiker, der jahrelang an seiner Szeneidentität gefeilt und sich dort einen Ruf aufgebaut hat, aber schon. Es geht um eine Art Verrat bisheriger Werte und Einstellungen, um das Über-Bord-Werfen des Rahmens, nach dem man seine ganze Künstlerkarriere gerichtet hat. Der Aussenstehende hält Künstler für gemeine Träumer, für Leute, die mit geschlossenen Augen ein bisschen vor sich hin musizieren. Dabei ist für jeden Künstler, der im Radio läuft, ein Mindestmass an Kalkül notwendig, um überhaupt dorthin zu kommen. Künstler zu sein ist heutzutage ein Businessplan – und damit in vielerlei Hinsicht der Essenz der Kunst entgegengestellt. Für den Aussenstehenden wirken diese von der jeweiligen Szene selbstauferlegten Regeln und Gesetze, Werte, die dem (kommerziellen) Erfolg eines Künstlers entgegenstehen, befremdlich. Für den Künstler wirkt die Reduktion von Musik auf Business und Chartplatzierungen respektlos, respektlos gegenüber der Geschichte und des Erbes einer bestimmten Szene. Das Resultat dieser Problematik lässt sich an zwei aktuellen Releases im Schweizer Rapzirkus perfekt nachvollziehen: 

Lo & Leduc, Berns neues, unglaublich talentiertes Hip-Hop-Aushängeschild, haben gerade ihr erstes Album «Zucker fürs Volk» releast. Zucker fürs Volk klingt rund (und kalkuliert), Charteinstieg auf Platz drei, die grossen Open Air Konzerte stehen bereits, «neue Stars für die Schweiz» lautet die allgemeine Headline. Der Erfolg ist *hust* programmiert. Nächsten Freitag releast Luzerns grösstes Hip Hop Talent Mimiks sein Debutalbum namens «VodkaZombieRamboGang», und schon der Albumtitel lässt erkennen: Kalkül wenig bis keines, und wenn, dann höchstens bewusstes Sichabwenden vom Businessplan und Konzentration auf die Szene unter bewusstem Riskieren eines grösseren Publikums.

Was bedeutet dies für den Aussenstehenden? Ganz einfach, lieber Leser: Kaufen Sie beide Platten. Die eine dafür, dass sie rund und ausgewogen ist. Die andere dafür, dass sie sich um die Regeln musikalischen Geschäftssinns einen Dreck schert. Denn am Ende des Tages soll Kunst auch in nichtangepasster Form überleben dürfen. Insbesondere dann, wenn sie (und sei es nur aus Sicht der Szene) derart gut ist. Für Musiker ist es zwar immer wieder lehrreich, sich mit szenefremden Menschen zu unterhalten, um ab und zu mal die eigenen Scheuklappen abzulegen. Aber ebenso ist es für die szenefremden Menschen lehrreich, zu verstehen, woher wir Musiker kommen. Sie sind offener als wir. Zeigen Sie uns das.
 

Mario Wälti

 

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